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Erste Heimat Deutschland. Ihre Eltern kamen aus der Türkei, aus Vietnam, Polen oder Italien, sie selbst sind durch und durch Berliner. Trotzdem suchen immer mehr junge Mi- granten eine berufliche Perspektive im Ausland. „Das sind Fachkräfte, die uns verloren gehen“, warnt der TDU-Vorsitzende Hüsnü Özkanli. Foto: picture-alliance/dpa

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Wirtschaft: „Habt den Mut, Euch selbstständig zu machen“

Türkische Betriebe sind aus Berlin nicht wegzudenken. Zusammen mit der IHK werben sie um Nachwuchs

Die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung gibt es seit 15 Jahren. Warum wurde sie damals gegründet?

HÜSNÜ ÖZKANLI: Wir wollten die türkischen Unternehmer in der Stadt besser vernetzen. Und wir wollten ein Zeichen setzen: Seht her, uns gibt es, wir tragen genauso zur Wirtschaftskraft Berlins bei wie die deutschen Betriebe. Damals hatten wir vor allem kleine und mittelständische Mitglieder – und kaum deutsche. Mit 28 haben wir angefangen.

UWE LANGE: Das hat sich inzwischen komplett gewandelt. Heute hat der Verein fast 300 Mitglieder; rund zehn Prozent sind deutscher Herkunft. Und es sind nicht nur Klein- und Mittelständler, sondern auch Konzerne wie Targobank, Berliner Bank, Alba Group, BSR und AOK, um nur einige zu nennen.

Was bewegt deutsche Firmen dazu, Mitglied in der TDU zu werden?

LANGE: Da gibt es sicher unterschiedliche Gründe. Große Unternehmen wie Banken, Versicherungen oder Automobilhersteller haben heute alle ein Ethno-Marketing. Sie wollen gezielt Migranten als Kunden gewinnen – und die betreffenden Stellen werden auch mit Migranten besetzt. Wenn man das richtig anpacken will, kommt man in Berlin an der TDU nicht vorbei. Wir sind das Netzwerk, die Plattform, um Bewerber und Kooperationspartner zu erreichen.

ÖZKANLI: Hinzu kommt, dass Berliner Betriebe natürlich auch in der Türkei investieren – und dafür braucht man Partner, Kontakte vor Ort und Anwälte, die sich mit türkischem Recht auskennen. All das finden sie hier.

Haben Ihre türkischen Mitglieder andere Sorgen und Nöte als Ihre deutschen? Oder ist Unternehmer gleich Unternehmer?

ÖZKANLI: Natürlich bewegen alle Unternehmer oder Existenzgründer ähnliche Fragen. Aber es gibt auch Unterschiede. Unternehmer aus der Türkei, die geschäftlich nach Deutschland kommen wollen, müssen zum Beispiel immer noch umständlich ein Visum beantragen. Oder das Thema Kreditvergabe: Viele unserer Mitglieder sind ehemalige Gastarbeiter oder Kinder von Gastarbeitern und haben ihr Geld in der Türkei investiert. Brauchen sie aber hier einen Kredit, wird Grundbesitz dort nicht als Sicherheit anerkannt. Außerdem haben nicht alle die deutsche Staatsangehörigkeit, obwohl sie seit 30, 40, 50 Jahren hier leben oder sogar hier geboren sind. Dann stellt sich das Problem der fehlenden Freizügigkeit. Und manchmal gibt es natürlich auch Ärger mit Behörden. Ich will nicht sagen, dass wir ständig diskriminiert werden. Aber man erlebt hin und wieder gewisse Vorbehalte. Dabei fühlen wir uns alle als Berliner Unternehmer. Berlins Wohlstand ist unser Wohlstand. Und andersherum: Wenn es uns gut geht, geht es auch Berlin gut.

Am kommenden Wochenende veranstalten Sie zum zweiten Mal die TDU-Messe. Wen möchten erreichen?

ÖZKANLI: Wir haben gemerkt, dass sich viele unserer Mitglieder untereinander gar nicht kennen. Auf der Messe können sie sich präsentieren, gegenseitig kennenlernen und noch besser vernetzen. Gleichzeitig ist die Messe eine wunderbare Jobbörse für Facharbeiter und Akademiker, um potenzielle Arbeitgeber zu treffen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ausbildung: Wir brauchen guten Nachwuchs. Wenn wir heute nicht selbst ausbilden, fehlen uns morgen qualifizierte Mitarbeiter. Auf der Messe können sich Schüler über Praktikums- und Ausbildungsplätze informieren oder gleich ihre Bewerbungsunterlagen mitbringen.

LANGE: Sprache und Bildung sind der Grundbaustein für eine vernünftige und zielführende Integration. Wir bieten Jugendlichen diese Chance auf Bildung. Im letzten Jahr haben sich die Aussteller verpflichtet, zusammen 150 Lehrstellen anzubieten. Ähnliches werden wir wieder schaffen. Auf migrantische Jugendliche möchten wir besonders zugehen und ihnen klar machen: Okay, vielleicht hast Du in Deutsch und Mathe eine Vier, aber Du hast andere Qualifikationen, Du sprichst zum Beispiel verschiedene Sprachen. Also sei selbstbewusst bei Deinen Bewerbungen.

ÖZKANLI: Über 35000 junge Menschen ausländischer Herkunft verlassen jedes Jahr Deutschland, viele davon in Richtung Türkei. Das sind dringend benötigte Fachkräfte, die uns verloren gehen. Wir möchten jugendlichen Migranten hier eine Perspektive bieten und ihnen auch Mut zur Selbstständigkeit machen. Um als Unternehmer erfolgreich zu sein, muss man nicht Betriebswirtschaft studiert haben. Wer sich etwas zutraut, hart arbeitet und klug investiert, kann erfolgreich werden. Das erleben wir bei vielen unserer Mitglieder, aber auch am Beispiel bekannter Unternehmer mit türkischen Wurzeln. Nehmen Sie zum Beispiel den Öger-Tours-Gründer Vural Öger, der mit zehn Mark Startkapital begann. Oder Kemal Sahin, der heute mit 12000 Angestellten der größte türkische Unternehmer außerhalb der Türkei ist; als Junge hütete er Ziegen in Anatolien.

Was würden Sie sich für die Zukunft für die türkische Business-Community in Berlin wünschen?

ÖZKANLI: Dass wir als die Kraft wahrgenommen werden, die wir sind. Es gibt zwischen 8000 und 12000 Betriebe türkischer Herkunft in Berlin, die zwischen 30000 und 35000 Mitarbeiter beschäftigen. Sie erwirtschaften einen Jahresumsatz von rund fünf Milliarden Euro. Genauer kann man das nicht erfassen, da die Herkunft eines Unternehmens oft gar nicht so eindeutig ist. Viele türkische Gründer haben heute die deutsche Staatsangehörigkeit, andere Unternehmen haben Partner aus verschiedenen Ländern, die sich mit ihrem Kapital beteiligen.

LANGE: Das türkische Branchenbuch für Berlin ist dicker als mein Daumen. Allein unsere Mitglieder kommen aus fast allen Bereichen – vom Hotelgewerbe über Bauunternehmen, Architekten und Anwälte bis hin zu Ärzten und Pflegediensten. Als Herr Sarrazin damals seine „Gemüsehändler-Äußerungen“ machte, war er einfach nicht auf dem neuesten Stand. Sicher, vor 20 Jahren waren viele türkische Unternehmer noch Gemüsehändler, aber aus kleinen Läden sind inzwischen Supermärkte mit mehreren Filialen geworden. Diese Entwicklung hat er – wie auch viele andere Politiker – verschlafen.

ÖZKANLI: Mein Wunsch wäre es, dass man eines Tages gar keine türkischen Unternehmervereine mehr braucht, sondern dass wir uns alle unter einem Dach organisieren – als deutsche, als Berliner Betriebe. Im Moment ist die TDU aber noch eine wichtige Brücke zwischen Deutschland und der Türkei.

Das Gespräch führte Silke Zorn





Hüsnü Özkanli

ist Vorsitzender und Mitbegründer der

Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg (TDU).





Uwe Lange

ist Stellvertretender Vorsitzender der

Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg.

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