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Jugendmode vom Jungunternehmer. Der 33-jährige Textilhersteller Vedat Güney (rechts) mit Wirtschaftssenator Harald Wolf und Integrationssenatorin Carola Bluhm.

© Mike Wolff

Wirtschaftsfaktor: Unternehmer mit Migrationshintergrund sind wichtig für Berlin

Die Industrie- und Handelskammer Berlin freut sich über die "stetig wachsende Zahl von Mitgliedsunternehmen nichtdeutscher Herkunft". Mit dieser Ansicht steht sie nicht alleine da.

Gürsan Acar hat Kunden in aller Welt: Die tragbaren Abspielgeräte seiner Moabiter Firma „Tonwelt Professional Media“ führen Besucher durch das Londoner Natural History Museum, das Portland Art Museum in den USA, das Atatürk-Mausoleum in Ankara, die Bonner Bundeskunsthalle oder den Berliner Martin-Gropius-Bau. Aktuell hofft der 41-Jährige, dass sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz demnächst für seine Audioguides entscheidet. Und als „besondere Ehre“ empfindet es Acar, dass er den Wiener Stephansdom beliefern durfte. „Als Türke!“, lacht er und denkt daran, dass Wien einst von türkischen Heeren belagert worden war. Das allerdings ist nun schon 328 Jahre her.

Ohnehin sieht sich der in Neukölln aufgewachsene Acar als „preußischer Türke und stolzer Berliner“. Unter den von Migranten gegründeten Unternehmen in der Stadt ist Tonwelt ein Vorzeigebetrieb und ein Gegenbeispiel für die Behauptung von Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin, eine große Zahl von Arabern und Türken habe „keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel“. Die Industrie- und Handelskammer Berlin freut sich über die „stetig wachsende Zahl von IHK-Mitgliedsunternehmen nichtdeutscher Herkunft“. Davon profitiere ganz Berlin, sagt Vize-Hauptgeschäftsführer Christian Wiesenhütter.

Diese Ansicht vertreten auch Wirtschaftssenator Harald Wolf und Arbeits- und Integrationssenatorin Carola Bluhm (beide Linke), die jetzt erfolgreiche Unternehmer mit Migrationshintergrund besuchten. Es handelte sich um türkische Betriebe, noch mehr Firmen werden allerdings von Polen geführt; auch Bulgaren und Vietnamesen spielen eine wichtige Rolle. Nicht immer lassen sich die Selbstständigen aber klar zuordnen: Wer deutscher Staatsbürger geworden ist, gilt in der Statistik nicht mehr als Firmenchef ausländischer Herkunft.

Jenseits der Dönerbuden. Die Firma Tonwelt produziert Audioguides für Museen.
Jenseits der Dönerbuden. Die Firma Tonwelt produziert Audioguides für Museen.

© Mike Wolff

„Unternehmer mit Migrationshintergrund sind Botschafter der modernen Hauptstadt“, lobte Wolf. Sie seien aus der Wirtschaft „nicht mehr wegzudenken“, zahlten Steuern, sicherten Jobs und bildeten aus. Oft komme noch gesellschaftliches Engagement hinzu. Senatorin Bluhm hob die „interkulturelle Kompetenz“ und die länderübergreifenden Kontakte der Unternehmer hervor. Vor allem im Gesundheitswesen und in der Pflege linderten Arbeitgeber und -nehmer nichtdeutscher Herkunft den Fachkräftemangel. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, dass „wir endlich im Ausland erworbene Berufsanschlüsse anerkennen“.

Was interkulturelle Kompetenz in der Praxis bedeuten kann, zeigt sich in Acars Tonstudio. „Ich arbeite mit dem Chef Hand in Hand“, sagte die deutsche Autorin Stephanie Kissel. So habe er ihre deutschsprachigen Audioguides für das Atatürk-Mausoleum um bestimmte Aspekte aus türkischer Sicht ergänzt. Für Acar sind 14 Angestellte, zwei Azubis sowie 400 freiberufliche Sprecher, 60 Übersetzer und zwei Dutzend Autoren tätig. Von selbst entwickelten Abspielgeräten bis zu den Inhalten gibt es bei ihm „alles aus einer Hand“.

International aktiv ist auch Vedat Güney, Gründer der Beysun Textilvertrieb GmbH in Neukölln. Am Hauptsitz in Berlin gibt es 14 Angestellte. Produziert wird in Ägypten, der Türkei, China und Bangladesch. Insgesamt hat Beysun rund 1150 Mitarbeiter und produziert monatlich 500 Tonnen Oberbekleidung – vor allem Mode für junge Leute. Zu den Abnehmern gehören Intersport und Zara, auch Fanartikel für den FC Bayern München und die Fußball-WM 2006 zählen zu den Referenzen. Eine Vertriebsniederlassung in Hongkong ist geplant.

Der 33-jährige Güney hatte sein Abitur in der Türkei gemacht und dort studiert. Der Sprung in die Selbstständigkeit gelang ihm mit finanzieller Hilfe seiner Familie, das Geld für den Bau des Firmensitzes kam später aus dem laufenden Betrieb. „Ich habe keinen Kredit und keinen Cent Förderung in Anspruch genommen.“

Deta-Med ist auf kulturspezifische Seniorenpflege spezialisiert.
Deta-Med ist auf kulturspezifische Seniorenpflege spezialisiert.

© dpa

Dies hätte Nare Yesilyurt gern getan. Aber als sie 1999 die Firma „Deta-Med Tagespflege“ gründete, gab ihr niemand einen Kredit. An ihrem damals noch einzigartigen Konzept einer „kulturspezifischen Tagespflege“ für Senioren verschiedener Herkunft bestehe kein Bedarf, behaupteten Banker. Außerdem könne sie als Mutter zweier Kleinkinder gar keine Firma gründen, hieß es. Also war die heute 43-Jährige auf Geld vom Vater angewiesen, der sie stets zum Lernen ermahnt hatte: „Bei uns gab es keine Zwangsehe, aber die Zwangsausbildung“, scherzt Yesilyurt.

Heute hat ihr Betrieb auf dem Gelände des ehemaligen Krankenhauses Moabit rund 230 Mitarbeiter, von denen 90 Prozent Frauen sind. Das Thema Mindestlohn ist bei ihr keines: Sie zahle pro Stunde zehn Euro und damit 1,50 Euro mehr als die diskutierte Untergrenze, sagt die Chefin.

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