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„Man muss das Negativbild, das von Wladimir Putin diktiert wird, konterkarieren“, sagt Konstantin Jablozki.

© AFP

Homosexuelle in Russland: „Man kommt sich wie ein Illegaler vor“

Konstantin Jablozki, Chef des Homosexuellen-Sportverbands, über Diskriminierung in Russland, die Äußerungen der russischen Stabhochspringern Jelena Issinbajewa und Wladimir Putins Propaganda-Gesetz.

Herr Jablozki, Schwule und Lesben in Russland klagen über Ausgrenzung. Wozu dann noch ein separater Sportverband wie den LGBT, den Sie als Präsident leiten?

Das ist eine Maßnahme, die aus der Not geboren ist. Irgendwann wird man darauf verzichten können, aber heute wird der Verband noch gebraucht.

Wofür gebraucht?

In einigen Sportarten gelten geschlechterspezifische Einschränkungen. So dürfen zum Beispiel im Eiskunstlauf oder im Turniertanz Paare nur aus Mann und Frau bestehen. Ich bin selbst Eiskunstläufer im Amateurbereich, ich weiß, wovon ich rede. Synchronschwimmen und Rhythmische Sportgymnastik sind nach wie vor reine Frauensportarten, so wie Boxen und Eishockey bis vor kurzem nur Männern vorbehalten waren. Es dauert, bis solche Grenzen fallen. Bei uns kann schon heute jeder den Sport ausüben, den er möchte, und zwar mit dem Partner seiner Wahl.

Wie funktioniert das in der Praxis?

Wer will, tritt zunächst unserem Verband bei und beantwortet dabei die Frage, welcher Sport ihn oder sie interessiert. Wenn wir sehen, dass in einer Stadt zum Beispiel 20 Leute Badminton spielen wollen, eröffnen wir dort eine Sportgruppe.

Wie viele Städte haben Sie abgedeckt?

18. Von Murmansk bis Wladiwostok. Die gefragtesten Sportarten sind Volleyball, Badminton, Tischtennis und Fußball. Der Verband besteht seit 2010. In dieser Zeit haben sich 850 Menschen aus 46 Regionen Russlands angemeldet.

Konstantin Jablozki, 30, gewann 2010 bei den „Gay Games“ in Köln Gold im Eiskunstlauf – sein Coming Out im Staatsfernsehen. Der Pädagoge ist heute Präsident des LGBT-Sportverbandes.
Konstantin Jablozki, 30, gewann 2010 bei den „Gay Games“ in Köln Gold im Eiskunstlauf – sein Coming Out im Staatsfernsehen. Der Pädagoge ist heute Präsident des LGBT-Sportverbandes.

© privat

Und es gibt keine Widerstände vor Ort, etwa beim Anmieten von Hallen?

Nein, das ist unproblematisch. Wenn wir mit den Direktoren von Sportstätten reden, dann heißt es manchmal: Aber keine Fernsehkameras bitte! Die befürchten, dass sie Schwierigkeiten bekommen, wenn bekannt wird, wen sie sich da ins Haus geholt haben. Andere wiederum sagen, dass es für sie unerheblich ist, wer wir sind: „Euch geht es doch um Sport, nicht um Sex.“ Im Großen und Ganzen reagieren die Leute vernünftig. Nur einmal, als wir unser allererstes Sportfestival abhalten wollten, hat man uns am Tag der Veranstaltung plötzlich nicht auf das schon bezahlte Gelände gelassen. Neonazis hatten Wind davon gekriegt und wollten bei uns einfallen. Anstatt uns zu beschützen, fanden es die Behörden billiger, unser Festival abzusagen. Aber nach zwei Stunden hatten wir eine Alternative gefunden.

Wie hat sich das gesellschaftliche Klima für Schwule und Lesben seit der Verbandsgründung vor drei Jahren verändert?

Negativ. Das neue Gesetz (gemeint ist ein Gesetz, dass homosexuelle „Propaganda“ gegenüber Minderjährigen unter Strafe stellt; Anm. d. R.) erzeugt einen starken psychologischen Druck. Man kommt sich wie ein Illegaler vor. In konkreten Ziffern: Unter unseren Mitgliedern ist in den vergangenen Jahren der Anteil derer, die ihre Orientierung nach außen verheimlichen, von 45 auf 55 Prozent gestiegen. Als wir im Frühjahr 2012 ein Turnier in St. Petersburg ausgerichtet haben, wo das Gesetz damals bereits in Kraft getreten war, hatten wir bei Anmeldeschluss nur zwei Teilnehmer. Wir haben dann einen Rundruf gestartet, den Leuten hoch und heilig versprochen, dass keine Presse da sein wird und niemand Fotos macht. So sind es dann doch noch 115 Sportler geworden. Die Leute haben einfach Angst, dass man sie erkennt und dass sie deshalb ihre Arbeit verlieren.

Begründete Angst?

Natürlich. Eine unserer Sportlerinnen hat 2011 in Amsterdam bei den so genannten Euro Games den dritten Platz im Badminton belegt. Als eine Moskauer Zeitung daraufhin eine Doppelseite über sie gebracht hat, war sie ihre Arbeit los. Sie hat die Entlassungspapiere sogar freiwillig unterschrieben. Und wissen Sie, warum? Das gehe doch schon ihr ganzes Leben so, hat sie uns erzählt: „Von einer Arbeitsstelle zur nächsten, immer bis man erfährt, dass ich lesbisch bin.“

Nach Umfragen heißt eine große Mehrheit der Russen das Propaganda-Gesetz gut.

Man kann den Leuten gar keinen Vorwurf machen. Die Hälfte unserer Bevölkerung ist noch sowjetisch geprägt, und in der Sowjetunion wanderten Schwule hinter Gittern. Unsere Jugend dagegen wird von Klischees in die Irre geführt, dass Homosexualität etwas ist, das aus dem Westen kommt, eine Mode, ein Lebensstil.

Könnten Vorbilder Vorurteile entkräften?

Sie meinen bekennende Schwule und Lesben im Spitzensport? Die gibt es in Russland leider nicht. Das heißt, es gibt sie schon, wie man aus anonym geführten Interviews weiß. Aber sie machen ihre Orientierung nicht öffentlich.

Was Sie bedauern.

Ja, weil es wichtig wäre, am persönlichen Beispiel zu zeigen: Lesben und Schwule sind normale Menschen, sie hängen nicht nur in Klubs und Saunen herum, sind genauso erfolgreich wie andere. Man muss das Negativbild, das von Wladimir Putin diktiert wird, konterkarieren. Eigentlich finde ich ihn ja gut, er hat unsere Wirtschaft auf Vordermann gebracht. Aber was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist die Tatsache, dass man jede Menge sportlicher Großereignisse ins Land holt, um Russlands Image zu verbessern – und mit dem Propaganda-Gesetz auf einen Schlag alles zunichtemacht.

Leichtathletik-Star Jelena Issinbajewa hat neulich nach ihrem dritten WM-Titel im Stabhochsprung das Gesetz verteidigt: in Russland lebten Männer mit Frauen, das sei geschichtlich gewachsen …

Sehr traurig. Als Sportlerin bewundere ich Lena, aber menschlich bin ich von ihr ungeheuer enttäuscht. Einem Provinzmädchen könnte man solche Einlassungen eventuell noch verzeihen, aber Issinbajewa? Vielleicht hat sie ja in ihrem Leben außer Stadien nicht viel gesehen.

Sie selbst unterrichten Chemie an einer Schule für Körperbehinderte, arbeiten also unmittelbar mit Kindern. Hatten Sie selbst keine Probleme mit dem neuen Gesetz?

Als ich mich geoutet habe, war ich schon fünf Jahre an der Schule beschäftigt. Man kannte mich dort und wusste, dass ich niemanden belästige. Ich habe im Gegenteil viel Zuspruch bekommen von den Lehrern, von den Eltern. Daran hat sich auch nichts geändert. Nur dass die Kolleginnen heute nicht länger versuchen, mich mit ihren Töchtern zu verkuppeln, was mir immer sehr unangenehm war. Jetzt sind da klare Verhältnisse geschaffen. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, kann ich nur jeden Homosexuellen zum Coming Out ermutigen.

Tino Künzel

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