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Alle reden mit. In Zukunft bestimmt nicht mehr der Chef alleine, sondern die Mitarbeiter entscheiden im Team.

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Führungskultur in deutschen Unternehmen: Wer ist hier der Boss?

Flache Hierarchien, Diskussionen statt Ansagen von oben: Wie sich die Führungskultur in deutschen Unternehmen verändert. Und was die Wirtschaft ausgerechnet vom Militär lernen kann.

Wer hier Manager ist und wer Offizier, erkennt man nicht. Niemand trägt eine Uniform, kaum jemand einen Anzug. Die 20 Frauen und Männer diskutieren, was das Ziel für diesen Tag sein soll. Es gibt keine Anleitung, keinen Plan, nur ein Durcheinander von Stimmen. Chaotisch und laut.

Nach einer halben Stunde ein anderes Bild: Die Führungskräfte stehen schweigend im Halbkreis und schauen einen Mann an, der vor ihnen steht und spricht. Der die Runde leitet. Für Ruhe sorgt. Es ist ein Soldat. „Wie immer“, sagt Oberstleutnant Kai Prüter, der an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg unterrichtet – und lacht.

Bei diesem Workshop sprechen Nachwuchsmanager und junge Offiziere zwischen 30 und 35 Jahren über moderne Führungskompetenzen. Das Projekt haben die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg und die Bundeswehr vor einigen Jahren entwickelt. Mittlerweile findet es zum vierten Mal statt. Bis zum späten Herbst sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen digitalen Leitfaden zum Thema „Führen Lernen 4.0“ weiterentwickeln, von dem die Unternehmen der Region und die Bundeswehr dann profitieren sollen.

„Wer heute Führungskraft in einer digitalisierten Arbeitswelt ist, braucht ganz andere Fähigkeiten als noch vor zehn oder zwanzig Jahren“, sagt UVB-Geschäftsführer Sven Weickert. „Führungskräfte aus der Wirtschaft und der Bundeswehr können da viel voneinander lernen.“ Das diesjährige Schwerpunktthema ist agile Führung. Agil bedeutet, dass man bereit ist, seine Strukturen schnell zu verändern, seine Pläne anzupassen. Flexibilität ist wichtig, Hierarchien gar nicht mehr. Nur steht die Bundeswehr nicht geradezu für die übliche Art des Führens, wie es der Soldat gerade vorgeführt hat, für Hierarchien, Befehl und Gehorsam? Was sollen Unternehmen da lernen? „Natürlich ist all das im Einsatz nach wie vor wichtig. Da muss gehandelt werden ohne herumzudiskutieren“, sagt Prüter. „Bei uns gibt es aber nicht nur das Heer und die Marine. Es gibt ja auch eine Verwaltung und den Sanitätsdienst. Wir sind ein riesiger Arbeitgeber.“

Offiziere müssen auch unter hohem Druck entscheiden

Wovon sich die Wirtschaft zum Beispiel inspirieren lassen könne, sei, wie bei der Bundeswehr eine Führungskraft aufgebaut wird. „Ich war dafür zwei Jahre lang Schüler und habe nur an Weiterbildungen teilgenommen“, erzählt ein Teilnehmer. „In welcher Firma wäre das möglich?“ In vielen Betrieben werde eine Führungsstelle hingegen oft als Beförderung, als nächster Schritt auf der Karriereleiter angesehen. „Ein guter Mitarbeiter ist aber nicht automatisch eine gute Führungskraft“, sagt Jutta Wiedemann vom UVB. „Und wenn jemand dann nicht vernünftig angeleitet wird, ist er mit der neuen Verantwortung schnell überfordert.“ Ähnlich sei es mit der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Offiziere müssen das, auch unter hohem Druck. In der Wirtschaft würden sich Führungskräfte damit oft schwertun.

Auf dem Flipchart neben ihr stehen Themen, mit denen sich nicht nur die Führungskräfte in diesem Raum beschäftigen: Flachere Hierarchien, kulturelle Vielfalt, eine andere Art der Kommunikation, Mitarbeitermotivation, Resilienz, Einsatz digitaler Technologien. Eine Teilnehmerin würde gerne noch etwas besprechen: Führen auf Distanz. Wenn immer mehr Mitarbeiter von zu Hause oder einem anderen Ort aus arbeiten, dann würde sie gerne wissen, wie sie mit ihnen in Kontakt bleiben, Anweisungen und Feedback geben soll. Andere nicken. Ihr Anliegen wird auf dem großen weißen Papier notiert.

Dass Führungskräfte umdenken müssen, liegt nicht nur an dem digitalen Wandel, sondern auch an dem Wandel der Mitarbeiterbedürfnisse. An den Ansprüchen jener, die derzeit zwischen 17 und 37 Jahren alt sind – der Generation Y. Nach dem was Soziologen sagen, sind sie mit einem hohen Maß an Wahlfreiheit aufgewachsen. Als Kind beim Hobby, als junger Erwachsener bei der Entscheidung, wer sie werden und wo sie leben wollen. Ihnen wird ein starker Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit nachgesagt. Ihr Job soll ihnen nicht nur Sicherheit und gutes Gehalt bieten, sondern auch sinnvoll sein, Spaß machen und ihnen genügend Zeit für das Privatleben lassen. Die sogenannte Work-Life-Balance ist ihnen wichtig. Strenge Hierarchien akzeptieren sie nicht. Deswegen glaubt der Jugendforscher Klaus Hurrelmann, dass die Generation Y mittelfristig die gesamte Arbeitswelt umkrempeln wird.

Vom Bestimmer zum Coach und Mentor

Immerhin sind es in ein paar Jahren nicht länger nur die Mitarbeiter, die so ticken und die sich gewisse Anpassungen der Unternehmen wegen des zunehmenden Fachkräftemangels leisten können. Die Generation Y wird auch nach und nach die Führungsposten übernehmen und spätestens dann eine andere Kultur in den Unternehmen etablieren.

Auf der Grundlage von dem, was man über die Generation weiß und im Berufsalltag sieht, geht Führung wohl in folgende Richtung: mehr Projekt- und Teamarbeit auf Augenhöhe als Ansagen von oben. Der Chef entwickelt sich vom Bestimmer zum Coach und Mentor, der die berufliche Entwicklung seiner Mitarbeiter unterstützt. Er kontrolliert weniger, lässt den Beschäftigten mehr Freiheiten, was wiederum bedeutet, dass sie sich besser organisieren und mehr Verantwortung übernehmen müssen. Weil all das in Start-ups schon längst selbstverständlich ist, lassen sich die Bundeswehroffiziere und Manager, die über die Führung der Zukunft diskutieren, vom Bundesverband Deutscher Start-ups beraten.

Zusammen mit der Stanford University und der Leuphana-Universität suchen Unternehmen wie VW, Audi und die Deutsche Bahn gerade nach Konzepten aus dem Silicon Valley, die sie umsetzen könnten. Ein aktuelles Thema sei, eine Fehlerkultur zu schaffen; ein anderes, den Mut zu emotionaler Führung zu finden. Empathie und wertschätzende Kommunikation würden immer wichtiger werden, um gute Mitarbeiter zu halten. In diesen Kontext passt, dass SAP von nun an auf das alljährliche Mitarbeitergespräch verzichtet. Führungskräfte sollen kontinuierlich Feedback geben, in kleinen Häppchen, ohne Noten. Damit Beschäftigte lernen, gut und gesund zu führen, Konflikte zu entschärfen und andere zu motivieren, boomen außerdem Trainer-Seminare.

Nur zwölf Prozent Frauen auf leitenden Posten

Obwohl noch nicht alle leitenden Posten von freiheits- und freizeitliebenden Angehörigen der Generation Y besetzt sind, wünschen sich auch die Führungskräfte selbst eine andere Arbeitswelt. Für Frauen wäre vor allem eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gut, wie eine aktuelle Studie der Initiative „Chefsache“ zeigt. Nur zwölf Prozent der leitenden Stellen sind demnach von Frauen besetzt. Zwar steige die weibliche Erwerbsquote, aber in den höheren Etagen tue sich nach wie vor zu wenig, weil gerade dort viele Arbeitsstunden und lange Präsenzzeiten die Norm seien. „Insbesondere Frauen hindert diese Führungskultur an der Karriereplanung“, sagte Bernhard Beck, Personalvorstand des Energiekonzerns EnBW. Deswegen plädiert die Initiative für mehr Flexibilität in der Führungsetage. Damit auch die Vorgesetzten, die ihren Beschäftigten das Arbeiten angenehmer machen sollen, zufrieden sind.

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