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Ein anderer Wind. In der Türkei sind ihre interkulturellen Fähigkeiten und ihre Sprachkenntnisse gefragt. Gute Berufsaussichten und ein hippes Lebensgefühl in Istanbul locken.

© dapd

Fachkräftemangel: Türkische Talente wandern ab

Zu viele Talente mit türkischem Namen fühlen sich bei der Stellensuche in Deutschland diskriminiert. Sie fehlen auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Eine Grundschule im Kölner Stadtteil Mühlheim mit überwiegend deutschen Schülern, ein Spielkamerad ohne Türkischkenntnisse und ein Deutschkurs an der Volkshochschule: Damit stellte sein Vater die Weichen auf Integration, als der siebenjährige Metin Aydin aus dem türkischen Kaiserli ins Rheinland kam.

Es dauerte bis zur neunten Klasse, dann hatte der Vater gewonnen. „Ich kapierte, dass ich etwas aus mir machen muss und kann“, sagt der 42-Jährige, der als oberster Projektleiter für die Neuausrichtung des Vertriebs der Deutschen Telekom zuständig ist. Berufsfachschule, gymnasiale Oberstufe, VWL und BWL an der Uni Köln waren die Stufen auf dem Weg zum Manager. Der Deutsche-Türke hat sein Ziel erreicht: Ich wollte in der deutschen Gesellschaft verankert werden und ein positives Signal für mich und meine Landsleute setzen.“

Metin Aydin gehört zu den wenigen türkischstämmigen Akademikern, die so weit gekommen sind. Er rät: „Die Wirtschaft muss ihr Augenmerk auf die dritte Generation der Türken in Deutschland richten. Sehr gut ausgebildete und sozial geprägte Deutsch-Türken, die sich in bikulturellen Belangen zu Hause fühlen, können für die deutsche Wirtschaft großen Mehrwert bedeuten.“

Doch die Unternehmen reagieren kaum – trotz Fachkräftelücke und auch wenn vereinzelte Unternehmen wie die Telekom sich um mehr Vielfalt innerhalb der Belegschaft bemühen. Zu viele Talente mit türkischem Namen und südländischem Äußeren empfinden die Diskriminierung bei der Stellensuche in Deutschland als so lästig, dass sie lieber in die Heimat ihrer Eltern oder Großeltern zurückkehren.

Zu ihnen gehört Ahmet-Anil Özbeyin, der in Hannover geboren und in Hamburg aufgewachsen ist und dessen familiäre Wurzeln in Istanbul liegen. In Deutschland studierte der heutige Direktor der Istanbuler Unternehmensberatung Conbridge Kulturwissenschaften, Geschichte und Betriebswirtschaft. Nebenbei betrieb er bereits eine Werbeagentur. Doch bei seinen Bewerbungen machte der 39-Jährige die Erfahrung, dass er selten in die Endauswahl deutscher Arbeitgeber kam: „Es ist dann schon beleidigend, wenn Leute, die mir sagen, dass ich gut deutsch spreche und dass ich gar nicht wie ein Türke aussehe, das positiv meinen.“

Nach einer beruflichen Station in London lockten ihn vor drei Jahren dann die Karrierechancen in Istanbul . „Dort kann ich mit meinem Netzwerk eine Brücke zwischen Okzident und Orient für Unternehmen bauen, die investieren wollen. Und ich kann in einer pulsierenden Stadt leben, die einem sogar am Ende eines langen Arbeitstages noch Energie gibt, etwas zu unternehmen.“

Diese Kombination aus guten Berufsaussichten und hippem Lebensgefühl lockt so manchen vom deutschen Arbeitsmarkt weg: Von insgesamt 31 754 Türken, die 2010 aus Deutschland abwanderten, waren 4314 zwischen 18 und 25 und 16067 zwischen 25 und 50 Jahre alt. Vor der Finanz- und Wirtschaftskrise waren es nur wenig mehr. Den Bildungsstand und die berufliche Qualifikation erfasst das Statistische Bundesamt zwar nicht, doch die Vermutung liegt nahe, dass fachlich versiertes und flexibles Potenzial, das deutsche Unternehmen gut brauchen könnten, ins Ausland abwandert. „Manche hoch qualifizierten Akademiker fühlen sich in Deutschland behindert in ihrer Karriere“, sagt Suat Bakir, Geschäftsführer der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer in Berlin. Noch elementarer scheint ihm jedoch ein anderes Argument: Für junge flexible Akademiker ist es attraktiv, wenn sie in einem Aufschwungland wie der Türkei schneller aufsteigen können“.

Wie das geht, weiß Pinar Ersoay. Die 38-Jährige ist seit 2010 Geschäftsführerin von Pelikan Türkei, der Vertriebstochter der Pelikan-Holding mit Sitz im Schweizer Schindellegi. Sie ging in Essen zur Schule und studierte Politologie in Bonn, wollte ihrem Vater in den diplomatischen Dienst folgen. Praktika im Bundestag und im Europäischen Parlament in Brüssel zeigten ihr jedoch die bürokratische Kehrseite: „Einen reinen Beamtenjob wollte ich nicht.“ So griff Ersoy den Tipp einer Bekannten auf und bewarb sich bei türkischen Banken für deren internationales Geschäft. Es klappte 1998 auf Anhieb mit einer Anstellung in Istanbul. Seitdem genießt die ehrgeizige Nachwuchskraft das südländische Flair in der Millionenmetropole am Bosporus ebenso wie die berufliche Anerkennung. „In Deutschland bringt es keinen Vorteil, fließend Türkisch, Englisch und Deutsch zu sprechen – in der Türkei schon.“

Auch andere Unternehmen wie die Wacker Chemie oder der Steckverbindungsmittelständler Lumberg setzen bei ihren Töchtern in Istanbul gern bi-national sozialisierte Akademiker als Vermittler zwischen den Kulturen ein - mit deutschem und türkischem Pass. Türken, die später wieder in Deutschland Station machen wollen, leiden allerdings unter einer lästigen Begleiterscheinung: Ihr Aufenthaltsrecht ist verwirkt, da die Türkei kein EU-Land ist. HB

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