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Betrug mit Stradivaris: Total vergeigt

Um sieben Uhr klingelt die Polizei – Haftbefehl. Dietmar M., weltgrößter Stradivari-Händler, soll Kunden um 27 Millionen Euro geprellt haben. Die Geschäfte mit teuren Violinen geraten weltweit immer öfter außer Rand und Band.

Der Mann mit dem Geigenkasten ist mit einem italienischen Immobilientycoon verabredet. In der Schweiz, es geht um 40 Millionen. Der Mann ist ein ganz Großer, Dietmar M. aus Bremen, der wichtigste Verkäufer von Stradivari-Geigen weltweit, mit Niederlassungen in Wien, Berlin, New York, Tokio. Seine Kunden sind Banken und Stiftungen, Leute, die Millionen für ein Instrument bezahlen. Wie der Italiener, dem M. 17 alte Geigen verkaufen will. Was M. nicht weiß: Zielfahnder sind hinter ihm her, sie hören sein Handy ab. Um sieben Uhr morgens klingeln sie in Zermatt am Fuße des Matterhorns an seiner Tür.

Seit März sitzt M. nun in Schweizer Auslieferungshaft. In Österreich warten sie schon auf ihn. M. soll ein Millionenbetrüger sein, die Wiener Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Veruntreuung und gewerbsmäßigem schweren Betrug. M., so der Vorwurf, habe Geigen verkauft, deren Wert er entweder zu hoch ansetzte oder die er gar nicht hatte. „Geigen-Madoff“ nennen ihn die Wiener, der Schaden soll 27 Millionen Euro betragen. Noch immer klingeln bei den Ermittlern die Telefone. Aus Österreich, Deutschland und Übersee melden sich Geschädigte. Musiker, Händler und vor allem Banken. Was M. in der Schweiz genau vorhatte, ist unklar.

Es geht um die berühmtesten Instrumente der Welt. Geigen, die schon Paganini besaß und die längere Herkunftsgeschichten haben als die meisten Hochadeligen. Und die vor allem sehr teuer sind. Gerade erst hat wieder eine Geige Geschichte geschrieben: die „Lady Blunt“, benannt nach ihrer Besitzerin, alle Stradivaris haben Namen, die ein bisschen wie Rennpferde klingen. Fast 300 Jahre alt und so gut erhalten wie nur eine einzige andere Stradivari. Im Juni wurde sie in Japan für 15,9 Millionen Dollar versteigert.

Etwa 600 Strads, wie Kenner sagen, gibt es noch. Dazu kommen ein paar Dutzend Celli und die 150 Geigen, die Stradivaris Landsmann Guarneri del Gesù baute. Viele Instrumente gehören Stiftungen oder Banken wie der österreichischen Nationalbank, die ihre acht Stradivaris etwa an die Konzertmeister der Wiener Philharmoniker verleiht. Die Geigerin Anne-Sophie Mutter besitzt sogar zwei, eine auch André Rieu.

Nicht einmal tausend Geigen – das ist ein winziger Markt. Auf dem tummeln sich Händler, Experten, Musiker und Investoren aus aller Welt, so viele, dass man inzwischen vom „Stradivari-Wahn“ spricht. Viele wittern das schnelle Geld, Geigen haben in den vergangenen Jahrzehnten so viel an Wert gewonnen wie impressionistische Gemälde. Da hört man von Experten, die die Instrumente der anderen schlechtmachen, um ihre eigenen zu verkaufen. Von Musiklehrern, die ihren Schülern Instrumente andrehen und Provisionen einstreichen. Von überhöhten Preisen und gefälschten Instrumenten, von Schwarzgeld, geheimen Konten und manipulierten Auktionen. Früher waren in den Geigenkästen der Gangster Maschinenpistolen. Heute sind nicht selten richtige Geigen darin.

Dietmar M., 61 Jahre alt, stammt aus einer alten norddeutschen Geigenbauerfamilie. Fotos zeigen einen eleganten Mann mit junger Ehefrau und großbürgerlicher Attitüde. Immer im Maßanzug und immer dort, wo die wichtigen Leute und das große Geld waren. In Wien etwa, M.s Firmensitz.

Wien, Stadt der Musik. Im Stadtpark steht eine Statue aus Gold: der Walzerkönig Johann Strauss mit seiner Geige. Wien liebt seine Musiker, und noch mehr liebt Wien Leute wie M. Irgendetwas zwischen großzügig und größenwahnsinnig, dazu mit Schmäh. Einer Mitarbeiterin, die schwanger wurde, erhöhte M. den Lohn, mit Instrumenten, die weniger als 100 000 Euro kosteten, gab er sich nicht ab. „Mickymaus-Geigen“ nannte er sie. Und erst seine Geschichten. Die von der Stradivari, die er nach Nordkorea verkaufte, etwa. 1985 war das, da kosteten Stradivaris noch 285 000 Dollar. M. stand mit seinem Geigenkasten am Checkpoint Charlie, da fand die Übergabe statt. Gezahlt wurde in 1000-Mark-Scheinen.

In Wien wurde M. zum Ehrenprofessor ernannt und von Politikern hofiert. Ein Schloss in Niederösterreich hatte er auch und einen gelben Rolls-Royce. Die Geschäfte liefen gut. Wobei die Wiener scherzen, dass M.s Firmenzusatz „Rare Violins“ offenbar Programm war. Die Geigen machten sich irgendwann tatsächlich rar. Etwa 20 Instrumente, mit denen M. handelte, sind verschwunden. Niemand weiß, wo sie sind und ob es sie überhaupt gibt. Fest steht: M. hat es vergeigt. Die Firma ist pleite, die Gläubiger fordern 50 Millionen Euro.

Aber warum überhaupt Geigen? „Es gibt kein anderes von Menschenhand geschaffenes Instrument oder Werkzeug, das mit zunehmendem Alter immer besser wird“, sagt Marcel Richters. Richters, Leinenhemd, verwuscheltes graues Haar, ist Geigenbaumeister. Seine Werkstatt in einem Wiener Außenbezirk sieht aus wie eine schicke Arztpraxis, helle Räume, Geigen in Glasschränken. Auf einem Marmortisch liegt das Magazin „The Strad“, auf dem Cover die junge Violinistin Janine Jansen mit nackten Schultern.

Was macht die Stradivaris so einzigartig? Dass sie angeblich um so vieles süßer und dunkler klingen als andere Geigen? Ist es das Fichtenholz, ist es der Lack, wie manche Forscher glauben? Richters sagt, dass es unter anderem am ganzheitlichen Denken der Epoche liege, in der die Instrumente entstanden. Die Geigenbauer ließen sich von Architekturprinzipien genauso leiten wie von den Mondphasen, zu denen das Holz geschlagen wurde. Angeblich legte Stradivari in klaren Nächten sein Ohr an Baumstämme, klopfte Fichten ab wie unsereiner Melonen auf dem Markt.

Nicht zuletzt habe die Schönheit der Geigen mit ihren „Wildheiten, Unsauberkeiten“ zu tun, sagt Richters. Damit, dass sie gerade nicht perfekt sind oder auf eine menschliche, organische Art perfekt. Richters hat schon viel gesehen. Instrumente, die nach Russland oder China abwanderten, als Statussymbole der Neureichen. Einmal haben Diebe eine Stradivari aus einer Wiener Wohnung gestohlen. Genauso gut hätten sie die Mona Lisa klauen können, eine Stradivari wird man nicht so einfach los. Die Diebe flüchteten, die Stradivari ließen sie in ihrem Schrank hängen, an einem Kleiderbügel. Zu M. will Richters nichts sagen, er hat früher für ihn gearbeitet. Nur so viel: Diese Liga sei nichts für ihn. Ihm gehe es um den Klang, darum, Instrumente mit Musikern zusammenzubringen und mit Leuten, die sie finanzieren. „Ich würde nicht durch die Welt rasen, um eine Stradivari von hier nach da zu holen.“

Roger Hargrave, Brite mit einem Humor so trocken wie Geigenholz, ist einer der wichtigsten Sachverständigen. Geigen als Investition? „Man sagt: Pferde und Geigen soll man nicht kaufen.“ Selbst wo Experten sind, könne man über den Tisch gezogen werden, da die meisten Experten handeln. Im besten Fall ist das ein Interessenkonflikt. Im schlechtesten Fall geht es einem wie der Bank, die eine Stradivari als Kapitalanlage kaufte. Bloß, dass das Holz viel jünger war als die angebliche Stradivari. Und da sind noch die Musiker. 99 Prozent aller Geigen, die verkauft werden, gehen an Musiker, sagt Hargrave. Die Geige, oft so teuer wie ein Einfamilienhaus, ist Handwerkszeug und Alterssicherung. „Da geht es um Existenzen“, sagt Hargrave.

Hargrave kann viel von schönen Instrumenten und schmutzigen Geschäften erzählen. Einmal kam eine jüdische Familie zu ihm, die aus Russland geflohen war und ihr gesamtes Vermögen in eine Stradivari gesteckt hatte. Als er das Instrument schätzen sollte, musste er ihnen sagen, dass es höchstens 50 Mark wert war.

Dieser Tage guckt sich Hargrave die Instrumente an, die M. deutschen und österreichischen Banken gegen Millionenkredite übergab. Sechs Banken hätten „Schrott gekauft“, sagt Hargrave. Mickymaus-Geigen gewissermaßen. Oft sei der Wert der Geigen viel zu hoch angesetzt gewesen, die Gutachten habe M. selbst schreiben dürfen. „Das ist so, als käme ich mit Glassteinen und sage: Ich hätte gerne einen Kredit, hier sind Diamanten“, sagt Hargrave. „Und die Bank fragt: Woher wissen wir, dass es Diamanten sind? – Kein Problem, ich schreibe Ihnen ein Zertifikat.“ Manchen Geldinstituten ist das so peinlich, dass sie nicht einmal Anzeige erstatten wollen.

M. hatte es leicht. Die Banker glaubten ihm, wenn er sagte, er habe die Geigen gerade nicht zur Hand, weil sie gespielt werden müssten. Oder er behauptete, er könne die Instrumente am besten selbst aufbewahren. Stradivari – der Klang hat schon viele betört.

Ulrike Dederer hatte Herzklopfen, als sie das erste Mal eine Stradivari in Händen hatte, mit dem typischen Schriftzug unter dem F-Loch: „Antonius Stradiuarius Cremonensis faciebat Anno …“ Dederer, Geigenbauerin aus Ludwigsburg, steht in heller Schürze an ihrem Arbeitstisch in einem Zürcher Dachgeschoss. An den Wänden stapelt sich Holz, es riecht nach Lack. Dederer fädelt einen Kleiderbügel um eine Geige und hängt sie vor ihr Fenster zum Trocknen.

Dederer hat für M. Geigen restauriert. Zu flicken ist an Geigen immer etwas, Risse, die Schäden der Vorgänger. Irgendwann hat Dederer beschlossen, nur mehr selbst Geigen zu bauen. Viele finden den Klang der Stradivaris ohnehin überschätzt, Musiker wie etwa Christian Tetzlaff bevorzugen längst moderne Geigen. Eine von Dederers Geigen, ein Amati-Modell, hat gerade den dritten Preis beim Wieniawski-Wettbewerb gewonnen, eine Art Oscar des Geigenbaus.

Der Stradivari-Wahn wird trotzdem nicht so schnell abklingen, glaubt der Sachverständige Hargrave. Für ihn der Grund, warum es nach dem Fall M. in der Branche so still ist. Es hängen zu viele mit drin, auch mit M. haben einige Leute gute Geschäfte gemacht. Haben Provisionen eingestrichen, am Zwischenhandel verdient. „Auf Englisch heißt Geige ‚fiddle’“, sagt Hargrave. „Aber ‚to fiddle’ heißt auch betrügen.“

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