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Der Glockenturm des Kremls mit dem weithin sichtbarem rotem Stern.

© dpa

Zeitumstellung: Russland will zurück zur Winterzeit

Sommerzeit, Winterzeit, Russland dreht einmal mehr am Uhrzeiger. Nach nur zwei Jahren will das Regime im Winter die Normalzeit wieder einführen. Vor allem die wegen der fehlenden Zeitumstellung langen dunklen Vormittage schlagen vielen Menschen aufs Gemüt.

Dem „ewigen Sommer“ droht in Russland das Aus. Massenweise fordern Bürger das russische Parlament auf, doch bitte mit einer Zeitumstellung die normale Winterzeit wieder einzuführen. „Mit Schrecken warten viele Menschen auf den Wintereinbruch“, erzählt der Abgeordnete Sergej Kalaschnikow. Denn schon im November, wenn im Westen soeben die Uhren zurückgedreht wurden, drohen wieder lange dunkle Morgen. Um die Wintersonnenwende herum sehen viele Angestellte überhaupt kein Tageslicht: In der Hauptstadt Moskau bricht die Sonne erst gegen 9.30 Uhr langsam durch, lange vor 18 Uhr ist sie bereits wieder verschwunden.

Zeitumstellung: Die Russen wollen im Winter keine Sommerzeit

„Dieses Experiment hat uns normalen Leuten von Anfang an nicht gefallen - das ist ein absoluter Schwachsinn“, schimpft der Moskauer Roman in einer E-Mail an den Radiosender Echo Moskwy. Kalaschnikow von der rechtspopulistischen Liberaldemokratischen Partei hat bereits zum zweiten Mal einen Gesetzentwurf in der Duma eingebracht, die „ewige Sommerzeit“ nach nur zwei Jahren wieder abzuschaffen. Die Chancen stehen gut: Denn auch Wladimir Gutenjow von der Regierungspartei Geeintes Russland fordert im Parlament die Rückkehr zur Normalzeit im Winter.

Selbst Kreml-Herrscher Wladimir Putin ist kritisch geworden

Selbst Kremlchef Wladimir Putin falle das Aufstehen wegen der langen Dunkelheit schwer, betont Gutenjow. In der Tat hat sich der Präsident selbst schon kritisch über das Reformprojekt seines politischen Ziehsohns Dmitri Medwedew geäußert und Probleme eingeräumt. Die Zustimmung in der Bevölkerung zur derzeitigen Zeitregelung ist einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts Wziom zufolge von 73 Prozent vor zwei Jahren auf 34 Prozent abgesackt.

Wissenschaftler warnten von Anfang an, dass Russland nun seiner natürlichen - astronomischen - Zeit zwei Stunden voraus sei. „Unsere innerliche biologische und äußere gesellschaftliche Uhr ist aus dem Gleichgewicht gebracht“, betont die Psychologin Viktoria Arschinowa.

Die Zahl der Selbstmorde steigt in Russland wegen der fehlenden Zeitumstellung nach der Sommerzeit

Mehr Stress und schlechtere Gesundheit: Das Leben mit durchgehender Sommerzeit schlägt den Russen aufs Gemüt. Ärzte berichten von einer steigenden Zahl von Selbstmorden wegen Depressionen. Viele Technikfreaks empören sich darüber, dass ihre modernen Smartphones und Tablets Ärger bereiten, die sich automatisch auf „Winterzeit“ umstellen. Sportfans klagen über späte Anstoßzeiten bei internationalen Fußballspielen. Und auch die Wirtschaft beschwert sich über Nachteile durch den Zeitunterschied von drei statt zwei Stunden zu Westeuropa im Winter.

„Wissenschaftlich ist bewiesen, dass die Effektivität Erwachsener und die Aufnahmefähigkeit von Schülern um 10 Prozent reduziert werden“, heißt es in Gutenjows Gesetzentwurf. „Zu rechnen ist mit einem Rückgang des BIP (Bruttoinlandsprodukt) um 300 bis 600 Milliarden Rubel.“ Das sind umgerechnet bis zu 15 Milliarden Euro.

Die Führung fürchtet den Spott

Noch fürchtet die Führung in Moskau aber offenbar, mit dem Hin- und Herschalten zum Gespött zu werden. Die Abschaffung der winterlichen Normalzeit im Jahr 2011 sei das einzige verbliebene Reformprojekt Medwedews aus seiner Zeit als Präsident von 2008 bis 2012, betont Echo Moskwy. Als Vorteil „für Mensch und Vieh“ hatte Medwedew damals sein Vorhaben gepriesen. Ein Ende des „ewigen Sommers“ stünde daher auch symbolhaft für ein Scheitern Medwedews, meinen Kritiker.

Dem Kreml bietet sich aber nun ein Ausweg an: Denn auch das IOC (Internationale Olympische Komitee) fordert die Rückkehr zur „Winterzeit“. Die Olympischen Winterspiele 2014 im russischen Sotschi sollen schließlich zur Hauptsendezeit über die Bildschirme in Deutschland und den anderen begeisterten Wintersportnationen in Westeuropa flackern. Nicht ausgeschlossen also, dass Russland schon Ende Oktober wieder an der Uhr dreht dpa

Jonas Reiche

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