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Entspannung ist anderswo. Polizisten und Aufsichtspersonal sollen den korrekten Ablauf der Prüfungen sichern, die Prüflinge werden auch mit Kameras überwacht.

© REUTERS

Infusionen, Hormongaben und Aberglaube: Wie chinesische Schüler um Studienplätze kämpfen

Dass die Abiturprüfung „Gaokao“ in China noch wichtiger ist als der russische Präsident Wladimir Putin und der afghanische Präsident Hamid Karsai, das hat das chinesische Außenministerium in dieser Woche öffentlich gemacht.

Es verschob kurzerhand in Peking den Beginn eines Treffens der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit. „Die Zusammenkunft wird eine halbe Stunde später als ursprünglich geplant stattfinden“, berichtete ein Beamter des Außenministeriums der amtlichen Nachrichtenagentur „Xinhua“, „das soll den Verkehr für die Prüflinge minimieren, die zu den jeweiligen Prüfungszentren in der Stadt eilen“.

Die zweitägigen landesweit vereinheitlichten Gaokao-Prüfungen, die am Freitag in China zu Ende gehen, haben das ganze Land in einen Ausnahmezustand versetzt. Wie in jedem Jahr. Überall in China soll jede Art von Lärmbelästigung für die Prüflinge vermieden werden. Vor den Prüfungszentren stehen Schilder mit der Aufschrift „Während der Gaokaos langsamer fahren“, in Peking dürfen Krankenwagen ihre Sirenen zwei Tage lang nicht benutzen, in Xi’an herrscht auf den Baustellen ein zweitägiges Arbeitsverbot. Besonders leise sollen die Autofahrer am Freitagnachmittag sein – dann findet der Englisch-Hörtest statt. Die Ergebnisse der Gaokaos entscheiden, ob und auf welche Universität die Schüler gehen dürfen. In diesem Jahr streiten sich 9,15 Millionen junge Chinesen um 6,85 Millionen Plätze an den Universitäten.

„Die Gaokao-Prüfung ist das wichtigste Tor im Leben“, sagt der Regisseur Wang Yang, der einen Dokumentarfilm über die Vorbereitungen gedreht hat. „Für die Studenten aus armen, ländlichen Gegenden ist es die einzige Chance ihre ländliche Identität aufzugeben und eine Chance in den großen Städten zu suchen.“ Der Druck auf die Prüflinge ist enorm. Die Erwartungen der Eltern und der Großeltern lasten auf den Kindern, die aufgrund der Einkindpolitik oftmals alleinige Hoffnungsträger in der Familie sind. Immer wieder gibt es Schüler, die dem Druck nicht standhalten und Selbstmord begehen. Im letzten Jahr stürzte sich ein Schüler aus dem sechsten Stock eines Schulgebäudes und starb – angeblich war er 15 Minuten zu spät zur Prüfung erschienen.

Schon Monate vor der Prüfung ist der Druck hoch. In diesem Jahr machten Bilder aus der Mittelschule Nr. 1 in Xiaogan in der Provinz Hubei Schlagzeilen. Dort ließ sich eine gesamte Klasse in ihrem Klassenzimmer Infusionen legen, um mehr Energie zum Lernen für die Gaokao zu haben. „Ein seltsames Land, ein perverses Erziehungssystem“, lautete einer der chinesischen Kommentare im Internet dazu.

Unmittelbar vor den Prüfungstagen steigt die Anspannung weiter. Viele Eltern mieten für ihre Kinder ein Hotelzimmer oder eine Wohnung in der Nähe der 310 000 Prüfungszentren, von denen 94 Prozent mit Überwachungskameras gegen Schummler ausgerüstet sein sollen. Der Umzug soll die Wege der Schüler an den Prüfungstagen minimieren und ihnen während der dreieinhalbstündigen Mittagspausen eine Rückzugsmöglichkeit geben. Räume in der Nähe der Prüfungszentren sind monatelang vorher ausgebucht. Besonders begehrt und deshalb teurer sind Hotelzimmer mit den chinesischen Glückszahlen 6 und 8. Oder Zimmer, in denen in den Prüfungsjahren zuvor Schüler wohnten, die besonders gut abgeschnitten haben. Der Aberglaube lässt die Preise für solche Zhuangyuan-Zimmer (Räume der Besten) nach oben schnellen.

Inzwischen boomt laut der Zeitung „China Daily“ auch die Branche der „Gaokao-Nannies“. Das sind Kindermädchen, die für die Schüler in den Tagen vor der Prüfung nicht nur kochen und Wäsche waschen, sondern ihnen auch Nachhilfe geben können. „China Daily“ zitiert einen Doktor aus dem Pekinger Shijitan Krankenhaus, wonach manche Eltern für ihre Töchter Hormonspritzen verlangen, um die Menstruation auf die Tage nach den Prüfungen hinauszuzögern.

Die Gaokao geht zurück auf die vereinheitlichten Beamtenprüfungen, mit denen die chinesischen Kaiser 2000 Jahre lang ihre Mandarine auswählten. Doch trotz dieser Tradition wird der alles entscheidende Test inzwischen kritischer gesehen. „China Daily“ veröffentlichte eine Statistik der Jahrgangsbesten der vergangenen Jahre, von denen keiner eine bedeutende Karriere eingeschlagen hat. Längst gibt einem ein Studium in China keine Jobgarantie mehr. Seit 2008 geht deshalb die Zahl der Teilnehmer an den Gaokao-Prüfungen zurück, auch weil Töchter und Söhne reicherer Chinesen vermehrt im Ausland, vor allem in den USA, studieren.

In diesem Jahr wurden einige Tiere für die Prüfungen geopfert. Nach Medienberichten haben Frösche in einem Teich in Qingdao die Wochen vor dem Test nicht überlebt. Weil ihr Quaken einige Schüler am Schlafen hinderte, hat das Management der Wohnanlage die Störenfriede vergiften lassen.

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