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DDR: Vor Dorffesten wurden die Gewehre eingesammelt

Zu DDR-Zeiten war privater Waffenbesitz streng reglementiert. Doch trotz der scharfen Kontrolle kannte sich so gut wie jeder im Osten mit der Handhabung von Gewehren aus - und der Schießsport wurde gefördert.

Die Täter schießen nicht. Stattdessen würgen, unterschlagen, stehlen, betrügen, erpressen oder schlagen sie. Nur die Polizei besitzt Pistolen, die sie aber nur im Schießstand und zur Einschüchterung einsetzt. Während heute in nahezu jedem Krimi ein Schuss fällt, kam die Reihe „Polizeiruf 110“ zu DDR-Zeiten fast ohne jegliche Ballerei aus. Warum auch nicht? Der Privatbesitz an Waffen war bis auf Ausnahmen unmöglich. Selbst die wenigen privilegierten Jäger erhielten Gewehre erst nach intensiver und oft jahrelanger Prüfung auf Zuverlässigkeit. Schützenvereine gab es nicht. „Vor wichtigen Feiertagen sammelte die Polizei außerdem die wenigen Waffen in Privatbesitz ein, um jegliches Risiko bei zu starkem Alkoholgenuss auszuschalten“, erinnert sich Wolfgang Blasig, der Landrat von Potsdam- Mittelmark. So sollte verhindert werden, dass Betrunkene bei Dorffesten zur Waffe greifen. Heute stellt der Waffenerwerb auch im Osten kein großes Problem dar, sei es auf legale oder auf illegale Weise.

Vor allem nach dem Silvestertag 1982 hatten es Waffennarren in der DDR ganz schwer, ihrem Hobby zu frönen. Denn die Stasi reagierte nach einem bis zu diesem Zeitpunkt für unmöglich gehaltenen Vorfall geradezu panisch. Schließlich war an diesem Tag ausgerechnet ein zum Personenschutz von Parteichef Erich Honecker gehörender Offizier nach einem Schuss lebensgefährlich verletzt worden. Bei dem später als angebliches Attentat auf Honecker beschriebenen Ereignis bei Klosterfelde nördlich von Berlin geschah etwas, was aus Sicht der Führungsriege gar nicht sein durfte: Der Ofensetzer Paul Eßling hatte mit seinem Lada der Honecker-Wagenkolonne die Vorfahrt genommen und war dann nach einer Verfolgungsjagd gestoppt worden. Bei der anschließenden Kontrolle griff er zu einer Pistole. Ohne Vorwarnung drückte der Mann ab, verfehlte das Herz eines Stasioffiziers um zwei Zentimeter und richtete die Waffe dann gegen seinen eigenen Kopf und tötete sich.

„Das kann doch nicht sein, der kann gar nicht schießen“, stammelte der getroffene Oberleutnant noch im Moment seines Schmerzes. So erschüttert und fassungslos war er nach Auskunft seiner Kollegen vom MfS, dass ihn tatsächlich ein DDR-Bürger mit einer echten Waffe bedroht hatte. Wie der Handwerker in den Besitz der mehrere Jahrzehnte alten Pistole kommen konnte, blieb im Dunkeln. Wahrscheinlich hat er sie aus dem Nachlass seines Vaters, eines Polizisten, genommen oder als Tauschobjekt gegen gefragte Ofensetzerarbeiten von einem offiziellen Waffenträger erhalten. Dazu gehörten nicht nur die Stasitruppen, sondern auch Polizei, Nationale Volksarmee (NVA) und Sowjetarmee. Doch trotz der scharfen Kontrolle kannte sich so gut wie jeder im Osten mit der Handhabung von Gewehren aus. „An den Schulen gab es ‚Arbeitsgemeinschaften Schießen‘, und in den Urlaubsorten gehörten Schießwettkämpfe stets zu den Höhepunkten“, erinnert sich Irina Gläser, die heutige Chefin des DDR-Museums in Malchow. „Es handelte sich zwar nur um freiverkäufliche Luftgewehre, aber die konnten durchaus auch gefährlich werden.“ Fast jede Schule besaß einen Satz dieser Waffen, die im Keller eingeschlossen waren. Schließlich brauchte man sie regelmäßig – etwa beim „Manöver Schneeflocke“ für die Pioniere oder den Hans-Beimler-Wettkämpfen für die Großen. Nach der Einführung des Wehrunterrichtes an allen Schulen 1978 gehörten Übungen mit Luftgewehren und Kleinkaliberwaffen zum Alltag.

Außerhalb der Schule kümmerte sich die „Gesellschaft für Sport und Technik“ (GST) um beste Schießleistungen. Im Vordergrund stand die Werbung um Berufs- und Unteroffiziere für die NVA. Die Wehrspartakiaden gehörten zu den propagandistischen Höhepunkten. Nicht zuletzt zog der Leistungssport seine größten Talente im Schießsport aus den GST-Gruppen.

Über den Einsatz von Waffen im Alltag drang kaum etwas ans Tageslicht. So manches Ereignis wurde erst beim Studium der Stasiunterlagen bekannt. So wollte im Mai 1983 ein Bauarbeiter eine S-Bahn im Bahnhof Friedrichstraße nach Westberlin entführen. Das Luftdruckgewehr und die Munition hatte er sich kurz zuvor in der „Suhler Jagdhütte“ am Alexanderplatz gekauft. Nach einem Schusswechsel scheiterte der von vornherein aussichtslose Fluchtversuch. Denn die S-Bahn stand vor einem Prellbock. Für einen „Polizeiruf 110“ kam so eine Story natürlich nicht infrage.

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