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Spenden: Warum Amerikas Milliardäre anders handeln

Leistungsorientierung und soziales Denken sind ein Widerspruch, heißt es. Hierzulande ist die Reaktion auf die spendefreudigen US-Milliardäre skeptisch. Doch das ist nicht ganz fair.

Die Reaktionen sind gegensätzlich, in Deutschland erwartbar eher skeptisch, vielleicht sogar neidgetrieben. Es gibt viele Unterstellungen, warum die Milliardäre um Bill Gates und Warren Buffett die Hälfte ihres Vermögens an wohltätige Stiftungen abgeben wollen. Steuererwägungen etwa oder Erhalt eines Imperiums über den Tod hinaus, wenn die Erben aus der Sicht des Patriarchen nicht dazu in der Lage sind. Oder sie wollen mit ihren Stiftungen Macht ausüben. Oder sich im Glanz ihrer Wohltaten sonnen. Das klingt nicht freundlich und zeigt auch nicht das ganze Bild.

Welche positiven Kräfte treiben reiche Menschen an, ihr Geld zu spenden?

Auf den ersten Blick ist kaum nachzuvollziehen, warum ein Milliardär, der sein Vermögen aus eigener Kraft geschaffen hat, plötzlich sozial denken soll. Er, der seit seinem Jugendalter hart gearbeitet und sich auf ein Leistungsziel fokussiert hat, warum soll der sich ausgerechnet im Alter innerlich umorientieren?

Wissenschaftler nennen mehrere Gründe, warum das sein kann. Evolutionspsychologen weisen darauf hin, dass seit der Frühzeit des Menschen Freude ausschließlich bei sozialen Aktivitäten aufkam. Dies ist eine Art anthropologisches Grundprogramm, das bis heute starke Kräfte entfaltet. In der Weiterentwicklung schafften es die Menschen zunehmend, individuelle Leistung zu erbringen und aus sich selbst heraus dabei eine innere Anerkennung zu erschaffen und sich so von der Notwendigkeit sozialer Anerkennung teilweise zu befreien. Aber der Gegensatz zwischen Leistungsorientierung und sozialer Orientierung ist nach Ansicht des Psychologen Professor Peter Walschburger von der Freien Universität nicht vollständig durchzuhalten. Der Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung sei in jedem Menschen gegeben. Zwar sei vermutlich jeder Reiche der Auffassung, dass er mit seiner Leistung der Gesellschaft genutzt habe, aber dennoch komme irgendwann der Wunsch hoch, nicht nur nach seinen eigenen Maßstäben, sondern auch nach allgemein anerkannten Vorstellungen etwas Nützliches und Gutes getan zu haben. „Ein Bill Gates kann sich sein halbes Leben lang gesagt haben: ,Was schert mich, was die anderen sagen’, am Ende möchte er etwas Sinnvolles hinterlassen, das alle anerkennen“, sagt Walschburger. Das Geltungsbedürfnis setze sich durch. „Sie wollen sozial akzeptiert werden, Wohltäter sein, es gibt nichts Besseres.“

Ohnehin lässt sich wissenschaftlich nicht beweisen, dass viel Geld glücklicher macht. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein, wie eine Studie der Universität Lüttich aus dem Frühjahr nahelegt. Die Wissenschaftler stellten fest, dass mit steigendem persönlichen Vermögen die Fähigkeit zum Genuss schöner Dinge und Gefühle eher ab- als zunimmt. Dabei wurden die Testpersonen nicht nur auf den Zusammenhang zwischen tatsächlichem Reichtum und subjektivem Glücksempfinden hin untersucht. Unter einem Vorwand wurden die Probanden auch mit Fotos konfrontiert, auf denen eine große Menge Geldscheine zu sehen war. Es wurde dann untersucht, wie lange die Probanden mit dem Verzehr einer Schokolade zubrachten und wie viel Freude am Genuss sie dabei zeigten. Teilnehmer, die mit den Geldfotos konfrontiert worden waren, zeigten demnach wesentlich weniger Freude am alltäglichen Genuss.

Es gibt einen weiteren Zusammenhang, der gewaltige Kraft entwickeln kann. Bei aller Rationalität, zu der ein leistungsorientierter Milliardär in der Lage ist, er kann nicht verhindern, dass in ihm irgendwann ein Gefühl hervorbricht, für das selbst Wissenschaftler bisher keine Erklärung haben. Forscher sprechen von einem „schuldhaften Abhebungsprozess“. Es ist vergleichbar mit Menschen, die als Einzige einen Schiffsuntergang überlebt haben und sich anschließend jahrelang mit schweren Schuldgefühlen plagen. „Warum bin ausgerechnet ich davongekommen?“, fragen sie sich und wünschen sich häufig, nicht unter den Überlebenden zu sein. Selbst der leistungsorientierte Reiche, der fest davon überzeugt ist, dass es seine eigene Kraft war, die ihn reich gemacht hat, wird irgendwann von der Frage geplagt, warum ihn das Schicksal begünstigt hat.

Walschburger weist noch auf einen anderen Zusammenhang hin. Es gibt in jeder Gesellschaft soziale Vergleichsprozesse, Grundsätze von Fairness und Gerechtigkeit. Der Reiche, auch wenn er der Ansicht ist, er habe Anspruch auf eine höhere Belohnung, weil er mehr leistet, kann sich den Vergleichsmaßstäben seiner Umgebung nicht entziehen. Er stellt sich innerlich an den Pranger. Und schließlich meldet sich im Alter die innere Einsicht: „Ich kann nichts Besseres tun, als etwas zurückzugeben“, sagen sich die Spender. „Manche schaffen sich im Alter eine sehr positive soziale Weltphilosophie“, sagt Walschburger.

Was unterscheidet die USA beim Umgang mit Reichtum von den Europäern?

Die Hauptgründe für das viel großzügigere Stifterverhalten in den USA liegen nicht im Steuersystem und auch nicht im aktuellen Bedürfnis von, zum Beispiel, Finanzmagnaten, ihren ramponierten Ruf aufzubessern, weil der durch die Finanzkrise gelitten habe. Hauptursache ist vielmehr der kulturelle Unterschied im Umgang mit Reichtum und Spenderfreude.

In den USA ist Reichtum positiv besetzt, er schafft Ansehen und weckt den Wunsch, dem Vorbild der Vermögenden nachzueifern, und nicht Neid samt dem Wunsch, der Staat solle den Reichen das Geld wegnehmen, damit es der Gemeinschaft zugute kommt. Amerikaner denken gerade umgekehrt. Der Staat gilt als schlecht und als unvermeidbares Übel. Die Bürger trauen ihm nicht zu, dass er sinnvoll mit Geld umgehen kann.

Außerdem sind die USA geprägt von der protestantischen Ethik. Reichtum verpflichtet dazu, einen Teil abzugeben – freiwillig und nicht allein durch staatlichen Steuerzwang. Das Ziel ist, „to make the world a better place“, die Welt zu verbessern, wie die Amerikaner sagen. Europäer halten solche Redewendungen oft für oberflächliche Propaganda. Auch den angeblichen kulturellen – und ideologischen – Unterschied im Umgang mit Reichtum und Spenden nimmt zumeist nur ernst, wer länger in den USA gelebt hat. Schulen finanzieren einen Gutteil ihrer Programme aus Spenden und kostenloser Mitarbeit der Eltern.

Wer durch Anhäufung von Vermögen sein Können bewiesen hat, der soll nach amerikanischem Denken dann aber auch selbst entscheiden, ob seine Spenden einem Museum, einer Oper, einer sozialen Initiative oder einer Universität zukommen. Allein die zwölf größten US-Universitäten haben zusammen ein Stiftungsvermögen von 130 Milliarden Dollar.

Steuerliche Aspekte spielen auch eine Rolle, sind jedoch dieser ganz anderen Auffassung von der Aufgabenverteilung zwischen Staat, Bürger und Gesellschaft nachgeordnet. Die Erbschaftssteuer in den USA ist nicht generell höher als in Deutschland. Die Steuersätze von bis zu 55 Prozent sehen nur auf dem Papier so aus. Es gibt zahlreiche Optionen zur Vermeidung der Erbschaftssteuer. Die Freibeträge sind viel höher als in Deutschland. Bis zu sieben Millionen Dollar kann ein Ehepaar vererben, ohne auch nur einen Cent Steuern zu zahlen. Auf Grund neuer Gesetze unter Bush sinkt die Erbschaftssteuer seit mehreren Jahren. 2010 wird sie vorübergehend ganz entfallen – es sei denn, Präsident Barack Obama gelingt es, einen Übergangskompromiss für ein weiteres Jahr zu verlängern.

Hinter den – allerdings nur auf dem Papier – hohen Erbschaftssteuersätzen stand eine egalitäre Überlegung. Jeder Mensch soll sich seinen Erfolg selbst erarbeiten. Amerika sieht sich als „land of opportunity“, das jedem die Gelegenheit dazu gibt. Auch dynastische Vermögen oder Firmen von hohem Millionenwert lassen sich an die nächste Generation weitergeben, ohne dem Fiskus die Hälfte des Werts als Erbschaftssteuer zu überweisen. Dafür muss man eine andere Organisationsform als das traditionelle Familienunternehmen finden.

Es wäre ein Irrtum, den Stiftervorstoß der US-Milliardäre als PR-Manöver zu verstehen, mit dem die Finanzbranche ihr schlechtes Image aufpolieren möchte. Alle diese Großspender geben nicht erst neuerdings, sondern schon seit Jahren. Insgesamt sind die Großspenden in den USA infolge der Finanzkrise nicht gestiegen, sondern gesunken. Fast alle großen Stiftungen mussten wie die Harvard-Universität auf ihr Stiftungsvermögen zurückgreifen, um das laufende Programm aufrechterhalten zu können.

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