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Für die Generationen Y und Z sind die klassischen Grenzen zwischen Wohnen und Arbeiten fließend.

© imago

Neue Wohnkonzepte: "Eine Kitchenette reicht"

Digitalisierung und Lebensstile der Generation Y finden langsam Eingang in die Architektur.

Mobiles Internet, Arbeiten in der Cloud und Always-Online-Mentalität: Das alles hat mehr mit Wohn- und Büroraumgestaltung zu tun, als es auf den ersten Blick scheint. Standortunabhängiges Arbeiten lässt die zeitlichen und räumlichen Grenzen zwischen Job und Privatleben zunehmend verschwinden. Der Wunsch nach der architektonischen Verschmelzung von Wohnen und Arbeiten ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Anforderungen, die die Generationen Y (geboren ab 1980) und Z (ab 1995) an Gebäude stellen, unterscheiden sich somit umfassend von der Art und Weise, wie Wohn- und Büroviertel heute noch konzipiert werden: Es ist Zeit für die Umsetzung neuer Konzepte, die schon auf dem Markt sind.

Der in Berlin ansässige israelische Architekt Itay Friedman zum Beispiel hat für ein Alt-Berliner Apartment unter dem Projektnamen „Brew Box pad“ einen Prototyp entwickelt, der den vielseitigen Anforderungen gerecht werden soll. Nämlich Wohnen und Business auf engem Raum in einer Symbiose unterzubringen. Mittels Spiegeltüren, Vorhängen und Schranksystemen können die Räume wahlweise einer privaten oder beruflichen Nutzung geöffnet werden.

Die Beletage hat ausgedient

Dass sich gerade in Metropolen die Anforderungen vieler Menschen an ihr eigenes Zuhause verändern, liegt auf der Hand. In München scheint man mit Blick auf Wohnräume für die moderne 25-Stunden-Gesellschaft einen Schritt voraus zu sein. Mit dem Neubauprojekt „Friends“ ging der Projektentwickler LBBW Immobilien die Anforderung konsequent an – und verkaufte ein halbes Jahr vor der Fertigstellung 90 Prozent der Einheiten.

Die Grundrisse können durch den Einzug von Leichtbauwänden leicht verändert werden. So kann ein Loft zur Zwei- bis Dreizimmerwohnung und auch wieder zurückgebaut werden. Teil des Projektes sind sogenannte Sharing Spaces – Flächen, die gemeinsam genutzt werden können: für alle Bewohner nutzbare Dachterrassen, eine voll ausgestattete Kitchenlounge, ein Deli und ein Fitnessstudio.

„Die Beletage ist nicht das Modell der Zukunft“, sagte Martin Klaffke, Professor für Personalmanagement und Direktor des Hamburg Institute of Change Management, über neue Wohnkonzepte für den demokratischen Wandel. Klaffke stellte in Berlin auf dem Demografie-Kongress Best Age neue Thesen zur zeitgerechten Quartiersentwicklung vor.

„Der Community-Gedanke wird in unseren Häusern Einzug halten“, sagte er. Gästezimmer und große Küchen seien verzichtbar, wenn in den Gebäuden entsprechende Räumlichkeiten vorgehalten würden. Positiver Nebeneffekt: „Der Umfang des privaten Raums wird sich verändern.“ Er kann kleiner werden.

Neue Quartiere müssen den Ansprüchen aller Generationen genügen

Klaffkes zweite und dritte These: „Teilen ist eine zentrale Botschaft der Generation Y, und die Work-Life-Balance muss stimmen.“ In die Gebäudekonfigurationen umgesetzt heißt das: „Eine Kitchenette reicht“, sagt Klaffke. Ein im Quartier beheimateter Lebensmittelservice werde kommen, ist sich der Professor aus Hamburg sicher: „So wie Amazon den Buchhandel revolutioniert hat.“

Es würden Quartiere entstehen, die allen Generationen sehr nahe kommen – mit Wohnungen, die für eine Basisrate angemietet werden können, die bei Bedarf um Abo-Gebühren für einen Wäsche- oder Reinigungsservice ergänzt wird.

Schrank- und Türsysteme machen aus einer Wohnung schnell ein Büro.
Schrank- und Türsysteme machen aus einer Wohnung schnell ein Büro.

© Itay Friedman Architects

Aktuell beschäftigt sich in Berlin das Bau- und Projektentwicklungsunternehmen Kondor Wessels mit solchen Überlegungen. Externe Dienstleister sollen etwa die „Vivacity“ Adlershof lebenswert machen und selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter garantieren.

Firmen tüfteln schon heute am Arbeitsplatz von morgen

Auch in der Arbeitswelt wird über neue Konzepte nachgedacht. Jedes große Unternehmen experimentiert damit. „Wie der Büro-Arbeitsplatz von morgen aussieht, ist für Entscheidungen von Unternehmen schon heute maßgeblich. Die Stichworte dabei heißen beispielsweise Co-Working und Open Space“, sagte Robert Hlawna, Geschäftsführer Corporate Solutions beim Immobilienberatungsunternehmen Colliers International, in dieser Woche in Berlin. Allerdings gingen nach seinen Beobachtungen neun von zehn Experimenten schief, da zwar die Räume, aber nicht die Organisation verändert würden.

Man könnte dazu Ludwig Engel, Zukunfts- und Stadtforscher, fragen. Der Futurologe referierte am Donnerstag in der Arena Berlin auf dem World Architecture Festival über die Frage, wie Digitalisierung und Lebensstile unsere städtischen Strukturen verändern werden. Es liegt eigentlich schon seit Jahrzehnten auf der Hand, folgt man Engel: „Wenn man Gesellschaft unterschiedlich auffasst und interpretiert, kommt man auch zu unterschiedlichen Bau- und Raumstrukturen.“

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