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Die Universität Potsdam.

© Karla Fritze/promo.

Debatte ums Leistungsprinzip in der Bildung: Mit Anspruch an die Uni? Das ist möglich

Das Leistungsprinzip lässt sich auch heute an Hochschulen durchsetzen. Allerdings werden einige Studierende einsehen müssen, dass sie den Anforderungen auch bei intensivster Betreuung nicht gewachsen sind, meint unser Gastautor Oliver Günther.

Schulen und Hochschulen hätten das Leistungsprinzip aufgegeben, Lehrkräfte honorierten statt Fähigkeiten nur mehr das Bemühen von Studierenden und Schülern – das kritisierte Ursula Weidenfeld jüngst im Tagesspiegel. Hier entgegnet ihr der Präsident der Universität Potsdam. Auch mit einer heterogenen Studierendenschaft könne das Leistungsprinzip hochgehalten werden.

Höhere Bildung genießt in unserer Gesellschaft ein enormes Renommee. Abitur und Hochschulabschluss werden nicht nur in bildungsnahen Schichten als Conditio sine qua non für ein glückliches und erfülltes Leben angesehen. Die OECD beklagt Jahr für Jahr, dass im weltweiten Vergleich immer noch zu wenige junge Menschen den Weg an die Hochschulen finden. Chancengleichheit und Durchlässigkeit werden von allen politischen Parteien als wichtige Ziele der Bildungspolitik proklamiert.

Dass akademische Bildung hoch gehandelt wird, muss einen Hochschullehrer erfreuen

Dass die akademische Bildung so hoch gehandelt wird, muss einen Hochschullehrer natürlich sehr erfreuen. Allerdings werden aus dieser Bildungseuphorie gelegentlich auch falsche Schlüsse gezogen.

Inzwischen gehen über fünfzig Prozent einer Alterskohorte nach Abschluss der Grundschule auf das Gymnasium, die meisten davon machen Abitur. Derart große Kohorten sind naturgemäß deutlich heterogener als die zwanzig Prozent Abiturienten, die in den siebziger und achtziger Jahren üblich waren, als viele der Entscheidungsträger von heute die Schulbank drückten.

"Allgemeine Hochschulreife" - das ist nicht mehr möglich

Einer solchen Gruppe einen äquivalenten Wissenskanon zu vermitteln wie im Abitur vor 30 Jahren, ist nur schwer möglich, wenn das Betreuungsverhältnis nicht wesentlich verbessert wird. Die flächendeckende Einführung von Inklusion, in die viele von uns große Hoffnungen setzen, verstärkt dieses Dilemma. Heterogene Kohorten bedingen einen höheren Betreuungsaufwand. Und selbst dann wird es nicht gelingen, allen eine „allgemeine Hochschulreife“ zu vermitteln – dafür sind die Begabungen und Interessen einer derart großen Kohorte schlicht zu unterschiedlich.

Oliver Günther.
Oliver Günther.

© Soeren Stache/Uni Potsdam

Auf der Hochschulebene findet diese Heterogenität ihre Fortsetzung. Von denen, die ein Abitur machen, nehmen die meisten anschließend ein Studium auf. Dazu kommen Studienanfänger, die über andere Berufswege – etwa einen Meister – ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben haben. Im Ergebnis haben viele Erstsemester zwar eine Hochschulzugangsberechtigung, aber keine Hochschulreife.

Freier Zugang mit flankierenden Maßnahmen

Die Hochschulen sind bemüht, das Problem über Brückenkurse und Collegestrukturen abzufedern, soweit ihnen das in Anbetracht der begrenzten Ressourcen möglich ist. Doch auch Brückenkurse können die elementare Einsicht nicht außer Kraft setzen, dass nicht jeder junge Mensch für jedes Fach geeignet ist. Im Sport, der Musik und den schönen Künsten gilt diese Einsicht als selbstverständlich. Warum nicht auch in anderen Fächern?

Nun will niemand will das Rad zurückdrehen, was den Zugang zur höheren Bildung für alle gesellschaftlichen Schichten angeht. Hier besteht nach wie vor Nachholbedarf, insbesondere was die Ansprache bildungsferner Milieus und junger Menschen mit Migrationshintergrund angeht. Der freie Zugang muss aber durch flankierende Maßnahmen komplementiert werden.

Bessere Betreuungsverhältnisse nötig

Erstens muss auch an den Universitäten das Betreuungsverhältnis wesentlich verbessert werden – was nur über eine auskömmlichere Grundfinanzierung erreicht werden kann. Unverzichtbar bleibt zweitens ein Leistungsprinzip, das eine mangelhafte Eignung oder eine unzureichende Leistungsbereitschaft früh erkennen lässt.

Drittens brauchen wir ein verbessertes Beratungssystem, das junge Menschen früh dabei unterstützt, die für sie passende Ausbildungsstruktur zu finden. Selbsttests vor Studienbeginn können bei der Suche nach dem richtigen Fach sehr hilfreich sein. Die Hochschulen dürfen sich Zulassungsentscheidungen nicht zu leicht machen. Zusätzlich zur Note des letzten Abschlusses müssen weitere Kriterien und gegebenenfalls standardisierte Tests zur Zulassung herangezogen werden, um wirklich die geeignetsten Bewerber zu gewinnen. Rechtlich ist dies in den meisten Bundesländern möglich, aber oft scheitert es an den Hochschulen schlichtweg an mangelnden Personalressourcen, die für eine sorgfältige Auswahl unabdingbar sind.

Studienabbruch darf keine Katastrophe sein

Wenn es mit dem gewählten Studium trotzdem nicht klappt, darf ein Studienabbruch keine Katastrophe bedeuten. Vielmehr sollten die Hochschulen sich bemühen, eine solche Konsequenz früh zu ziehen und dann aber auch Alternativen aufzeigen – sei es an einem anderen Hochschultyp, im dualen Bereich oder im Handwerk. Gerade das Studium an einer dualen Hochschule oder einer Fachhochschule ist keineswegs eines zweiter Klasse. Vielmehr wäre es aufgrund der stärkeren Praxisanteile für die Mehrzahl der Studienanfänger die richtige Wahl. Derzeit studieren nur rund 32 Prozent aller Studierenden an einer Fachhochschule. Dagegen sind 64 Prozent an den Universitäten eingeschrieben. Umgekehrt wäre es richtig.

Wenn nun aber schon so viele junge Menschen an den Universitäten landen, müssen sie sich auf das dort herrschende Leistungsprinzip einstellen. Auch bei sorgfältigster Auswahl wird dies bedeuten, dass so manche Erstsemester den Anforderungen auch bei intensivster Betreuung nicht gewachsen sind.

Unangenehme Wahrheiten einsehen

Es ist Sache der Universitäten, dies früh zu diagnostizieren und Konsequenzen zu ziehen. Dies darf den Hochschulen nicht als „hohe Abbrecherquote“ negativ angerechnet werden. Auch bei bestmöglicher Auswahl stellt sich oft erst im ersten, zweiten oder dritten Semester heraus, dass die Studienwahl die falsche war und man für das gewählte Fach schlichtweg nicht geeignet ist. Dies sind unangenehme Wahrheiten, aber das macht sie nicht weniger wahr.

Oliver Günther

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