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Keine Männerdisziplin mehr: die amerikanische Boxerin Claressa Shields (Bild) wird an den olympischen Spielen teilnehmen.

© dapd

Olympia 2012: Frauen aller Länder

London erlebt die weiblichsten Spiele der Geschichte: Jede Nation hat Athletinnen dabei, kein Wettkampf ist mehr nur Männern vorbehalten. Selbst in der Führungsriege des IOC tut sich etwas.

Aus einer Studentensportlerin aus den USA ist von einem auf den anderen Tag eine Botschafterin für Frauen in der ganzen arabischen Welt geworden. Sarah Attar, 19 Jahre alt, Mittelstreckenläuferin, Trainingsort San Diego, wird bei den Olympischen Spielen als erste Frau für Saudi-Arabien teilnehmen, gemeinsam mit der Judoka Wojdan Shaherkani. „Es ist eine große Ehre für mich. Ich glaube fest daran, dass mein Start zu mehr Beteiligung von Frauen im Sport beitragen kann“, sagte sie vor den Spielen in London. Ihre Schritte auf der Laufbahn auf den 800 Metern werden am 8. August auf jeden Fall ein Ereignis für die Weltöffentlichkeit.

Die Olympischen Spiele in London sind die Spiele der Frauen. Zum ersten Mal haben alle 204 teilnehmenden Länder auch Frauen zu den Spielen geschickt. In Atlanta vor 16 Jahren hatten noch 26 Mannschaften nur aus Männern bestanden. Nun haben es sich auch die letzten drei fehlenden Länder anders überlegt, Katar, Brunei und eben Saudi-Arabien, der wohl größte Problemfall. Es ging hin und her zwischen dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und den saudischen Sportfunktionären. Wir kommen ohne Frauen, hieß es schon zwischendurch, bis auf einmal Sarah Attar und Wojdan Shaherkani gefunden wurden.

Dass beide nicht in Saudi-Arabien leben, scheint in diesem Fall nicht so wichtig zu sein, und an der Qualifikationsnorm wäre Sarah Attar auch vorbeigelaufen. Das Zeichen zählt. Vielleicht wäre es auch sonst gar nicht so weit gekommen, denn viele Rechte werden Frauen in Saudi-Arabien nach wie vor strikt verwehrt. „Wenn man in der Schule Sport für Mädchen in einem Alter verbietet, in dem sie ausprobieren könnten, wo ihre Talente liegen, verweigert man Millionen die Möglichkeit, auf irgendeinem Niveau Sport zu treiben, selbst auf Hinterhofniveau“, sagte Minky Worden, Direktorin bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Teilnahme der arabischen Sportlerinnen an den Olympischen Spielen sei aber erfreulich.

Olympia 2012: Die internationalen Stars

„Es ist ein Schritt nach vorne“, sagte Jacques Rogge, der Präsident des IOC, „aber es bleibt noch viel zu tun.“ Dass nun Frauen aus 204 Ländern dabei sind, wird vor allem Rogges Engagement zugeschrieben. Bei der Eröffnungsfeier ließ Katar sogar die Fahne von einer Frau tragen, von der Schützin Bahija al Hamad. Etwa ein Drittel der Länder wurden von einer Athletin ins Stadion geführt.

Olympia mit Frauen: "uninteressant, unpraktisch, unästhetisch"

Der Gründer der neuzeitlichen Spiele, Pierre de Coubertin, hatte für Frauen keinen Platz bei Olympia vorgesehen. „Olympische Spiele mit Frauen wären unkorrekt, unpraktisch, uninteressant und unästhetisch.“ Coubertin hielt Frauen nicht für Wettkampfwesen. Bei den zweiten neuzeitlichen Olympischen Spielen 1900 in Paris nahmen jedoch auch Frauen teil, und als die Spiele 1908 erstmals nach London kamen, waren 27 der gut 2000 Teilnehmer weiblich. Heute sind es 4800 von 10.500.

Um ihre Teilnahme zu erhöhen, ist bei diesen Spielen eine weitere Lücke geschlossen worden, die der Sportarten. Jetzt gehört auch Frauenboxen zum Programm, Boxen war bisher die letzte Disziplin, die Männern vorbehalten war. Bei den Winterspielen in zwei Jahren in Sotschi werden zum ersten Mal Frauen von der Schanze springen.

Die Boxerinnen bekommen in London sicher ebenso viel Aufmerksamkeit wie die arabischen Sportlerinnen. Gerade die Teilnahme der saudischen Judoka Wojdan Shaherkani offenbart jedoch die Schwierigkeiten. Sie dürfe nicht mit dem Hijab, der muslimischen Kopfbedeckung starten, wurde ihr vom Internationalen Judo-Verband mitgeteilt. Das entspreche nicht den Regeln und berge in einer Sportart mit Würfen und Haltegriffen Verletzungsgefahr. Das Problem scheint noch nicht gelöst, die Delegation aus Saudi-Arabien hat sogar damit gedroht, die ganze Delegation zurückzuziehen.

Frauen unter sich. Erstmals schickt auch Saudi-Arabien Athletinnen zu Olympia – weibliche Judoka gibt es schon länger.
Frauen unter sich. Erstmals schickt auch Saudi-Arabien Athletinnen zu Olympia – weibliche Judoka gibt es schon länger.

© REUTERS

Das IOC will wieder vermitteln. Bisher hat es sich beim Thema Kopftuch nicht groß eingemischt. Für die Regeln seien die Fachverbände zuständig, das war die Haltung. „Ich fände es gut, wenn das IOC in dieser Frage vorangehen würde“, sagte Ilse Ridder-Melchers, die Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), es gebe bestimmt Lösungen, die den Sicherheitsanforderungen wie auch den religiösen Vorschriften entsprächen.

Erst kürzlich hatte der Weltfußballverband Fifa das Tragen von Kopfbedeckungen bei Frauen zugelassen. Rücksicht bei Bekleidungsvorschriften und der Organisation ist für Ridder-Melchers die Voraussetzung, um auch in Deutschland mehr Migrantinnen zum Sport zu bringen. „Viele wollen gerne schwimmen, aber nicht, wenn ihnen dabei Männer zuschauen.“ In London ist das IOC in der Frauenfrage noch einen weiteren kleinen Schritt vorangekommen. Im 15-köpfigen Exekutivkomitee sitzen jetzt drei Frauen. Neben der Schwedin Gunilla Lindberg und der Marokkanerin Nawal el Moutawakel gehört nun die ehemalige deutsche Fechterin Claudia Bokel als Athletenvertreterin der olympischen Regierung an.

„Es muss Normalität werden, dass Frauen in Führungspositionen vertreten sind“, sagte Ridder-Melchers. „Wir wissen , dass Unternehmen innovativer sind, wenn Frauen in der Führung sind, und unser Sportentwicklungsbericht hat gezeigt, dass Vereine mit Frauen in der Spitze weniger finanzielle Probleme haben und kreativer arbeiten.“

Nawal el Moutawakel, Olympiasiegerin 1984 über 400 Meter Hürden, wurde sogar zur Vizepräsidentin gewählt und hat schon die Evaluierungskommission für die Spiele 2012 und 2016 geleitet. Ihr Name fällt auch gelegentlich, wenn es um die Nachfolge für Jacques Rogge im nächsten Jahr geht.

Ob sie gewählt wird oder nicht – eine Muslima an der Spitze des IOC ist auf jeden Fall denkbar geworden.

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