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Archäologie: Akropolis in den Alpen

Burgen der Bronzezeit: Um 1700 v. Chr. fingen lokale Eliten im heutigen Österreich an Festungen zu bauen. Für Wissenschaftler beginnt damals das Bedürfnis der Menschen, differenzierte Sozialstrukturen auszudrücken und den Rang Einzelner kenntlich zu machen.

Die Jäger stellten ihrer Beute schon vor 10 000 Jahren in den Alpen nach. Vor 7000 Jahren stießen steinzeitliche Bauern mit ihren Kühen und Ziegen bis in die Zweitausender-Region vor. Seit Ötzi wissen wir zudem, dass die Alpen vor 5500 Jahren kein Hindernis waren für den Transfer von Dingen und Ideen aus dem heutigen Italien ins heutige Österreich. Feste Wohnsiedlungen in Höhen- und Hanglagen lassen sich seit der Bronzezeit ab 2000 v. Chr. nachweisen.

Archäologen haben seit Ende des 20. Jahrhunderts das Wissen um die prähistorischen Menschen in den Bergen vervielfacht. Die neueste Entdeckung: Um 1700 v. Chr. werden quer durch die Zentral- und Ostalpen einige der bestehenden Siedlungen zu Festungen ausgebaut. Ein knappes Dutzend dieser „Burgen der Bronzezeit“ ist bislang lokalisiert worden. An strategisch günstig gelegenen Stätten – auf Inselbergen in Flusstälern oder auf Felsspornen in 1500 Meter Höhe – schichteten vor 3700 Jahren Alpenbewohner Erde-Holz-Wälle und mächtige Steinmauern um ihre Häuser. Das war für die Region völlig neu und ohne jegliches Vorbild.

Die Schutzwehr aus Felsbrocken war in einer innovativen Zweischalentechnik errichtet, die Zwischenräume mit Schotter und Erde aufgefüllt. Die Archäologen können sie heute auf Längen zwischen 20 und 100 Metern nachweisen. Am Fuß maßen sie zwei bis drei Meter, die Wälle kamen bis auf sechs Meter Höhe. Damit waren diese locker aufgeschichteten, „kyklopischen“ Mauern tatsächlich ein wirksamer Schutz gegen Angriffe und signalisierten umliegenden Siedlungen: Hier lebt ein mächtiger Nachbar. Meist wurde nur eine Handvoll Häuser für 20 bis 40 Menschen so herausgehoben. Das unterstreicht, dass sich mit den Wällen eine Elite abgrenzen wollte.

Der Frankfurter Archäologe Rüdiger Krause untersucht im österreichischen Montafon eine solche Siedlung und staunt: „So etwas würde man in Mykene erwarten, aber nicht in unseren Breiten.“ Krause kann aus seinen Erkenntnissen im Inntal in der Zusammenschau mit den Arbeiten anderer Wissenschaftler einen Bogen spannen, der von der Ägäis via Balkan über die Alpen bis nach Südskandinavien reicht. Der Archäologie-Professor von der Uni Frankfurt am Main und sein Team wollen herausfinden, warum die „Burgen der Bronzezeit“ plötzlich entstanden und wer sie gebaut hat.

Ein Schritt zurück: Ab 2400 v. Chr. wurde das Klima in Europa ausgesprochen siedlungsfreundlich, die anhaltende Eroberung der Alpen durch den Bronzezeitmenschen begann. Der Handel über die Gebirgskämme hinweg wurde Standard, die Hochalmwirtschaft florierte, Kuhglocken gab es auch schon. Der Austausch zwischen den Bergtälern nahm zu, die Kontakte ins Alpenvorland, in die Bodenseeregion und ins Rheintal wurden intensiviert. Feuerstein und Bergkristall waren nützliche und begehrte Rohstoffe.

Mit der Innovation, aus Kupfer und Zinn harte Bronze zu fertigen, setzte ein alpiner „Kupferrausch“ ein. Der ist ab etwa 2000 v. Chr. archäologisch nachweisbar durch umfangreiche Hortfunde von Beilen und Barren im Alpenvorland. Schlacken als Überbleibsel von Kupferverarbeitung finden die Archäologen im Salzburger Pongau bei St. Veit über das untere Inntal bis zum Vorderrhein. Kupfer- und Bronzegegenstände waren zunächst hauptsächlich elitäres Statussymbol, dennoch wurden die Erzvorkommen in den Alpen ein immenser Wirtschafts- und Machtfaktor.

Waffen, Geräte und Prestigeobjekte wie Stabdolche aus Irland oder Vollgriffdolche, die aus der Elbe-Oder-Region stammen könnten, deutet Krause als Zeichen für das „gestiegene Bedürfnis, differenzierte Sozialstrukturen auszudrücken und den Rang Einzelner kenntlich zu machen“. Dies markiere auch den Aufbruch aus der Steinzeit in die Metallzeiten.

Mächtig. Drei Meter breit ist das freigelegte Fundament der Befestigungsmauer auf dem Plateau des Bartholomäberges.
Mächtig. Drei Meter breit ist das freigelegte Fundament der Befestigungsmauer auf dem Plateau des Bartholomäberges.

© Forschungsprojekt Montafon

Die von Krause untersuchte Burg auf dem Bartholomäberg im Montafon (Vorarlberg) wurde auf einer älteren Siedlung errichtet. In knapp 1000 Meter Höhe auf einem Felssporn mit Talblick bauten die neuen Herren bestehende Terrassen aus und schützten ihre Häuser zum Berg hin mit einer halbrunden Mauer – 80 Meter lang, drei Meter hoch, drei Meter dick. In der Burg war es eng, die sechs bis acht Reihenhäuser waren direkt an die Mauer gebaut. Die vier mal fünf Meter großen Gebäude boten Platz für maximal 35 Personen. Krauses Burg ist die älteste in Mitteleuropa, nach den C14-Daten wurde sie um 1700 v. Chr. errichtet.

Im Umfeld fanden die Archäologen bislang drei kleine unbefestigte Wohnsiedlungen. Der Frankfurter Professor schließt aus seinen Ergebnissen und den anderen Wehrstätten in den Alpen auf eine Siedlungshierarchie von bäuerlichen Wohngemeinschaften mit einer lenkenden Elite auf der „Akropolis“. „Offensichtlich handelt es sich um eine befestigte Zentralsiedlung, zu der weitere Siedlungen oder Gehöfte gehört haben müssen“, heißt es in einem Resümee der im Montafon tätigen Forschergruppe um Krause. Die Siedlung wird nach einer vorsichtigen Hochrechnung insgesamt nicht mehr als 200 Personen beherbergt haben.

Der größte Teil der bronzezeitlichen Bevölkerung im Montafon war mit der alltäglichen Nahrungsmittelerzeugung beschäftigt. Für die Gewinnung und Verarbeitung der Metallerze bedurfte es nur weniger Spezialisten. Sie setzten neuartige Techniken wie Untertagebau oder das „Feuersetzen“ ein, dessen Hitze das erzhaltige Gestein brüchig und damit besser abbaubar machte. Die Burg am Bartholomäberg ist – wie die anderen alpinen Elitequartiere auch – von ausgedehnten Kupfererzlagerstätten umgeben. Der direkte Nachweis bronzezeitlicher Erzstollen ist den Forschern noch nicht gelungen. Das wäre auch ein Glücksfall, denn die prähistorischen Bergwerke wurden bis ins Mittelalter genutzt. Unmengen von Schlacken bezeugen aber eine intensive Erzverarbeitung.

Die Kontrolle der Erzlagerstätten, die neuen metallurgischen Fertigkeiten und der Besitz von Prestigeobjekten aus Kupfer und Bronze prägten nach Krauses Einschätzung auch die bronzezeitliche Gesellschaftsstruktur in den Alpen. Um 1700 v. Chr. „waren die sozialen Strukturen gefestigt; eine Führungsschicht konnte sich dauerhaft etablieren“, erklärt der Archäologe.

Auf der Grundlage von wirtschaftlicher Potenz mit eingebautem Wachstumsfaktor pflegten die führenden Sippen, die Häuptlinge, Fürsten oder Priester großräumige Kommunikation und umfassenden Austausch. Wie weit der Bogen sich dabei spannt, zeigen die archäologischen Funde und Befunde: Kupfergeräte aus den Alpen fanden ihren Weg bis nach Jütland und Südskandinavien.

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