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Musik: Das geht ab

Das Label Aggro Berlin machte vor einem Jahr dicht. Die nächste Generation Rapper steht bereit.

An das Poster, das er damals in der Schule plakatierte, kann sich Kobito noch genau erinnern. „CD kostet einen Fünfer, sprecht mich auf dem Schulhof an“, stand drauf. Da war er gerade 17 und Rapper in Kinderschuhen. Mit der Werbeaktion habe er sich bekannt machen wollen. „Jetzt kann ich nur darüber lachen“, sagt der heute 23-Jährige.

Kobito ist einer von vielen jungen Nachwuchsrappern aus Berlin, mit seinen Freunden Refpolk, MisterMo und DJ KaiKani macht er Musik. Ihre Gruppe nennt sich Schlagzeiln, sie hat sich auf linkspolitischen Rap spezialisiert, ihr zweites Album „Der Complex“ vor kurzem veröffentlicht. Und wie so viele ihrer Kollegen kämpfen auch die Schlagzeiln gegen das Klischee an, Rap aus Berlin sei nicht mehr zeitgemäß.

Ausgelöst wurde die Diskussion vor einem Jahr, als das Hip-Hop-Label Aggro Berlin sein Aus erklärte. In den acht Jahren seines Bestehens hatte es Rapper wie Sido, Bushido oder Fler groß gemacht, doch Letztere hatten der Plattenfirma im Laufe der Zeit den Rücken gekehrt. Den Machern gelang es daraufhin nicht, neue Künstler zu finden, die über enstprechendes Star-Potenzial verfügen. Ist also Rap aus der Hauptstadt in der Krise?

Daniel Zuckermandel, 24, ist zurückhaltend bei der Beantwortung dieser Frage, er drückt es vorsichtiger aus: Gangsta-Rap aus Berlin sei auf einem absteigenden Ast, der Markt gesättigt. Daniel hat 2002 die Seite www.B-Stadt.com ins Leben gerufen, täglich verzeichnet sie mehrere tausend Klicks. Er kennt die Macher vieler renommierter Labels hier, aber auch die Neulinge, die er auf seiner Seite vorstellt.

Die Zeit, in der der Rap aus Berlin grundsätzlich gut und die Szene überschaubar war, sei vorbei, sagt Daniel. „Jetzt hat man das Gefühl, in jedem Häuserblock rappen zwei Crews.“ Etwa 100, so schätzt Daniel, sind heute wirklich bekannt, darunter B-Tight, Sido, Greckoe, Tony D. Kitty Kat, G-Hot, King Orgasmus One. „Es gibt viele Künstler, die kommerziell nicht so erfolgreich, aber seit Jahren aktiv und beliebt sind. Andere wiederum haben einen Platz auf dem Markt gefunden.“

Zu denen, die ihren Platz gefunden haben, gehören Manny Marc und Frauenarzt. Als Die Atzen stillen sie derzeit mit ihrer Mischung aus Techno und Rap das Bedürfnis nach neuer Musik und unbeschwertem Lebensgefühl. „Unsere Lieder kannst du hören, wenn du traurig bist, aber auch um Party zu machen. Einfach bunt anziehen und die Sorgen vergessen“, sagt Manny Marc. Sie hätten schon immer auf Spaß-Rap im Miami-Bass-Stil gesetzt, sagt Frauenarzt, während andere sich dem Gangster-, Porno- oder gar Horror-Rap verschrieben hätten. Was den Markt und die Beliebtheit angehe, sei es ein bisschen wie beim Marathonlauf. „Mal ist der eine, mal der andere vorn“, sagt Manny Marc, „und da die Einflüsse elektronischer Musik im Rap jetzt auch in England und Frankreich angekommen sind, sind wir Atzen momentan die Pioniere im deutschen Raum.“

Im Gegensatz zu den Atzen, die schon seit über zehn Jahren Musik machen, gehören die Schlagzeiln zu den Frischlingen. Der Unterschied zur Rap-Szene früher bestünde darin, dass sich die Akteure heute besser vernetzen könnten, sagt DJ KaiKani. „Da kommt der Produzent aus Köln und die Beats macht jemand aus Frankfurt, während der Rapper in Berlin sitzt.“ Daneben gebe es weiterhin die klassischen Cliquen, die im Keller abhingen. Das Internet sei für beide Gruppen eine Plattform, um die eigene Musik zu verbreiten. Marketing auf Youtube, Facebook, Myspace und Twitter. Peinliche Auftritte, die per Video online gestellt werden, könnten einem Neuling jedoch das Genick brechen, sagt MisterMo.

Die Generation der Mitte-20-Jährigen habe ein gesteigertes Bedürfnis nach Neuem, sagen die Mitglieder von Schlagzeiln. Trotzdem hängen auch viele an den Gründervätern des Berliner Rap, an Leuten wie Savas oder den Spezializtz. Warum? „Weil die Neuen oft nichts Neues bringen“, sagt Daniel von „B-Stadt“. Es werde viel kopiert, nur wenige entwickelten ihren eigenen Stil in Sachen Sound, Beats und Rap. „Die junge Generation muss was Neues entwickeln, um authentisch zu sein und ernst genommen zu werden“, sagt Manny Marc.

Die Schlagzeiln haben sich das zur Aufgabe gemacht. „Früher ist unsere Richtung als Studenten-Rap verschrien gewesen, jetzt wird er salonfähig“, sagt MisterMo. „Kein Partysong ohne Sinn“ lautet die Devise der Gruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, dass jedes ihrer Lieder auch politisch korrekt ist. „Wir sind dreckiger in unseren Texten als im realen Leben“, sagt Kobito, „aber frauenfeindliche Sprüche würden wir nicht bringen.“ Um sich von anderen Rap-Gruppen zu unterscheiden, arbeiten sie mit klassischen Musikern oder Ska-Künstlern zusammen.

Über 140 Auftritte haben die Schlagzeiln in den vergangenen zwei Jahren absolviert, in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Dänemark. Sie treten in besetzten Häusern, autonomen Jugendzentren oder auf Demos auf. „In der Rapszene besetzt unsere Musik eine Nische, aber genau da sind wir erfolgreich“, sagt Kobito.

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