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Letzter Schliff am Meisterwerk.

© AFP

Viertelfinale Polen - Portugal: Cristiano Ronaldo: Bewundert, aber nicht geliebt

Wenn Cristiano Ronaldo heute im EM-Viertelfinale mit Portugal auf Polen trifft, ist ihm die Ablehnung der Zuschauer sicher. Über einen genialen Fußballer, der einfach nicht gemocht wird.

Am Donnerstag also Portugal gegen Polen. Es ist ein Viertelfinale mit regionaler Vorbelastung. In Frankreich leben geschätzt 1,3 Millionen Menschen mit portugiesischen Wurzeln, immerhin drei Spieler des portugiesischen EM-Kaders sind hier geboren, unter anderem der künftige Dortmunder Raphael Guerreiro. Und doch wird die überwiegende Mehrheit der Franzosen im Velodrome von Marseille für Polen brüllen. Oder besser: gegen Portugal. Noch besser: gegen Cristiano Ronaldo.

Keiner ruft „Ronaldo!“, wenn Lionel Messi spielt

Cristiano Ronaldo ist einer der besten Fußballspieler der Welt, aber er trägt ein Problem mit sich herum, das keiner seiner Konkurrenten hat. Die neutrale Allgemeinheit mag ihn einfach nicht. Ronaldo wird in allen auswärtigen Stadien ausgepfiffen, gern auch verhöhnt mit „Messi!“-Rufen. Keiner ruft „Ronaldo!“, wenn Lionel Messi spielt. Selbst Zlatan Ibrahimovic hat im Laufe der vergangenen Jahre trotz aller Eskapaden den Status eines liebenswerten Großmauls erlangt. Cristiano Ronaldo wirkt in der öffentlichen Wahrnehmung immer unsympathischer. Trotz aller Tore, die er für Real Madrid und Portugal schießt. Trotz aller Rekorde, die er bricht.

Warum eigentlich?

Ronaldo müht sich in Frankreich. Er war es, der in der Verlängerung des Achtelfinales das entscheidende Tor gegen Kroatien inszenierte, aber gefeiert wurde der Schütze, Ricardo Quaresma, der vor dem leeren Tor nur noch den Kopf hinhalten musste. Ronaldo hat ein großartiges Tor geschossen im Vorrundenspiel gegen Ungarn, aus vollem Lauf mit der Ferse hinter dem Standbein, es war das bisher raffinierteste bei der Europameisterschaft. Nach dem Spiel gegen Österreich posierte er für ein Selfie mit einem Flitzer, den die Ordnungskräfte schon abführen wollten, was Ronaldo gestenreich verhinderte.

Es ist dieser Ronaldo, der in Erinnerung bleibt

Für einen Moment wurde die Maschine zum Mensch und Ablehnung schlug weltweit in Sympathie um. Aber schon ein paar Tage später war die Geschichte wieder vergessen, als er beim Spaziergang mit der Mannschaft einem Reporter das Mikrofon aus der Hand riss und in einen See warf, ohne den Mann dabei überhaupt anzuschauen. Es ist dieser Ronaldo, der in Erinnerung bleibt. Ein Ronaldo, der hochmütig über den isländischen Jubel nach dem 1:1 gegen Portugal herzog. Ein Ronaldo, der vor laufender Kamera nicht sein Trikot mit dem Isländer Aron Gunnarsson tauschen mochte. Dass Gunnarsson später erzählte, Ronaldo sei ein prima Kerl und habe ihm sein Leibchen im Kabinengang gegeben, hat schon keinen mehr interessiert.

„Plan A: eine Machete! Plan B: ein Maschinengewehr!“

Alex Ferguson hat mal gesagt, es gebe nur zwei Möglichkeiten, Ronaldo zu stoppen: „Plan A: eine Machete! Plan B: ein Maschinengewehr!“ Der Trainer Ferguson hat Ronaldo auf die Weltbühne geholt, im Sommer 2003, als er mit Manchester United zu einem Testspiel bei Sporting Lissabon gastiert. United ist gerade zum 15. Mal Meister geworden, aber der 18-jährige Ronaldo schert sich einen Dreck um große Namen und englische Grätschen. 90 grandiose Minuten lang narrt er Uniteds Verteidigung mit seinen Finten, und noch auf dem Rückflug nach Manchester besteht Ferguson darauf, das Bürschlein aus der portugiesischen Sonne in den nordenglischen Regen zu holen.

Cristiano Ronaldo kommt über England wie ein Kulturschock

Für 17,5 Millionen Euro wechselt Ronaldo ein paar Wochen später nach Manchester. Die Premier League von 2003 ist noch nicht das Spektakel von heute, sondern eine eher körperlich geprägte Veranstaltung, in der Grätschen mehr gefragt sind als kunstvolle Dribblings. Cristiano Ronaldo kommt über England wie ein Kulturschock. Bei seinem Debüt gegen Bolton sitzt er erstmal auf der Bank. Wer sich den Ronaldo von damals anschaut, sieht einen anderen Menschen, einen anderen Fußballspieler. Das Haar ist noch nicht gegelt, sondern lockig und mit blonden Strähnchen durchsetzt. Babyspeck und Pubertätspickel zeichnen seine Pausbacken, das Trikot fällt weit über die noch schmalen Schultern, über den schwarzen Stutzen trägt er weiße Tennissocken.

Nach einer Stunden kommt Ronaldo für Nicky Butt ins Spiel, er kaut aufgeregt auf einem Kaugummi. Gleich nach ein paar Sekunden wird er wüst umgegrätscht. Ronaldo schüttelt sich kurz, aber schon ein paar Sekunden später schiebt er sich den Ball durch die eigenen Beine, touchiert ihn dabei mit der Ferse, lässt zwei Gegner ins Leere laufen, und das Publikum rast vor Begeisterung.

Der BBC-Reporter japst: „Absolutely sensational!“

Cristiano Ronaldo hüpft über den Platz wie Bugs Bunny und legt gleich los mit seinen Übersteigern, bei denen seine Beine in langen Schlaufen über den Ball kreisen. Die Gegner wissen nicht wohin, sie versuchen ihn zu treffen und kommen doch immer zu spät, denn Ronaldo führt seine Zirkustricks in atemberaubender Geschwindigkeit vor. Der BBC-Reporter japst: „Absolutely sensational!“ Der „Guardian“ verpackt seine Ehrerbietung in die schöne Formulierung: „Der Mann hat mehr Tricks drauf als ein Fass voller Zirkusaffen.“

Schon der frühe Ronaldo offenbart in seiner Kunst einen Zug, der es nicht leicht macht, ihn zu lieben. Er legt es darauf an, seine Gegner lächerlich zu machen, mit albernen Hackentricks und Pässen hinter dem Standbein. Aber er ist eine Attraktion, für die das Publikum ins Stadion geht, und England ist die beste Schule, die es für so einen gibt. Wer sich als Zirkusartist in der geerdeten Wirklichkeit zwischen Sunderland und Southampton durchsetzt, muss nichts mehr fürchten. Ronaldo holt sich in Manchester Wettkampfhärte und Respekt. Er schießt mit rechts so gut wie mit links und ist ein exzellenter Kopfballspieler. Und strahlt doch immer das Vergnügen eines Kindes aus, dessen bester Freund der Ball ist.

Wo ist dieser Ronaldo heute? Wo ist seine Freude am Spiel?

2009 zieht Cristiano Ronaldo weiter zu Real Madrid. Das ist ein logischer Wechsel, näher heran an die Heimat, zu einem Weltklub, dem einzigen, der ihn hätte bezahlen können, mal abgesehen vom FC Barcelona. Aber wer kann sich Ronaldo schon in Barcelona vorstellen? Beim guten Gewissen des Kommerzfußballs, auf der Seite der ewig Unterdrückten und der Unabhängigkeit Kataloniens?

Er ist Vater eines Sohnes, dessen Mutter keiner kennt

Madrid hat Ronaldo verändert. Aus dem Spaßkind ist eine Tormaschine geworden, programmiert auf immer neue Rekorde. Sein Antrieb ist nicht mehr Phantasie, sondern Präzision, sein Auftrag die Pflege der Marke CR 7. Cristiano Ronaldo spielt nicht mehr für das Publikum, er schießt Tore für die Geschichtsbücher. Vor seinen Freistößen stellt er sich breitbeinig hin wie einst John Wayne, aber wann ist denn zuletzt mal einer reingegangen? Ronaldo zeigt kaum noch Übersteiger, dafür einstudierte Jubel-Choreographien. Er ist Vater eines Sohnes, dessen Mutter keiner kennt, was in dieser Kombination auch nicht so häufig vorkommt. In der Öffentlichkeit redet Ronaldo bevorzugt und in den höchsten Tönen von sich selbst. Gerade erst hat er sich zum „besten Spieler der vergangenen 20 Jahre“ gekürt, „das ist nicht meine Meinung, die Ergebnisse beweisen es“.

Wo ist der Makel, der ihn sympathisch macht?

Ronaldo ist ein perfekter Athlet und großartiger Fußballspieler, der erste auf dem Trainingsplatz und der letzte der geht, nach hunderten von Situps und Freistößen. Er hat keine Probleme mit der Steuerfahndung wie Messi und keine halbkriminelle Vergangenheit wie Ibrahimovic. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung sind Messi und Ibrahimovic Menschen geblieben mit menschlichen Makeln. Cristiano Ronaldo ist das androgyne Kunstprodukt CR7. Einer, der bewundert wird und doch nie geliebt. Am Donnerstag in Marseille werden sie wieder „Messi!“ rufen.

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