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Neurowissenschaft: Linksliberale haben mehr Gefühl

Wertvorstellungen von Menschen sind offenbar tief in ihrer Biologie verankert: Bei Konservativen ist das Angstzentrum größer – das zeigen Messungen der University of London.

Linksliberale haben ein anderes Gehirn als Konservative. Die Neurowissenschaftler Ryota Kanai und seine Kollegen von der University of London haben 118 Freiwillige zu ihrer politischen Einstellung befragt und ihnen anschließend per Magnetresonanztomografie (MRT) ins Gehirn geschaut. Bei denjenigen, die aufgrund der Befragung am konservativen Ende einer fünfteiligen Skala verortet wurden, hatte der rechte Mandelkern, die sogenannte Amygdala, ein auffällig großes Volumen. Das Hirnareal gehört zum sogenannten limbischen System und wird besonders bei Angst und in Gefahrensituationen aktiv. Versuchsteilnehmer, die am anderen Ende der Skala mit linksliberalen Auffassungen auffielen (englisch: „liberal“), hatten dafür einen auffallend voluminösen vorderen Gyrus cinguli. Diese Region des Gehirns spielt für Gefühle eine Rolle, wie Mitleid und die Fähigkeit zur Einfühlung in andere Personen.

Dass Unterschiede in der politischen Einstellung und Charakteristika der Gehirnstruktur derart einhergehen, hat bisher noch niemand zeigen können. Gänzlich unerwartet kommt es dennoch nicht. Schon im Jahr 2007 hatte der New Yorker David Amodio ebenfalls im „Hirnscanner“ anhand einer kleineren Gruppe von 43 Freiwilligen festgestellt, dass der Gyrus cinguli in Testsituationen bei Linksliberalen aktiver ist als bei Konservativen. Nun kommt zur größeren Aktivität auch das größere Volumen. „Es gelingt offensichtlich nach und nach, etwas Licht in die Black Box zu bringen, die uns schon länger beschäftigt“, urteilt der Bielefelder Psychologieprofessor Rainer Riemann.

Er hat in ersten Studien schon in den 90er Jahren starke Zusammenhänge zwischen konservativer politischer Einstellung und schwach ausgeprägter Aufgeschlossenheit für neue Erfahrungen und Werte festgestellt. Der Grad, in dem ein Mensch für Neues offen ist, ist in den Augen von Psychologen eines der fünf wichtigen Persönlichkeitsmerkmale. „Politische Überzeugungen sind Ausdruck der eigenen Persönlichkeit“, sagt Riemann. Für den Psychologen heißt das nicht, dass Elternhaus, Generationenzugehörigkeit und aktuelle politische Entwicklungen gänzlich unbedeutend wären. Im Gegenteil: All das prägt die Persönlichkeit mit, und auch das eigene Lebensalter spielt eine Rolle. In einer viel beachteten Zwillingsstudie haben Riemann und seine Kollegen aber herausgefunden, dass eineiige Zwillinge zeitlebens politisch weit mehr übereinstimmen als zweieiige. „Es gibt also deutliche genetische Effekte auf die politische Orientierung“, so folgert er.

„Wertvorstellungen von Menschen sind tief in ihrer Biologie und in ihrem genetischen Erbe verankert“, sagt auch der Psychologe Jacob Hirsh von der Uni Toronto. Erst im Juni letzten Jahres wurde die Studie seiner Arbeitsgruppe veröffentlicht, die zwischen den Mitgliedern der politischen Lager deutliche Persönlichkeitsunterschiede ausmacht. Sie ließen 600 Erwachsene aus Kanada und den USA Selbsteinschätzungen ihrer politischen Orientierung abgeben und unterzogen sie dann gängigen Persönlichkeitstests. Das Ergebnis: Wer konservativ denkt und wählt, hat ein starkes Bedürfnis nach Ordnung und legt großen Wert auf die Achtung sozialer Normen, wer sich als linksliberal betrachtet, stellt das Bedürfnis nach Gleichheit höher und ist in seinem Denken stark von Einfühlung in andere geprägt.

Eine ebenfalls aus den USA stammende Studie aus dem Jahr 2008 deutet darauf hin, dass die Angst eine wichtige Rolle spielt. Auch die Forscher aus Nebraska befragten Bürger zu ihren politischen Einstellungen, und zwar in diesem Fall eine repräsentative Stichprobe von 1310 Menschen. Eine kleine Gruppe von ihnen, die dabei Ansichten vertraten, wie sie für besonders konservative US-Bürger typisch sind – für das Beten in der Schule, für höhere Militärausgaben, gegen die Reglementierung von Waffenbesitz und gegen Ehen zwischen Homosexuellen –, wurde anschließend genauer untersucht. So wurde bei ihnen die Hautleitfähigkeit gemessen, während sie furchterregende Fotos anschauen mussten. Tatsächlich reagierten sie auf die Bilder besonders heftig. Dass den Menschen, ob nun ängstlichen oder eher gelassenen Temperaments, die politische Einstellung schon fix und fertig in die Wiege gelegt sei, wollen die Forscher trotzdem nicht behaupten.

Das Thema Persönlichkeit und politische Orientierung ist nicht neu: Schon Theodor Adorno und Max Horkheimer hatten sich ihm in ihren Studien zum „autoritären Charakter“ gestellt.

Eine andere Fragestellung, die in Bezug auf deutsche Parteien interessant sein könnte, bleibt unbeantwortet: Sind sicherheitsbedürftige Menschen, die besonders große Angst vor der gefährlichen Atomenergie und Umweltkatastrophen haben, in Wirklichkeit konservativ?

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