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Länderspielserie: Acht Tore und ein Smoking voller Saucenflecken

Vor 100 Jahren begann die deutsche Länderspielgeschichte in der Schweiz. Wichtig war damals das Bankett.

Am 5. April 1908 bestritt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr erstes Länderspiel – gegen die Schweiz. Wir erinnern heute an diese Partie und ab morgen in einer Serie an die zehn besten deutschen Länderspiele aller Zeiten.

„Gegen zehn Uhr stellten sich die Schweizer Herren ein, um uns zu froher Fahrt durch die Stadt abzuholen. Im Anschluss daran wurde uns der Zoologische Garten gezeigt und beim Gläschen Bier wurden auch noch die Chancen für den Wettkampf besprochen.“ So steht es im Amtlichen Bericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Und auch wenn der Frühschoppen nicht so recht dazu passen mag – bei besagtem Wettkampf handelte es sich um das erste Länderspiel einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Vor fast genau 100 Jahren, am 5. April 1908, bestritt die deutsche Elf in Basel ihre Premiere gegen die Schweiz. Das Ergebnis war nicht das, was sich die deutsche Mannschaft heute Abend gegen den gleichen Gegner in ihrem 800. Länderspiel wünscht: Vor 4000 Zuschauern verlor die DFB-Auswahl 3:5. Für die Schweizer war es bereits das dritte Länderspiel, und nach zwei Niederlagen gegen Frankreich wollten sie etwas gut machen.

Wie die „Basler Nachrichten“ berichteten, „spielten die Deutschen im Angriff tadellos. Die Schwäche der Mannschaft waren die Backs, die gegenüber den Sturmangriffen der Schweizerstürmer Kämpfer und Pfeiffer zu wenig Energie entwickelten.“ Beide trafen je zwei Mal und entschieden die Partie. In Anbetracht der Umstände war die Niederlage durchaus achtbar. Die Mannschaft hatte noch nie zusammengespielt, die Spieler kannten sich kaum. Einen Reichstrainer gab es nicht, der DFB beschloss, die Landesverbände nach Proporz mit der Nominierung einzelner Positionen zu beauftragen: Der eine Verband bestimmte einen Stürmer, ein anderer den Torwart, ein dritter einen Verteidiger. Am Ende standen im Landhof, dem Stadion des FC Basel, elf Spieler aus elf Vereinen auf dem Platz.

Der Stürmer Fritz Becker von den Frankfurter Kickers, der Deutschland in der sechsten Minute in Führung brachte und damit das erste Länderspieltor schoss, erinnerte sich später an die chaotische Anreise. Von seiner Nominierung hatte er aus der Zeitung erfahren. Danach ließ der DFB so lange nichts von sich hören, dass Becker gar nicht mehr mit einem Einsatz rechnete: „Die Freude, an dem großen Ereignis teilzunehmen, wurde allmählich von dem Gedanken verdrängt, daß bei der Sache etwas nicht stimmen könne.“ Erst 24 Stunden vor der Abreise kam die Nachricht, wann er sich am Bahnhof einzufinden habe. Die Fahrkartenübergabe erfolgte in letzter Minute, gerade noch erwischte Becker seinen Zug.

Für einige Mitspieler war der Ausflug in die Schweiz ähnlich aufregend. Torwart Fritz Baumgarten schwänzte die Schule, um in Basel dabei zu sein. Abwehrspieler Ernst Langmeier lief unter falschem Namen auf, wohl aus Angst vor Schikanen im Beruf. Und Linksaußen Willy Baumgärtner wurde mit 17 Jahren zum bis heute jüngsten Nationalspieler aller Zeiten. Vor dem Anpfiff um 15.00 Uhr gab es eine kurze Mannschaftsbesprechung. Über Taktik wurde dort kaum gesprochen. Fritz Becker erinnert sich an „eine Art Anstandsunterricht“ für das Bankett, das für 18.30 Uhr im Hotel Metropol angesetzt war. „Es machte beinahe den Eindruck, als wenn das Auftreten unserer Mannschaft und ihrer Begleiter der eigentliche Hauptzweck des Länderspiels sei.“

Für den DFB ging es nicht nur um das sportliche Auftreten der Mannschaft, sondern auch darum, auf gesellschaftlichem Parkett das Gesicht zu wahren. Fußball war in seiner Frühzeit auch ein Stück Diplomatie. Beim Bankett mussten die deutschen Spieler Smoking tragen. Vor dem Essen gab es weit ausholende Reden der Offiziellen. Wobei der Verbandsmitbegründer und Fußball-Impresario Walther Bensemann der Einzige war, der annähernd vorhersah, wie sich der Fußball – Bensemann nannte ihn den „König der Spiele“ – entwickeln würde.

Den einzigen Zwischenfall des Abends verursachte der Schweizer Torwart Dreifuß. Als er eine Parade demonstrieren wollte, landete er im Buffet und ein Tablett mit Saucen auf Beckers – geliehenem! – Smoking. Für den 19-jährigen Oberschüler wurde sein erstes und einziges Länderspiel endgültig zum Minusgeschäft: Zur Leihgebühr von 12 Mark kamen jetzt auch die Reinigungskosten.

Malte Oberschelp

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