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Lebensader Wirtschaftsverkehr. Fast ein Drittel aller auf Deutschlands Straßen zurückgelegten Kilometer sind heute dem Wirtschaftsverkehr zuzurechnen.

© Jan-Philipp Strobel/dpa

Warentransport: Berliner Wirtschaftsverkehr im Stress

Für die Warenlieferung nutzen Unternehmen derzeit ihre individuelle Infrastruktur. Ein Urban Hub könnte die Logistikprobleme der Stadt lindern.

Staus und Lkw in zweiter Reihe – die Verkehrsprobleme für und durch Lastwagen nehmen zu. Das liegt am schnell wachsenden Onlinehandel und den vielen auszuliefernden Paketen, aber auch an verlängerten Öffnungszeiten und der zunehmenden Internationalisierung des Wirtschaftsverkehrs. Im boomenden Berlin kommen die vielen Baustellen hinzu. Für die Logistikbranche ist das eine enorme Herausforderung.

An Lösungsideen fehlt es nicht: Wissenschaftler haben für die neuen innerstädtischen Herausforderungen Konzepte erarbeitet. Besonders effektiv scheint ein „Urban Hub“: Zurzeit nutzen alle Logistikunternehmen ihre individuelle Infrastruktur für den Warentransport. In einem Urban Hub würden sämtliche Händler und Speditionen der Stadt eine zentrale High-Tech-Logistikimmobilie sowie einen gemeinsamen Lieferwagen-Fuhrpark nutzen, um die Warenlieferungen effektiv zu bündeln. Zusätzlich könnten umweltfreundliche, geräuscharme Elektro-Lieferwagen durch Nachtfahrten den täglichen Verkehr entlasten. Eine solche innovative City-Logistik könnte langfristig Kosten sparen, die Umwelt schützen, den Lkw-Verkehr reduzieren und die Bewohner vor Stress und Lärm schützen.

Doch derart umfangreiche Veränderungen wären aufwendig – und sind deshalb nicht sehr beliebt. Tobias Hegmanns vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik sagt, dass die Wirtschaft von den Ideen der Wissenschaftler nicht begeistert sei. Logistikunternehmen zweifeln, ob sich die hohen Investitionen für einen Hub auszahlen und E-Autos zuverlässig genug seien. Zudem wäre auch die Anpassung an die Lärmschutzauflagen für nächtliche Lieferungen kostenintensiv.

Das Thema Wirtschaftsverkehr wird von der Politik vernachlässigt

Richard Vahrenkamp, ehemaliger Universitätsprofessor für Produktionswirtschaft und Logistik, hat jahrzehntelang ähnliche Erfahrungen gemacht. „Die Logistikbranche bremste die Zentralisierung in einem Depot am Stadtrand, scheute den Verlagerungsaufwand und befürchtete längere Wege.“ Hinzu käme: „Der Wirtschaftsverkehr ist ein vernachlässigtes Thema der Politik.“ Bereits vor 80 Jahren habe es in Berlin mehr E-Lieferwagen gegeben als heute. Auch seine Vorschläge zur Belieferung der Innenstadt über die Spree und den Landwehrkanal nach Pariser Vorbild seien bei der Berliner Politik auf taube Ohren gestoßen.

Vahrenkamp resümiert: „Insbesondere in Berlin war es bisher nicht möglich, die vielen Interessenvertreter an einen Tisch zu bekommen und eine Umsetzung der Optimierungsideen zu erzielen.“

Zwar propagiert die Marketing-Organisation Berlin Partner, dass Berlin-Brandenburg zu den großen fünf Logistikstandorten Deutschlands gehört und die Logistikbranche eine „tragende Säule in der Entwicklung der Hauptstadtregion“ sei. Deshalb wurde auch ein Cluster Verkehr, Mobilität und Logistik gegründet.

Auf die Frage aber, welche Maßnahmen die Stadt plant, um den Verkehr für neue Herausforderungen wie den steigenden Onlinehandel zukunfsfit zu machen, winkt der Wirtschaftsverkehrsexperte der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Julius Menge, ab: „Zwar wächst die Anzahl der Sendungen durch die steigende Beliebtheit des Onlinehandels jährlich signifikant, doch hat das bisher aus einer gesamtstädtischen Perspektive kaum Auswirkungen auf den Verkehr.“

Der Senat sieht die Unternehmen in der Pflicht

So wären gar nicht mehr Lieferwagen im Einsatz, sondern die vorhandenen würden täglich mehrfach hin- und herpendeln: „Allein die Weihnachtszeit belegt alljährlich, dass bei den alltäglichen Touren immer noch Luft nach oben ist. Denn schließlich bricht auch in solchen Zeiten der Verkehr nicht zusammen“, sagt Menge gelassen.

Zudem scheitere die Umsetzung von Optimierungsmaßnahmen oft an konträren Interessen: „Natürlich wären zusätzliche Ladezonen in den Straßen wünschenswert, damit die Lieferfahrzeuge nicht in der zweiten Reihe stehen. Das würde jedoch zu Lasten der privaten Fahrzeughalter gehen, denen dann weniger Parkplätze zur Verfügung stünden“, gibt Menge zu bedenken.

Letztlich sieht der Senat den Handlungsbedarf eher auf Seiten der Unternehmen: „Sicherlich ist die Berliner Verkehrssituation nicht perfekt, aber letztlich ist die Retouren-Explosion eher ein logistisches Problem für die Unternehmen. Aus verkehrlicher Sicht sind Retouren nicht zwingend negativ. Schließlich reduzieren sie Leerfahrten“, sagt Menge.

Der Senat stehe deshalb mit der Logistikbranche im Kontakt – nicht regulativ, sondern beratend: „Die Logistikunternehmen sind global unterwegs. Berlin ist ein wichtiger Standort, aber nicht bedeutend genug, damit Speditionen ihre weltweiten Logistiksysteme für uns ändern.“

Claudine Hengstenberg

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