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Gesundheit: Rezept mit Restrisiko

Es klingt verlockend: Eine Pille soll verhindern, dass sich Gesunde beim Sex mit HIV infizieren Doch viele Fragen sind noch offen, wie vergangene Woche ein Kongress im Roten Rathaus gezeigt hat.

Noch immer gibt es keine Impfung gegen HIV – so wie gegen die ebenfalls sexuell übertragbare Hepatitis B. Einzige Möglichkeit des Schutzes bleibt, neben Treue und Vertrauen, „Safer Sex“. Dabei denkt man automatisch an Kondome. Das ist und bleibt richtig. Doch inzwischen ist eine neue Diskussion entbrannt: Um eine Pille zur Verhütung von HIV. In den USA hat die Food and Drug Administration (FDA) kürzlich empfohlen, ein Medikament zuzulassen, das HIV-Negative einnehmen können, um sich vor einer Infektion mit dem Virus zu schützen. Es enthält zwei der Wirkstoffe, die auch in der Behandlung HIV-Positiver eingesetzt werden und sie vor dem Ausbruch von Aids schützen. „Wir stehen damit am Beginn einer neuen Dimension der Präventionsstrategie“, meint der Berliner Internist und HIV-Experte Keikawus Arastéh, Chefarzt der Klinik für Infektiologie im Vivantes Auguste Viktoria Klinikum.

Mehrere Studien mit heterosexuellen Paaren, von denen ein Partner mit HIV infiziert war, haben gezeigt: Man kann damit einen etwa 70-prozentigen Schutz des negativen Partners erreichen – vorausgesetzt, das Mittel wird regelmäßig eingenommen. „Auch dann bleibt aber ein Restrisiko, dem man klar ins Auge schauen muss“, sagt Arastéh. Er plädiert trotzdem dafür, dass Ärzte mit Ratsuchenden offen über die Option sprechen. Nicht nur mit Menschen, die mit Kondomen auf Dauer nicht leben können oder wollen, sondern auch mit Frauen, die sich von einem positiven Partner ein Kind wünschen. Einige aus dieser Gruppe können möglicherweise auf Kondome oder die Anti-HIV-Pille ganz verzichten. Anfang 2008 machte eine Empfehlung der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen Furore: Infizierte, die in fester, treuer Partnerschaft leben, seit mindestens sechs Monaten die antiretrovirale Therapie (ART) gewissenhaft einhalten und bei denen sich das Virus nicht mehr nachweisen lässt, können zusammen mit ihrem HIV-negativen Partner auf Kondome verzichten. Denn dann ist die Gefahr einer Ansteckung ausgesprochen gering. Läuft alles gut, hat ART hier eine Doppelfunktion: Sie schützt den Positiven davor, Aids zu entwickeln, und den Negativen vor einer HIV-Ansteckung.

Eine frohe Botschaft, die aber nur wenigen nützt. Die Meisten infizieren sich nämlich bei Gelegenheitspartnern, auf deren Zusicherungen man sich nicht verlassen kann. Meist trifft es homosexuelle Männer. Rund 80 000 leben in Berlin, jeder Zehnte ist infiziert. Einige wissen es (noch) nicht. Den meisten merkt man es nicht an, da sie das Virus mit Medikamenten in Schach halten können. Nur wenige sind an Aids erkrankt. Allerdings könnten sie theoretisch andere anstecken. Die Idee einer Pille zur Risikominderung klingt also verlockend. Das Stichwort lautet: Präexpositionsprophylaxe, kurz PreP. Auch die Deutsche STI-Gesellschaft (Sexually Transmitted Infections) hat sich auf einem Kongress vor drei Tagen im Roten Rathaus diesem Thema gewidmet.

Kongresspräsident Norbert Brockmeyer von der Universität Bochum äußerte sich skeptisch, nicht allein wegen der hohen Kosten, die bei rund 800 Euro monatlich liegen würden: „Neben dem Risiko der Nebenwirkungen besteht auch die Gefahr, Resistenzen zu entwickeln, so dass im Falle einer HIV-Infektion später weniger Therapieoptionen bestehen.“ Und der Spezialist Jean-Michel Molina vom Pariser Hôpital Saint-Louis meint: „Über lange Jahre täglich eine solche Pille zu nehmen, ist im Alltag kaum praktikabel.“ In Frankreich läuft eine Studie an, in der das Medikament Truvada (mit den Wirkstoffen Tenofovir und Emtricitabin) von schwulen Männern mit hohem Risiko „nach Bedarf“, also in den Tagen rund um eine geplante sexuelle Begegnung, eingesetzt werden soll. An dieser Studie, genannt IPERGAY (Intervention Préventive de l'Exposition aux Risques avec et pour les Gays), nehmen 300 Männer teil. Sie werden nach dem Zufallsprinzip mit dem Arzneimittel oder einem Scheinpräparat versorgt, außerdem wird ihnen nahegelegt, Kondome zu benutzen. Molina und seine Kollegen wollen so herausfinden, ob das Kombipräparat unter Alltagsbedingungen geeignet ist, die Neuinfektionen zu reduzieren.

Kritiker fürchten, eine solche Studie könne HIV-negative Männer geradezu ermutigen, das Risiko zu suchen. Molina hält dem entgegen, dass das ohnehin jeden Tag passiert. Für den Notfall zugelassen ist schon heute die Postexpositionstherapie (PEP): Hier wird – möglichst rasch nach dem ungeschützten Sex mit einem HIV-positiven Partner – ebenfalls eine ART begonnen. Arastéh findet es wichtig, dass auch zur PreP weiter geforscht wird. „Vieles ist noch ungeklärt: Für welche Gruppe von Menschen käme eine solche Vorbeugung überhaupt in Frage? Welche Wirkstoffe und Kombinationen sind am besten geeignet? Wie lange dauert es, bis nach der Einnahme ausreichende Wirkspiegel aufgebaut sind?“ Nur eines ist angesichts dieser Flut von Fragen sicher: „Sicher“ ist die umstrittene Methode längst noch nicht.

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