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Ob Ökostrom oder Biokraftstoff: Mit allem lässt sich Geld verdienen. Wie das geht, lernen Projektentwicklung in speziellen Weiterbildungen. Foto: dpa

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Berliner Stromnetz: Frischer Wind

Immer mehr Bürger wollen ihren Strom selbst produzieren. Projektentwickler helfen ihnen dabei.

Steffen Walter will das Berliner Stromnetz kaufen. Nicht alleine natürlich, sondern in Form einer Genossenschaft für Energie: „Bürger Energie Berlin“. Ein gewagtes Vorhaben. Die Idee ist, dass das Stromnetz den Berliner Bürgern gehörten soll. Und dass das Stromnetze eine sichere Geldanlage sein könnte. Auch für andere Bereiche gibt es Energiegenossenschaften, es geht dabei um Klimaschutz und Bürgerbeteiligung. Jeder Genosse kauft einen Anteil, bestimmen können alle. Und es braucht Experten, die sich passende Projekte ausdenken und wissen, wie man die umsetzen könnte. Steffen Walter ist einer der bundesweit ersten zertifizieren weitergebildeten Projektentwickler für Energiegenossenschaften. Im Hauptberuf ist er Dolmetscher und Übersetzer.

Vor drei Jahren hat ihn das Thema gepackt, eine Idee mit Zukunft ist das, glaubt er. Weitergebildet hätte er sich „aus reiner Leidenschaft“, wie er sagt. Bei der Schulung werden engagierte Bürger und Fachleute im Bereich Energie zu fachlich versierten Planern gemacht, die in der Lage sind, die Mäander des Genossenschaftsrechts erfolgreich zu durchqueren, ohne sich im bürokratischen und finanzplanerischen Wirrwarr zu verlieren. Sprich, die Energiegenossenschaften gründen können. Träger der Weiterbildung sind bisher die Evangelische Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft in der Pfalz, das Zentrum Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und die Innova eG, eine Genossenschaft, die 2001 in Leipzig gegründet worden ist und heute Teams in Deutschland unterstützt, Selbsthilfegenossenschaften aufzubauen. Im November 2001 in Leipzig gegründet, unterstützt die Innova eG bundesweit Teams bei der Gründung und dem Aufbau von Selbsthilfegenossenschaften in ihrem jeweiligen lokalen Umfeld. In enger Zusammenarbeit mit Kommunen, Betrieben der Arbeitsförderung, Wohnungsunternehmen und weiteren Partnern fördert sie die Ausgründung von Genossenschaften aus bestehenden Projekten. Sie gibt auch Seminare.

Seit kurzem wollen auch andere Bildungsträger und -unternehmen die Weiterbildung anbieten, zum Beispiel die Energieagentur in NRW. Derzeit ist die Innova eG mit verschiedenen Trägern in Berlin und Brandenburg im Gespräch, um auch hier Projektentwickler heranzubilden.

Walter, seit einigen Jahren im Berliner Vorort Falkensee zuhause, hat sich vor einem Jahr in Hessen und Rheinland-Pfalz weiterbilden lassen. Um die wenigen Tage im Jahr zu nutzen, die das Gesetz Arbeitnehmern zur beruflichen Weiterbildung frei räumt, setzt das Projekt auf das so genannte „Blended Learning“. Dieses Konzept verknüpft Präsenz-Lerngruppen mit Onlinelearning und Praxis-Exkursionen. Walter zum Beispiel bildete mit vier anderen Seminarteilnehmern eine eigene Regionalgruppe, „Die Nordlichter“, und entwickelte gemeinsam einen Genossenschaftsplan für ein Unternehmen in Kiel, das heute unter dem Namen „Bürger Energie Kieler Förde“ Realität geworden ist.

Das Modell Genossenschaft macht wieder Schule

Mehr als tausend Euro kostet so ein Kurs, der einen zum Projektentwickler für Energiegenossenschaften qualifiziert. Doch mehr als das Geld zählt die Motivation. „Das ist ganz einfach ein anderer Drive“, sagt Burkhard Flieger, Vorstand und wissenschaftlicher Leiter der Innova eG. Er ist Initiator der Weiterbildung und freut sich über den Erfolg. Die künftigen Projektentwickler seien hochmotiviert, engagiert und bereit, jede Menge Zeit und Kraft zu investieren. „Ich bin sehr zufrieden“, sagt Flieger. Mehr als die Hälfte der Projektentwickler seien nach der Weiterbildung dauerhaft aktiv und erfolgreich.

Mit ein Grund dafür: das Modell Genossenschaft macht heute wieder Schule. Als Zusammenschluss mehrerer Personen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, hat die Genossenschaft im 19. Jahrhundert durch den Sozialreformer Friedrich-Wilhelm Raiffeisen einen regelrechten Aufschwung erfahren. In der Weimarer Republik boomten dann vor allem Wohnungsbaugenossenschaften, aber auch Elektrizitätsgenossenschaften sorgten auf dem Land für Stromversorgung. „Rund 6000 solcher Energiegenossenschaften gab es in der Weimarer Republik“, so Flieger. „Heute gibt es wieder 600 Energiegenossenschaften, davon sind allein 450 in der jüngsten Gründungswelle entstanden.“ Und ihre Anzahl könnte weiter wachsen. Bis zu 1000 solcher Genossenschaften sagt er voraus. „Theoretisch gibt es für das Modell kaum eine Grenze.“ Allerdings gehen viele Genossenschaften irgendwann einen Schritt weiter und beschäftigen Angestellte statt hoch engagierte Freiwillige. Dafür müsse man profitabel werden und eine bestimmte Größe erreichen.

„Genossenschaften – das ist ja ein ganz anderes Wirtschaftsmodell“, sagt Flieger. Und das erfordert auch andere Gründer, Förderer, Beteiligte und Projektentwickler. „In der genossenschaftlichen Idee treffen Gewinnstreben und Gemeinsinn aufeinander. Das macht dieses Modell so einzigartig“, sagt auch Steffen Walter.

Entsprechend sind die Voraussetzungen: Neben der hohen Motivation zählt vor allem Durchhaltevermögen. Denn das Unterfangen, eine Genossenschaft zu gründen, die später ein möglicherweise milliardenschweres Vermögen verwaltet, ist voll durchreguliert. In einem Wirtschaftsplan müssen die Gründer die konzeptionelle und finanzielle Tragfähigkeit ihres Vorhabens präzise darlegen. Anschließend wird der Plan intensiv geprüft, bevor die Genossenschaft offiziell in das Genossenschaftsregister des zuständigen Amtsgerichts eingeschrieben werden kann.

Über erste Gründungsphasen ist Steffen Walter heute schon hinaus. Mitglied in vier Genossenschaften ist er geworden in den letzten Jahren. Wichtigstes Engagement ist die „Bürger Energie Berlin“ (BEB), die Walter mitgegründet hat. Das Unterfangen, das Berliner Stromnetz zu kaufen, ist ehrgeizig. In zwei Jahren läuft der so genannte Konzessionsvertrag aus, den der Berliner Senat mit dem Stromriesen Vattenfall über das Netz geschlossen hat. Dann könnte die BEB das Netz erwerben und betreiben. Noch allerdings ist die Genossenschaft erst ein paar Monate alt. Der Gründung im Dezember 2011 ging ein dreiviertel Jahr Planung voraus. Mitte April 2012 musste sie – gerade erst konstituiert – ihr Interesse am Berliner Netz offiziell anmelden. Nun muss sie in den kommenden Monaten einen dreistelligen Millionenbetrag einsammeln. Nächster Meilenstein ist daher eine große Werbekampagne, um neue Mitglieder und Geldgeber zu gewinnen. Natürlich zehrt Walter auch da von seiner Weiterbildung. „Das große Plus ist die Vernetzung untereinander“, sagt Walter. Wenn er eine Frage habe, stünden 90 Projektentwickler bundesweit bereit, um innerhalb von kurzer Zeit zu helfen.

Axel Novak

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