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Wirtschaft: „Es spricht doch nichts gegen bewusstes Einkaufen“

dm-Chef Werner unterstützt Boykottaufruf von SPD-Vize Vogt - Wir leben im Überfluss und müssen den Zugang gerechter verteilen

Herr Werner, SPDChef Franz Müntefering zieht gegen den Kapitalismus zu Felde, seine Parteifreundin Ute Vogt ruft die Verbraucher zum Boykott gegen Firmen auf, die nur auf ihren Profit schauen und nicht auf ihre Arbeitnehmer. Was halten Sie davon?

Müntefering hat die Verantwortung für Mitarbeiter und Standorte eingefordert. Er hat sich gegen „Profitmaximierungs-Strategie“ und „gegen die totale Ökonomisierung“ gewendet und seine Sorge darüber geäußert, dass die Handlungsfähigkeit von Staaten durch die internationale Ausrichtung von Unternehmen rücksichtslos reduziert würde. Ich habe dies nicht als eine pauschale Kritik an Unternehmern verstanden. Frau Vogt hat gesagt, der Verbraucher solle bei seiner Kaufentscheidung nicht nur den Preis, sondern auch die soziale Verantwortungsbereitschaft des Unternehmens beachten. Es spricht doch überhaupt nichts gegen bewusstes Einkaufen.

Viele Ihrer Unternehmerkollegen klagen über die hohe Steuerlast in Deutschland und drohen mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Sie nicht. Wie kommt das?

Jeder Unternehmer kalkuliert die Steuern in seine Preise ein. Je weniger Steuern ich einrechnen muss, desto günstiger kann ich meine Leistungen anbieten. Insofern ist es schon gut, wenn die Steuern sinken. Ich als Händler muss aber da sein, wo meine Kunden sind. Ich kann nicht einfach meine Drogeriemärkte verlagern. Aber für die produzierende Industrie kann es vernünftig sein, Fabriken in den Ländern zu gründen, in denen die Rahmenbedingungen günstiger sind.

Wird die Politik von der Wirtschaft erpresst?

Unser Kernproblem ist, dass fast die gesamte öffentliche Finanzierung auf den einkommensbezogenen Steuern basiert und nicht am Konsum ansetzt. Je mehr wir leisten, desto höhere Steuern zahlen wir. Wir sollten also den Konsum besteuern und die Einkommen möglichst frei stellen. Das würde Arbeitsplätze schaffen, weil Initiative gefordert wird.

Also Einkommensteuer auf Null und Mehrwertsteuer bei 40 Prozent?

Ja. Das macht keinen Unterschied, weil sowieso alle Steuern über die Preise an die Kunden umgelegt werden. Auch die Körperschaftsteuer ist letztlich in die Preise einkalkuliert.

Aber bei einer Mehrwertsteuer von 40 Prozent kauft kein Mensch mehr ein. Der Konsum ist doch jetzt schon schwach. Der Handel klagt, dass die Leute zu wenig ausgeben?

Der Konsum stagniert – aber auf hohem Niveau. Als ich in die Schule ging, waren in meiner Klasse 40 Kinder. Davon hatten zwei Elternhäuser ein Auto. Heute muss man in der Klasse meiner Kinder nach Familien suchen, in denen nicht zwei Autos vorhanden sind. Wir haben eine unglaubliche Sättigung auf fast allen Gebieten erreicht. Das ist doch eine Errungenschaft. Außerdem schrumpft die Bevölkerung. Wo sollten denn da noch die großen Zuwächse herkommen? Wir müssen zunehmend lernen, mit stagnierenden oder sogar schrumpfenden Märkten zurecht zu kommen.

Und mit steigenden Arbeitslosenzahlen?

Arbeitslosigkeit heißt nicht zwingend, dass jemand ohne Arbeit ist. Arbeitslosigkeit heißt nur, dass jemand sein Einkommen nicht aus der Arbeit bezieht. Wer keine bezahlte Arbeit hat, kann aber doch trotzdem unglaublich sinnvolle Sachen tun und der Gemeinschaft gute Dienste erweisen. Nehmen Sie doch mal die vielen ehrenamtlich Tätigen. Wenn jemand im Verein junge Menschen betreut, trainiert, ist das doch viel besser als wenn er irgendeine stupide, unsinnige, aber bezahlte Arbeit machen würde.

Der Trainer hätte aber wahrscheinlich lieber einen bezahlten Job und würde es vorziehen, die Jugendlichen nach Feierabend zu trainieren.

Die Menschen suchen ergo keinen Arbeits-, sondern einen Einkommensplatz. Wenn der Kumpel aus dem Bergwerk demonstriert, dann tut er das doch nicht für den Erhalt seines gefährlichen Arbeitsplatzes, sondern er demonstriert für seinen Einkommensplatz! Das ist das Dilemma: Wir verkoppeln Arbeit und Einkommen.

Was denn sonst?

Wir müssen nach neuen, gangbaren, zukunftsfähigen Wegen suchen. Ich bin für ein Grundeinkommen, das die Gemeinschaft jedem Beteiligten zahlt.

Wie hoch soll das sein?

Zwischen 1500 und 2000 Euro im Monat. Dann würden die Menschen nicht mehr arbeiten, weil sie müssen, sondern weil sie wollen. Das würde unser ganzes Klima verändern. Tarifverträge, Arbeitsschutz? Das wäre ein anderes Thema. Für Unternehmen, die sinnlose Produkte herstellen oder die die Umwelt verschmutzen, würden wahrscheinlich immer weniger arbeiten wollen.

Wer soll das denn bezahlen?

Das schafft keine zusätzlichen Kosten. Ein Beispiel: Wenn das Land Niedersachsen 7000 Beamte einspart, dann werden die Betroffenen doch nicht wirklich eingespart. Sie machen nur ihre Arbeit nicht mehr. Aber ihr Geld bekommen sie weiterhin. Wenn ein Unternehmen Leute entlässt, dann spart zwar das Unternehmen, aber dafür trägt die Gemeinschaft die Kosten. Die Kernfrage ist: Wie gut werden die Menschen mit Geld und Gütern versorgt? Und in dieser Hinsicht ging es uns noch nie so gut wie heute. Wir leben im Überfluss. Wir müssen nur den Zugang und die Verteilung gerechter organisieren.

Sind denn Ihre Mitarbeiter zufriedener als die anderer Drogerie-Discounter?

Man muss den Mitarbeiter als Leistungsgenerator sehen und nicht als Kostenfaktor. Unsere Mitarbeiter führen den Umsatz, den Erfolg, doch erst herbei. So sehen wir sie, und unsere Beschäftigten spüren das.

Aber auf übertarifliche Extras oder Leistungsprämien hoffen Ihre Leute vergeblich.

Wenn ich eine Leistungsprämie zahle, unterstelle ich doch, dass ein Mitarbeiter ohne die Prämie nicht alles gibt. Das ist eigentlich eine Beleidigung. Außerdem arbeiten wir doch heute alle in einer Gemeinschaft. Wir sind auf die Kollegen angewiesen, damit wir zu einem guten Ergebnis kommen. Bei der Leistungshonorierung fördert man dagegen den Egoismus des Einzelnen, und der verliert dann schnell das Gefühl für die Gemeinschaft.

Wie viele Filialen wollen Sie noch in Berlin aufmachen?

Wir haben jetzt zwei Filialen in Berlin und eine in Potsdam. Demnächst machen wir eine weitere Filiale im Wedding auf, und weitere Mietverträge sind schon unterschrieben. In Berlin haben wir großes Wachstumspotential.

Wieso gehen Sie als Discounter in die teuren Toplagen und warum beschäftigen Sie so viele Leute?

Wir machen in guten Lagen und mit qualifizierter Beratung in unseren Filialen viel Umsatz. Das rechnet sich schon.

Bei vielen Produkten sind Sie dennoch billiger als die Konkurrenz. Wie machen Sie das?

Anders als Wettbewerber haben wir ein konstantes Preisangebot. Unsere Preise sind stabil. Bei uns kaufen Sie ein, wenn Sie es brauchen und nicht, weil wir Sie mit Sonderangeboten dazu bringen wollen.

Schlecker, Rossmann, dm sind alles Familienunternehmen. Ist das ein Zufall?

Nein. Alle Unternehmen sind in den 70er Jahren entstanden, als die Preisbindung für Drogerieartikel aufgehoben wurde. Das heißt: Hier sind noch die alten Gründer am Werk.

Warum haben sich die großen Konzerne Tengelmann, Douglas oder Rewe mit ihren Drogeriemärkten nicht halten können?

Das Drogeriemarktgeschäft ist offensichtlich so kompetitiv geworden, dass es die volle Konzentration erfordert.

Warum gehen Sie eigentlich niemals unangekündigt in Ihre Läden. Trauen Sie Ihren Leuten doch nicht?

Ich gehe unangekündigt in unsere Läden, aber niemals inkognito. Spätestens wenn ich reinkomme, melde ich mich.

Und dann?

Das ist unterschiedlich. Einige Mitarbeiter sind ganz entspannt, andere weniger. Aber was oft passiert: Wenn ich etwas kaufe, vergessen fast alle, mir den Mitarbeiterrabatt abzuziehen. Vor lauter Aufregung.

Das Interview führte Heike Jahberg.

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