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Leben in China: Dicke Luft in Peking

In Chinas Hauptstadt bekommt man Smogwerte direkt aufs Handy – bei 120 beginnt der Alarm. Eines Tages zeigte das Display unserer Autorin: „500, Beyond Index“. Ein Erfahrungsbericht.

Ich traf Yun an einem klaren Frühlingstag in Berlin. Er war seit zwei Tagen in der Stadt. Yun kam aus China. Das alles sei ein großer Traum, sagte er. Er meinte damit nicht nur seinen Aufenthalt in der Fremde, sondern auch den Himmel, der an jenem Tag blau und sonnig strahlte. Begriffen habe ich sie damals nicht, Yuns Begeisterung für diesen Berliner Himmel, den ich selbst so oft grau erlebe. Ich begriff Yun erst, als ich seine Heimatstadt Peking kennenlernte.

Über allem hing ein dichter, klebriger Schleier. Der Smog war manchmal so dicht, dass er die Hochhäuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite verschluckte. Selbst an wolkenlosen Tagen war die Sonne nur eine schwache Funzel, statt Sonnenbrillen trugen die Pekinger Atemmasken. Gut 18 Millionen Menschen drängeln sich Tag für Tag durch die Stadt, auf den Straßen stehen fünf Millionen Autos im Stau. Ihr Hupen konnte ich in meinem Apartment im 17. Stock klar und deutlich hören, aber wenn ich aus dem Fenster sah, waren die Umrisse der Autos im Smog nur zu erahnen.

Natürlich hatte ich gehört, dass Peking ein Smog-Problem hat, dass es viele Autos und nicht so hohe Umweltstandards gibt wie in Europa. Aber vom Ausmaß des Problems hatte ich keine Ahnung. Ich war nicht darauf vorbereitet, in einer Stadt zu leben, in der die Luft gefährlich ist, in der man Angst hat, zu atmen. In der Eltern ihren Kindern auf dem Weg zur Schule zwei Schutzmasken übereinander aufsetzen, in der Hoffnung, dass doppelt besser hält. In der Flüge gestrichen werden, weil der Smog zu dicht ist. In der Freunde die Wohnung nur zum Arbeiten oder Einkaufen verlassen, um das Gemisch aus Schwefel, Kohlenmonoxid, Stickoxiden und Feinstaub möglichst zu meiden. Und einem raten, um Himmels Willen nicht zu lüften: Frischluft ist giftig. Der Smog kommt überall hin. In den U-Bahnstationen hängt klebriger Nebel, in der Wohnung klebt dreckiger Staub.

Nach der ersten Eingewöhnungszeit hatte ich mich mit dem Smog zwar nicht arrangiert, aber ich war immerhin gerüstet. In China, diesem technikverliebten Land, gibt es für alles eine „App“, auch für die Pekinger Luft. Die amerikanische Botschaft misst stündlich die Luftqualität in der Stadt, auch die Feinstaubpartikel, genannt PM 2,5, die besonders riskant für die Gesundheit sind. Man kann sich die Messwerte per Handy schicken lassen. Als ungesund gilt alles ab 150. Liegt der Wert bei 120, sollten Kranke und Kinder drinnen bleiben. Mehr als 200 bedeutet „sehr ungesund“, und liegt der Wert über 300, ist die Luft gefährlich.

Die Luftverschmutzung in Peking ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation mit die schlimmste der Welt. Die Feinstaubkonzentration liegt 15 Mal höher, als in Europa überhaupt zugelassen. Feinstaubpartikel, ausgestoßen von Fahrzeugen, Kohleöfen und Industrieanlagen, dringen in Lunge und Blutkreislauf ein, sie verursachen Krebs, Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen. Lungenkrebs ist inzwischen der größte Killer unter den Krebsarten in ganz China. Laut Greenpeace sterben jedes Jahr mehr als 650 000 Menschen an Krankheiten, die durch die Luftverschmutzung verursacht werden.

Eines Tages, als die Hochhausfassaden gegenüber meines Apartments kaum noch zu sehen waren, stand auf meinem Handy-Display: „500, Beyond Index“. Die Fenster blieben zu an jenem Tag, und ich blieb zu Hause. Erfahrung macht klug. Denn ein paar Tage zuvor, die Smogwerte waren morgens moderat und am späten Nachmittag gefährlich, hatte ich den Sommertempel besucht, einen riesigen Park am Rand des Stadtzentrums, in dem früher der Kaiser die warme Jahreszeit verbrachte. Der Tempel ist in den typischen Farben gestrichen: rot, grün und blau. Der Park ist wunderschön, es gibt Wald und sogar eine Insel, die man mit einem kleinen Boot erreicht. Natürlich machte ich unzählige Fotos. Der Smog schluckte die Farben, meine Bilder waren grau. Am Abend brannte mein Hals, und ich fühlte mich benommen.

Ich trug eine Atemmaske, mein chinesischer Freund rauchte

Danach kaufte ich mir eine Atemmaske. Es war ein einfaches Modell, das aussah wie eine Chirurgenmaske. Sie war ein bisschen zu groß, und verstellen konnte ich sie nicht. Der Effekt war bestimmt nicht sehr stark, aber ich fühlte mich sicherer damit. Bei Smogwerten außerhalb der Skala traute ich der Maske allerdings nicht, und gerne getragen habe ich sie nie. Das geht offenbar auch vielen Chinesen so, die ohne Atemschutz auf ihren Motorrollern sitzen oder sich nur ein Tuch über Mund und Nase ziehen. Vor den winzigen Feinstaubpartikeln schützt das natürlich nicht. Mein chinesischer Freund Ding kam selbst bei extrem hohen Smogwerten immer mit dem Rad zu unseren Verabredungen, eine Zigarette im Mundwinkel. Als ich ihn einmal fragte, wie er bei der Luft auch noch rauchen könne, kicherte er bloß.

Ein Grund für diese Unbedachtheit ist das Unwissen der Bevölkerung. Die Menschen sehen zwar den Smog, und sie riechen den Schwefel. Aber die chinesische Umweltbehörde verschleiert die Gefahr, sie spricht von leichter Luftverschmutzung, von wetterbedingtem Nebel. Trotz dieser Beschwichtigungen wächst die Verunsicherung in der chinesischen Bevölkerung. Im vergangenen November waren in Peking an manchen Tagen die Atemmasken ausverkauft. Wer es sich leisten kann, stellt sich einen Luftreiniger in die Wohnung. Eine schwangere Bekannte sparte mit ihrem Mann auf ein solches Gerät. „Ich habe schon genug Angst vor Umweltgiften im Essen und der Luft im Büro“, sagte sie, „da will ich wenigstens saubere Luft in unserer Wohnung.“ Auch ich fragte mich oft, wie toxisch wohl der klebrige Staub war, der sich täglich in meiner Wohnung ablagerte. Meine chinesische Mitbewohnerin polierte täglich ihre Grünpflanzen.

Es ist nicht so, dass man in Peking nie den Himmel sehen würde. Am achten Tag nach meiner Ankunft zum Beispiel wusch der Regen die Luft rein, der Himmel war plötzlich glasklar und sonnig. Ich stand im 17. Stock am Fenster und sah: die Berge! Sie liegen jenseits der Stadtgrenze, dort, wo die chinesische Mauer verläuft, nur eine Stunde entfernt. Um zu merken, dass ich in einer Wohnung mit Bergblick lebte, brauchte ich acht Tage!

Pekings Stadtväter haben sich offenbar die Ratschläge nichtstaatlicher Umweltschutzorganisationen zu Herzen genommen: drinnen bleiben, Fenster schließen, die Luft so wenig wie möglich einatmen. Im März wurde bekannt, dass in vielen Büros, Wohnungen und angeblich sogar Limousinen der kommunistischen Elite teure Luftfilter installiert sind. Und das, obwohl von offizieller Seite immer betont wird, die Pekinger Luftverhältnisse seien gar nicht so schlimm. Die Stadtverwaltung bejubelte 2011 sogar einen „Rekord der blauen Tage“: 274 sollen es aufs Jahr verteilt gewesen sein. Allerdings tauchen in dieser offiziellen Statistik die besonders gefährlichen Feinstaubpartikel gar nicht auf.

Parallel zu den offiziellen Verlautbarungen werden im Internet stündlich die Messungen der amerikanischen Botschaft veröffentlicht. Trotz der Internetzensur gelangen diese Informationen ins frei zugängliche „Weibo“, die chinesische Version des Kurznachrichtendienstes Twitter. Umweltorganisationen wie Greenpeace China oder Green Beagle bringen die staatliche Propaganda schon länger mit ihren Informationen ins Wanken.

Chinesen kaufen sich ein Zweitauto, Fahrrad fahren nur die Touristen

In der Bevölkerung ist deshalb in den letzten Jahren die Empörung über die getricksten Messungen der chinesischen Umweltbehörde immer größer geworden. In Internetforen brach sie sich Bahn, bis sich die Regierung letztlich gezwungen sah, ihre Informationspolitik zu verbessern. Nach einer ungewöhnlich langen Periode des giftigen Nebels – um die Jahreswende war die Luft in Peking so stark verschmutzt, dass mehrere hundert Flüge gestrichen und die Stadtautobahnen gesperrt werden mussten – hat der Staatsrat eine neue Vorschrift zur Luftmessung erlassen. Endlich sollen bei den offiziellen Messungen auch Feinstaub und Ozon berücksichtigt werden. „Die Menschen haben so laut ihre Stimme erhoben, dass sie nicht mehr überhört werden konnten“, sagte Ma Jun der „New York Times“. Der ehemalige Umweltjournalist ist der Direktor des Instituts für Angelegenheiten der Umwelt und Öffentlichkeit, einer nichtstaatlichen Umweltschutzorganisation in Peking.

Das ist natürlich ein Fortschritt. Aber es ändert nichts an den Ursachen der Luftverschmutzung. Neben den Auto- und Industrieabgasen ist die Kohleverbrennung das größte Problem. Allein im letzten Jahr wurden 27 Millionen Tonnen Kohle in Peking verbrannt. Um wenigstens den Autoverkehr zu beschränken, ist inzwischen jedem gemeldeten Wagen eine Nummer zugeordnet: An manchen Tagen dürfen nur Autos mit gerader, an anderen nur Autos mit ungerader Nummer fahren. Ein Pekinger Touristenführer erzählte mir, dass sich viele Chinesen nun einfach zwei Autos kaufen. Ist das eine gesperrt, nehmen sie das andere.

Autos sind ein Prestigeobjekt in China. Nirgendwo in Berlin habe ich so viele teure und große Wagen auf der Straße gesehen wie in Peking oder Schanghai. Jinhua Zhao von der britischen Columbia Universität hat erhoben, dass der Autogebrauch in der chinesischen Hauptstadt in den letzten zehn Jahren jährlich um 15 Prozent gestiegen, der Fahrradgebrauch dagegen von 60 Prozent im Jahr 1987 auf 17 Prozent im Jahr 2010 gesunken ist. Rad fährt nur noch, wer sich kein Auto leisten kann.

Auch ich fuhr lieber Fahrrad, nachdem ich eines Morgens eine halbe Stunde lang erfolglos versucht hatte, ein Taxi zu bekommen. Chinas Hauptstadt ist ungefähr so groß wie Thüringen, hat aber nicht 2,2 Millionen, sondern gut 18 Millionen Einwohner. Morgens und abends, während der Rush-Hour, ist es für Ausländer nahezu unmöglich, sich in die U-Bahn zu quetschen. Ich habe keine Ahnung, wie die Chinesen es schaffen, so dicht gedrängt zu stehen, dass zwischen sie kein Blatt Papier mehr passt.

Seit meiner Zeit in Peking schaue ich öfter in den Himmel. Selbst über Wolken freue ich mich. Neulich war ich am Meer, in Warnemünde. Von einem Moment auf den anderen kam Nebel auf, das Wasser und die Uferpromenade waren nicht mehr zu sehen. Das war zwar schade. Aber ich hatte keine Angst zu atmen.

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