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Pompös. Die historische Fassade des 1896 erbauten Grand Hotel Royal am Elisabethring in Budapest. Heute führt das Fünf-Sterne-Haus den Namen Corinthia Budapest.

© Helge Bendl

Das Grandhotel in Budapest: Ein Concierge hat Geheimnisse

Das „Grand Budapest Hotel“ gibt es nur im Kino. Dabei bietet das echte „Royal“ filmreife Geschichte.

Sie haben ihre Hand über das Haus gehalten, in guten wie in schlechten Zeiten, und deswegen ist es, allen Widrigkeiten zum Trotz, immer wieder auferstanden. Eigentlich symbolisieren die Standfiguren zwischen den Kapitellen und Pilastern ja die vier Jahreszeiten. Doch für Tibor Meskál, das wandelnde Gedächtnis der Herberge, sind die steinernen Damen die Schutzengel des Gebäudes. Er legt den Kopf in den Nacken, lässt den Blick über die prächtige Fassade gleiten. Er sagt: „Dieses Hotel hat so viele Leben wie eine Katze.“

Dann erzählt er. Die Geschichte des Films. Die Geschichte des legendären Grandhotels. Und seine eigene: Wie er als 18-Jähriger hier als Kellner anfing, aus Ungarn flüchtete, die Welt erkundete, und 40 Jahre später wieder zurückgekehrt ist – nach Hause, in sein „Royal“.

In Zubrowka, einem fiktiven Land im Herzen Europas, thront über dem Dorf Nebelsbad majestätisch das „Grand Budapest Hotel“: eine glorreiche Herberge, in der sich Adel und Bourgeoisie verlustieren, bevölkert von wunderlichen Charakteren, bedroht von einem bald ausbrechenden Krieg. Regisseur Wes Anderson zeigt in seinen Hollywood-Film eine exzentrisch-schrille Welt, die ans Treiben in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie erinnert, und schließlich im Epilog mit Besatzung und Kommunismus ein Ende nimmt.

Die Komödie über die Belle Epoque hat bereits einen Golden Globe und einen Grammy gewonnen. Bei der Oscar-Gala 2015 war die Produktion in neun Kategorien (darunter bester Film, beste Regie, bestes Originaldrehbuch) nominiert und hat vier Trophäen gewonnen.

Das Grand Budapest Hotel ist eine Fiktion

So gerne man hier einchecken würde, um teilzuhaben am märchenhaften Liebes-, Versteck- und Detektivspiel rund um Concierge Monsieur Gustave H. und den Pagen Zero: Das Grand Budapest Hotel ist leider eine Fiktion. Selbst hinter den sieben Bergen gibt es keinen Ort namens Zubrowka (man findet unter diesem Namen nur polnischen Wodka). Gedreht wurde der Film in einem Jugendstil-Kaufhaus in Görlitz und im Studio Babelsberg.

Karlsbad und die dortigen Hotels Bristol und Pupp haben den Schöpfer des Szenenbilds inspiriert, sodass man in Budapest lange durch die Straßen gehen kann und trotzdem kein Grandhotel mit rosafarbener Fassade aufspürt. Andererseits: In Ungarns Hauptstadt, zu seiner Blütezeit gerühmt als „Paris des Ostens“, gibt es tatsächlich eine von Legenden umrankte Unterkunft, deren Geschichte so filmreif ist wie die auf der Leinwand.

Tibor Meskál, stahlblaue Augen, grau melierte Haare, dunkler Anzug, goldfarbenes Einstecktuch, empfängt in der Lobby. Er ist Senior Duty Manager (so steht es auf der Visitenkarte) und auch Senior Charmeur (das erlebt man, wenn er mit den Damen plaudert) in Personalunion. Er führt Gäste durchs Haus, 60 Minuten lang – theoretisch. Nach zweieinhalb Stunden über fünf Stockwerke braucht zwar auch der 72-Jährige eine Pause, legt über einem Cappuccino aber noch einmal los: „Wenn ich von den alten Zeiten erzähle, fühle ich mich wieder jung.“

Die Bälle im Royal waren legendär

Das 1896 eröffnete Grand Hotel Royal war einst laut Eigenwerbung das „größte, vornehmste und modernste Haus der Haupt- und Residenzstadt“. Es hatte 350 Zimmer auf fünf Stockwerken, es hatte Aufzüge, elektrisches Licht und Telefon. Palmen vom Mittelmeer empfingen die ersten Besucher, die zur 1000-Jahr-Feier Ungarns nach Budapest gereist waren und mit Silberbesteck speisten, zu deren Bewachung rund um die Uhr zwei Polizisten abkommandiert waren.

Auch in den folgenden Jahrzehnten stieg, wer Rang und Namen hatte, im größten Grandhotel Europas ab. „Die Bälle im Royal waren die prunkvollsten der Stadt, in der Bar spielten die besten Pianisten des Kontinents, im Kaffeehaus trafen sich Autoren und Künstler zum Diskutieren, und um Mäzene zu finden“, erzählt Tibor Meskál, nun auf dem Weg zum Ballsaal, denn den will er auch noch zeigen. Hier hatte das „französische Wunder“, der erste Film der Brüder Lumière, Ungarn- Premiere.

Auch Josephine Baker kam für einen Auftritt 1928 aus Paris. Der Tanz der ziemlich nackten „Schwarzen Venus“ im Orfeum, dem Nachtclub des Hauses, brachte das Blut eines Verehrers in Wallung. Ein ungarischer Kavallerieoffizier schickte ihr so lange Rosen und Liebesbriefe ins Hotel, bis es Bakers sizilianischem Ehemann zu viel wurde: Er forderte den Nebenbuhler mit dem Säbel in der Hand zum Duell – mit einschneidenden, wenngleich nicht tödlichen Folgen.

Zerstört und wiederaufgebaut

Stilvoll rekonstruiert. Die neue Lobby wirkt wie aus dem 19. Jahrhundert.
Stilvoll rekonstruiert. Die neue Lobby wirkt wie aus dem 19. Jahrhundert.

© Helge Bendl

Später marschierten Soldatenstiefel durch die drei Drehtüren in die Lobby: Das Royal wurde vom Militär requiriert. Anders als viele Hotels am Ufer der Donau überstand es zwar schwer beschädigt den Zweiten Weltkrieg. Doch 1956, wenige Jahre nach dem Wiederaufbau, verbarrikadierten sich hier die Organisatoren des Ungarischen Volksaufstands. Sowjetische Panzer schossen auf das Gebäude, bis es in Flammen aufging.

Die kommunistische Propaganda verkündete später, Konterrevolutionäre hätten eine wilde Party gefeiert und einen Brand ausgelöst. Als Flaggschiff der staatlichen Hungar Hotels wurde das Royal 1961 zum dritten Mal neu eröffnet – und schloss 30 Jahre später, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als sich kein Investor für die dringend nötige Renovierung fand.

Nach zehn Jahren Leerstand wäre die heruntergekommene Ruine wohl komplett abgerissen worden, hätte sich nicht eine maltesische Firma für Neueröffnung Nummer Vier engagiert. Zwar haben nur die Fassade und der Ballsaal den Wandel der Zeiten überlebt. Doch weil sich die Architekten am historischen Vorbild orientiert und viele Details rekonstruiert haben, von den goldenen Statuen in der Lobby bis zu den Dekorelementen in den luftigen Innenhöfen, spürt man noch etwas von der Aura der alten Grandhotels.

Altes Hotel, neue Gäste

Die Präsidentensuite ist wieder die größte des Landes. Das als Royal Spa betitelte Badehaus hat wieder seinen Pool. Im Orfeum finden wieder Shows statt, nur leider ohne Josephine Baker, deren Foto das historische Gästebuch in der Lobby ziert. Immerhin: Was man der Tänzerin einst servierte, kommt heute wieder mit modernem Dreh auf den Tisch – die Royaltorte mit Himbeeren und Schokolade.

Seelen des Grandhotels. Chef-Concierge Tamás Ungár (links) und Tibor Meskál.
Seelen des Grandhotels. Chef-Concierge Tamás Ungár (links) und Tibor Meskál.

© Helge Bendl

Das alte Grandhotel – inzwischen das Corinthia Budapest – hat sich auf neue Gäste eingestellt. Heute sind Fußballer und Fahrer der Formel Eins die VIPs, bald kommt Arnold Schwarzenegger. Manche verdiente Mitarbeiter gehören dagegen zum Inventar – so wie Tibor Meskál, der bereits bei der Eröffnung 1961 dabei war. „Damals habe ich hier als Kellnerlehrling angefangen: Das Royal war wieder das beste Haus der Stadt und eine gute Schule“, erzählt er.

Später wurde es ihm in Ungarn aber zu eng: Er türmte über Jugoslawien nach Italien, nahm ein Schiff nach Australien, und durfte dort Königin Elisabeth II. bei der Eröffnung des Opernhauses von Sydney servieren. Unter einer Bedingung: „Ihrem Butler hat meine wilde Haarpracht nicht gefallen. Ich musste also zum Friseur und auch meinen Schnurrbart abrasieren.“

In aller Welt hat Tibor Meskál anschließend gearbeitet, doch mehr als 40 Jahre nach seinem Debüt im Royal war er zurück, als 2002 die Wiedereröffnung anstand. „Jetzt bin ich mit 72 Jahren der älteste Mitarbeiter. Eines Tages werde ich wohl in Rente gehen, aber soweit ist es noch lange nicht.“ Zwar gebe es, so viel Privates verrät er, inzwischen eine Frau in seinem Leben, „doch eigentlich bin ich mit dem Royal verheiratet“.

Ein Concierge weiß alles

Auch Chef-Concierge Tamás Ungár ist ein Urgestein, seine Laufbahn begann er als Page. „Ich habe mich ums Gepäck gekümmert und Besorgungen erledigt.“ Wie Lobby-Boy Zero in Wes Andersons Film ist auch er zum Concierge aufgestiegen. Tamás Ungár verlässt sich nicht auf Google, wenn er Gäste berät. Er kennt 150 Telefonnummern auswendig und baut auf die Unterstützung von Kollegen, wenn Not am Mann ist: Er trägt zwei Anstecker mit goldenen Schlüsseln am Revers, die Insignien der Vereinigung „Les Clefs d’Or“.

„Im Kino sieht man, wie die Concierges eine Flucht vor der Polizei organisieren. Ganz so dramatisch geht es hier nicht zu. Aber ich habe immerhin einer schwangeren Frau einmal zu einem Flug ins Krankenhaus verholfen. Das Kind trägt als Dank nun meinen Namen.“

Gustave H., der schillernde Concierge des „Grand Budapest Hotel“, bezirzt gerne reiche Damen und kennt alle Marotten und Wünsche seiner Gäste. Tamás Ungár, Hauptdarsteller im echten Grandhotel von Budapest, hat ungleich strengere Vorschriften, was den Umgang mit Klienten betrifft. Aber ebenfalls ein gutes Gedächtnis. Wenn jemand von der Grandezza eines Grandhotels, von Vorlieben und Pläsierchen berühmt-berüchtigter Stars und Sternchen zu berichten vermag, dann er. Macht er aber nicht. „Als Concierge muss man diskret sein.“

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