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Manuel Schmiedebach, 26, kam 2008 von Hertha BSC II zu Hannover 96. Dort bestritt der Mittelfeldspieler bisher 128 Bundesligaspiele.

© Imago/Claus Bergmann

Manuel Schmiedebach von Hannover 96: "Marco Reus fährt doch auch Bahn"

Der Berliner Manuel Schmiedebach ist ein etwas anderer Profi. Er fährt mit dem Bus zum Training von Hannover 96 und kickt auf Bolzplätzen. Ein Gespräch über das Leben von Fußballern.

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Manuel Schmiedebach, ist das Leben als Fußballprofi so, wie sie es sich früher vorgestellt haben?

Ehrlich gesagt, hatte ich keine konkrete Vorstellung. In meiner Jugendzeit bei Hertha BSC hatte ich einen guten Kumpel – Elias Pech. Wir haben uns oft darüber unterhalten: Was meinst du, wie sieht es in fünf Jahren aus? Haben wir es dann geschafft oder nicht? Aber wir hatten beide keine Idee, wie das Leben als Fußballprofi aussieht.

Was haben Sie denn bei Hertha von diesem Leben mitbekommen?
Man sieht die Autos der Profis auf dem Hof.

Sie haben weder ein Auto noch einen Führerschein – und gelten schon fast als Sonderling, weil Sie leere Pfandflaschen zum Supermarkt zurückbringen.
Das ist Quatsch, das machen die anderen doch genauso.

Ist es für einen Fußballer ein Nachteil, wenn er für die Öffentlichkeit als anders gilt?
Normalerweise sollte es kein Nachteil sein, als bodenständig zu gelten. Spieler, die ein bisschen ausgeflippter sind, haben eher ein Problem, weil sie in einer bestimmten Schublade stecken. Und hier in Hannover weiß sowieso jeder, wie ich ticke, wie man mit mir umzugehen hat, wie man mich zu nehmen hat.

Pflegen Sie Ihr Image bewusst?
Überhaupt nicht. Es ist ja mittlerweile eher so, dass ich nur wenige Interviews gebe. Dass ich mit Ihnen dieses Interview mache, ist eher eine Ausnahme.

Warum?
Die ersten zehn Interviews gingen nur darum, dass ich keinen Führerschein habe, dass ich mit dem Bus zum Training komme, wie viele Nationalitäten ich habe. Immer dieselben Fragen. Da hätte ich auch einen Sprachcomputer auf den Tisch legen und wieder gehen können. Irgendwann hast du da einfach keine Lust mehr darauf. Ich habe sogar schon überlegt, dass ich einfach sage: Ich habe meinen Führerschein gemacht – nur damit ich meine Ruhe habe.

Es ist halt immer noch etwas Besonderes, wenn ein Fußballer kein dickes Auto fährt, sondern öffentliche Verkehrsmittel nutzt.
Wieso? Marco Reus fährt doch auch mit der Bahn! (Lacht) Nein, im Ernst, was ist denn besonders daran? Für mich ist das einfach praktisch. Wenn ich nach Berlin zu meiner Familie will, brauche ich mit dem Zug aus Hannover eine Stunde zwanzig bis Spandau. Mit dem Auto wäre ich drei Stunden unterwegs. Ich habe ja sogar mal angefangen, den Führerschein zu machen. Das war noch in Berlin. Da musste ich aus Geldmangel aufhören. Die 1000 Euro hatte ich einfach nicht.

Daran sollte es heute nicht mehr scheitern. Als Fußballer verdienen Sie gut. Denken Sie trotzdem schon an die Zeit nach Ihrer Karriere?
Einen konkreten Plan habe ich noch nicht, wenn Sie das meinen. Aber mit meinem bisherigen Erwerb sollte ich mir schon etwas aufbauen können.

Es gibt Statistiken, dass 25 Prozent der Fußballprofis nach ihrer Karriere in die Sozialhilfe abrutschen.
Ich finde nicht, dass Fußballer, die in der heutigen Zeit ihre Bruttomillionen verdienen, irgendwann von Hartz IV leben müssen. Das halte ich für ausgeschlossen. Trotzdem wird es natürlich einige geben, die nach ihrer Karriere tief fallen.

Das Problem ist: Viele schaffen es nicht, ihren Lebensstandard zurückzuschrauben, wenn sie keine Millionen mehr verdienen.
Mein Lebensstandard ist nicht so hoch, dass ich ihn zurückschrauben müsste. Das ist eigentlich das Gute bei mir: Ich war noch nie einer, der sich jeden Monat neue Dinge leisten musste – und wirklich teure Sachen kaufe ich aus Prinzip nicht. Aber auch das habe ich schon erlebt: dass Spieler, die viel weniger verdienen als ihre Kollegen, sich deren Lebensstil anpassen wollen. Die wollen dieselben Klamotten tragen, dasselbe Auto fahren, quasi dasselbe Leben führen.

Warum sind Sie immun gegen solche Statussymbole und Gruppenzwänge?
Ich weiß nicht, ob ich immun dagegen bin. Das hat ja auch etwas mit Erziehung zu tun. Ich weiß, dass ich als Profi zehn, zwölf, dreizehn Jahre habe, in denen ich ausgesprochen gut verdienen kann. In dieser Zeit muss ich mein Geld so zusammenhalten, dass ich damit auskomme, selbst wenn danach gar nichts mehr hinzukommen sollte. Seitdem ich als Profi angefangen habe, rechne ich, wie viel ich für diesen Fall am Ende meiner Karriere haben müsste. Und ich bin sicher nicht der Einzige, der das so sachlich sieht.

"Ich könnte auch auf der Straße kicken, ohne dass mir 50 000 Menschen zuschauen"

Ihre kolumbianische Mutter wuchs in Venezuela auf. Wann waren Sie zuletzt dort?
Als ich 13 war, zur Beerdigung meiner Oma. Ich würde gerne mal wieder dahin. Meine Tante lebt noch dort, meine Cousins und Cousinen. Aber die Stimmung in Venezuela ist derzeit nicht gerade die beste, und die Gegend, in der meine Familie lebt, nicht unbedingt eine Urlaubsgegend.

Wie muss man sich das vorstellen?
Ich kann mich noch erinnern, dass viele Menschen damals in Wellblechhütten gelebt haben. Und unten an der Straße gab es einen verdreckten Kanal. Wenn der Ball da reingeflogen ist, hat sich niemand getraut, den da rauszuholen.

Sie sind trotzdem gerne dorthin gefahren.
Es war jetzt auch nicht so, dass man da Angst haben musste, von der Straße weggecatcht zu werden. Ich kannte die Leute aus der Gegend, die haben gegenseitig auf sich aufgepasst.

Spandauer Nächte sind auch lang. In seiner Heimat kickt Schmiedebach als „Großer Bruder“ bei MitternachtsSport e.V. mit Straßenkids. Der Sohn einer Kolumbianerin und eines Deutschen mit indischen Wurzeln ist gerade für Migranten ein Vorbild.
Spandauer Nächte sind auch lang. In seiner Heimat kickt Schmiedebach als „Großer Bruder“ bei MitternachtsSport e.V. mit Straßenkids. Der Sohn einer Kolumbianerin und eines Deutschen mit indischen Wurzeln ist gerade für Migranten ein Vorbild.

© promo

Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass Sie im Vergleich dazu in Europa im Luxus leben?
Für ganz Europa gilt das ja auch nicht. Wir waren mal mit Hannover in der Ukraine, in Poltawa. Das war wie eine Reise in eine andere Zeit. Da bist du echt froh, wenn du wieder zu Hause bist. Wir können nur glücklich sein, dass wir hier in Deutschland geboren sind und hier aufwachsen durften. Am krassesten habe ich das bei meiner Oma erlebt.

Inwiefern?
Als sie krank wurde, wollten die Ärzte sie erst behandeln, nachdem sie ihr Geld bekommen haben. Im Endeffekt ist meine Oma daran gestorben – weil die Ärzte nichts gemacht haben. Die haben sie einfach auf dem Flur liegen lassen.

Hat die Zeit in Venezuela Sie geprägt?
Ja, klar. Ich kenne meine Wurzeln, ich weiß, wie ich bestimmte Dinge einzuschätzen habe. Aber ich bin immer nur sechs Wochen im Sommer dort gewesen, ich musste diese Unterschiede nicht mein Leben lang ertragen. Das ist etwas anderes, wenn du von dort kommst. Dann weißt du es schon mehr zu würdigen, wenn du es da raus geschafft hast.

Sie haben mal gesagt, Sie wären gerne Rechtsanwalt geworden, wenn Sie es als Fußballer nicht geschafft hätten. Warum?
Ich bin ein Mensch, der es ungern sieht, wenn etwas Unrechtmäßiges passiert. Selbst bei Kleinigkeiten, sei es bei uns im Training oder im Umgang miteinander. Deshalb hätte mich der Beruf schon gereizt. Aber dann ist alles anders gekommen. Ich habe die Schule in der Zwölften abgebrochen, weil ich Fußballprofi werden wollte. Und so wie es gelaufen ist, musste ich diese Entscheidung bisher nicht bereuen. Abitur kann ich ja immer noch machen.

Halten Sie den Fußball für gerecht?
Nicht wirklich. Du spielst den Leuten ja auch manchmal etwas vor. Zum Beispiel bei Vertragsverhandlungen. Da versuchst du dich aufzuplustern, öfters in den Medien aufzutauchen, machst dieses und jenes, um dich in den Vordergrund zu spielen. Auf der anderen Seite verhandeln Manager mit Spielern anderer Vereine, obwohl sie es noch gar nicht dürften. Natürlich gibt es Ungerechtigkeiten, aber das sind auch relativ offene Geheimnisse. Man weiß schon einzuschätzen, was die Wahrheit ist – wenn man drinsteckt. Von außen ist das wahrscheinlich schwieriger.

Herr Schmiedebach, wünschen Sie sich manchmal zurück in die Zeit, als der Fußball nur Fußball war?
Ganz ehrlich, ich könnte auch auf der Straße kicken, ohne dass mir jedes Wochenende 50 000 Menschen zuschauen. Fußball macht einfach Bock. Früher habe ich in Berlin jeden Tag stundenlang auf den Roten gekickt.

Auf den Roten?
Den roten Gummiplätzen. In Berlin findest du die an jeder Ecke, in Hannover leider nirgends. Hier gibt es nur Stein- oder Schotterplätze.

Haben Sie danach gesucht?
Ja, klar. Wenn ich richtig Bock auf Fußball habe, frei habe und schönes Wetter ist, nehme ich mir einen Ball und gehe auf den Bolzplatz. Da sind ja immer irgendwelche Leute, die gerade spielen wollen.

Und die freuen sich dann, dass sie mit einem Profi von Hannover 96 gekickt haben.
Die erkennen mich ja zuerst gar nicht. Bis dann irgendjemand fragt: Spielst du eigentlich im Verein?

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