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Immobilien: Aus der Haft entlassen – endgültig

Als preußisches Arbeitshaus gebaut, von Nazis und DDR-Regime als Gefängnis genutzt: Am Nordufer der Rummelsburger Bucht werden 26 Millionen Euro in einen Wohnpark investiert

„Dirnen, Kuppler, Betrüger und Arbeitslose“ sollten hier durch „Arbeit und Ordnung“ gebessert werden. Rund 130 Jahre ist es her, seit am Nordufer des Rummelsburger Sees das sogenannte preußische Arbeitshaus gebaut wurde. Nun werden in den ein- bis viergeschossigen Pavillons in den nächsten zwei Jahren 152 hochwertige Wohnungen entstehen. Unter dem Namen „Berlin Campus“ hat der landeseigene Entwicklungsträger, die Wasserstadt GmbH, ein Konzept entwickelt – und mit der Maruhn-Immobiliengruppe sowie der Grundstein Bauträger GmbH die ersten großen Investoren gefunden.

Trotz der teils düsteren Geschichte des Areals, das jahrzehntelang als Haftanstalt diente, muss sich niemand Sorgen um Ausstattung und Ambiente der künftigen Luxusdomizile machen. Anders als heute wurde bei Sozialbauten nämlich damals nicht gespart. Der renommierte Stadtbaurat Hermann Blankenstein plante 1877/78 die roten Backsteinhäuser im Stil der Schinkelschule und verwendete hochwertige Materialien wie etwa Fliesen von Villeroy und Boch.

Heute steht das historische Ensemble mit 15 Einzelgebäuden unter Denkmalschutz. 60 Prozent der insgesamt 90 000 Quadratmeter großen Fläche und neun der Gebäude sind vergeben, 26 Millionen Euro werden investiert. Drei Baudenkmale sind zum Verkauf ausgeschrieben; das frühere Direktoriumsgebäude und zwei Beamtenwohnhäuser. Sie bilden das künftige Entree des Berlin Campus. Zwei Neubauten mit 50 Wohnungen sollen sich harmonisch in das Ensemble einfügen. Die Vermarktung startet am 18. Januar durch die Profi Partner AG, deren Chef Dirk Germandi gleichzeitig Eigentümer der Grundstein GmbH ist. Gedacht ist sowohl an Kapitalanleger wie an Eigennutzer. Eine Musterwohnung steht Interessenten schon offen.

Was die Außenflächen betrifft, müssen Kunden Vorstellungsvermögen mitbringen, denn noch watet man zwischen entkernten Gebäuden auf Lehmboden. Von den teils schon gesandstrahlten Fassaden leuchten aber bereits heute rot die Backsteine und lassen vermuten, wie es bald aussehen wird. Der Uferweg mit seinem Grünzug ist fertiggestellt; Grünanlagen, Sport- und Spielplätze sind geplant.

Der Berlin Campus ist einer der geschichtsträchtigsten Entwicklungsabschnitte der Rummelsburger Bucht. Wenn die künftigen Bewohner später über die Mittelpromenade und den See schauen, wird man sich kaum noch vorstellen können, wie die Nazis hier Homosexuelle und „psychisch Abwegige“ unterbrachten. Die DDR-Volkspolizei nutzte die Haftanstalt nach dem Krieg weiter. 300 Insassen zählte das Gefängnis bei seiner Schließung 1990, dann wurden die Gefangenen auf andere Anstalten Berlins verteilt. Einer der prominentesten Insassen war der entmachtete DDR-Staatschef Erich Honecker, der 1990 eine Nacht in Rummelsburg verbringen musste.

Seither wurden etliche Pläne für das Gelände gemacht – und ad acta gelegt. Die bekannteste Idee, verschiedene Gerichte dort unterzubringen, scheiterte 2001. Die in der Justiz umstrittene Idee konnte sich trotz des schönen Namens „Gerichtsgarten“ nicht durchsetzen. Dann plante der Orden des heiligen Lazarus von Jerusalem, das brachliegende Gelände für ein Seniorenpflegeheim und betreutes Wohnung zu nutzen. Auch daraus wurde nichts, ebenso wenig wie aus der Ansiedlung von Start-up-Unternehmen, Theater-, Management- oder Sprachschulen.

Für Winfried Brenne, den Architekten und Denkmalexperten, der seit Jahren mit der Wasserstadt GmbH zusammenarbeitet, sind die neuen Pläne Freude und Herausforderung zugleich. Heutige Wohnansprüche verlangen Zutritt ins Freie und helle Räume. „Es ist aufregend, die alte Substanz zu retten, aber modernen Anforderungen gerecht zu werden“, sagt Brenne. So wurden die historischen Fassaden erhalten, erhalten aber französische Fenster, vorgehängte Balkone nach Süden und kleine Vorgärten. Im Treppenhaus der Musterwohnung dominieren zarte Naturfarben, so wie sie das Restauratorgutachten als Original ermittelt hat. Die Wohnungen werden mit hochwertigen Bädern, Einbauküchen und Massivholzparkett ausgestattet. Daneben sind großzügige Nebenräume und Stellplätze vorgesehen.

Anders als in vergleichbaren Objekten wie dem Telefunken-Gelände in Steglitz oder dem Potsdamer Parc du Bois sind die Wohnungsgrößen von 45 bis 120 Quadratmetern eher knapp bemessen. Vielleicht ein geschickter Schachzug der Investoren Detlef Maruhn und Dirk Germandi. Denn so bleiben die Objekte mit 130 000 bis 200 000 Euro bezahlbar. Ein weiter Pluspunkt bei der Finanzierung: die Denkmalabschreibung. Für die Investoren ist die Entwicklung denkmalgeschützter Bauten kein Neuland. Dirk Germandis Unternehmen Profi Partner saniert bis zum Sommer 2007 die Postsiedlung in Dresden und hat in Berlin bereits etliche Gründerzeitbauten in Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Mitte modernisiert. Maruhn ist besonders stolz auf die Modernisierung des ehemaligen Charlottenburger Gesundheitsamtes an der Sybelstraße.

Die Tradition des Ortes wird sich auch in den Namen der Häuser wiederfinden. Namensgeber sollen die Baumeister des 19. und 20. Jahrhunderts sein, darunter Franz Schwechten (Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche), Ernst von Ihne (Staatsbibliothek Unter den Linden) und Karl Janisch (Berliner Siemens-Bauten).

Auch wenn es bei manchen Interessenten Vorbehalte gegenüber dem Standort Rummelsburg in Lichtenberg gibt – Investoren und „Wasserstadt“ bauen auf das, was sich im Südosten der Stadt bewegt; die Nähe zum Wista-Gelände in Adlershof, den Großflughafen Berlin-Schönefeld, den Wirtschafts- und Kulturkiez Media-Spree in Friedrichshain-Kreuzberg.

Ein Haken könnte die Infrastruktur des neuen Wohnparks werden, eine Einkaufsgegend ist der Kiez nicht. „Wir sind zuversichtlich, dass sich Einzelhandel ansiedeln wird. Spätverkauf, Feinkost- und Bioläden – bei den Käufern, die wir hier erwarten, könnte so etwas gut funktionieren“, hofft Christof Hamm, Projektmanager der Wasserstadt GmbH. Bis dahin bekommt man das vergessene Ei oder das Stück Butter vielleicht schneller beim Nachbarn.

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