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Sichere Sache. Die „Pille danach“ kann eine ungewollte Schwangerschaft verhindern. In Deutschland sperren sich die niedergelassenen Frauenärzte gehen eine rezeptfreie Abgabe, wie sie andernorts längst üblich ist und sich bewährt hat. Foto: picture-alliance/dpa

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Die Pille danach: Notfall mit Rezeptpflicht

Fast überall in Europa gibt es die "Pille danach" direkt beim Apotheker – Ausnahme: Deutschland.

Leichte Panik, mitten in der Liebesnacht. Das Kondom ist gerissen, das Internet-Programm zur Berechnung der fruchtbaren Tage ergibt, dass es zu diesem Zeitpunkt besonders leicht passiert sein könnte. „Ich weiß nicht, ob ich mich je darüber gefreut habe, in der Schweiz und nicht mehr in Deutschland zu leben, in diesem Moment ging es mir aber auf jeden Fall so“, schreibt die junge Frau später in einem Internetforum. Denn so konnte sie schnell handeln, ohne nachts in der Notaufnahme eines Krankenhauses um ein Rezept bitten zu müssen. Zusammen mit ihrem Freund hat sie die „Pille danach“ gleich in der diensthabenden Nachtapotheke besorgt.

Dass das Präparat mit dem hoch dosierten Wirkstoff Levonorgestrel dort ohne ärztliches Rezept zu bekommen ist, entspricht den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). In 28 europäischen Ländern und in 60 Ländern weltweit gibt es schon seit einigen Jahren Erfahrungen mit der Rezeptfreiheit der „Pille danach“ – die nicht mit der Abtreibungspille zu verwechseln ist. Denn das hoch dosierte Levonorgestrel, ein Hormon aus der Gruppe der Gestagene, wirkt, indem es den Anstieg des Hormons LH verhindert und so den Eisprung verzögert oder blockiert. Die Chancen auf sichere nachträgliche Verhütung sind deshalb größer, wenn die Notfall-Pille kurz nach der Panne eingenommen wird. Einer schon bestehenden Schwangerschaft kann das Mittel nichts anhaben.

Voraussetzung dafür, dass die „Pille danach“ auch für Frauen in Deutschland ohne Rezept verfügbar wird, ist allerdings eine Änderung der Arzneimittelverschreibungsordnung. Der Sachverständigenausschuss Verschreibungspflicht, ein beratendes Gremium, hat das Aufheben der Verschreibungspflicht 2003 für unbedenklich erklärt. Der Berufsverband der Frauenärzte sieht das in einer Stellungnahme (nachzulesen unter www.frauenaerzte-im-netz.de) allerdings deutlich anders: Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass junge Frauen im Notfall nicht einschätzen könnten, ob und wann sie die Pille danach einnehmen müssten. Mehr als 50 Prozent bedürften gar keiner Pille danach.

Tatsächlich liegen die fünf bis sechs fruchtbaren Tage in der Mitte eines normalen Monatszyklus. Sicher zu ermitteln, ob die Angst vor einer Schwangerschaft nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr unbegründet ist und ob auf die Pille danach verzichtet werden kann, ist allerdings eine heikle Aufgabe. „Im Einzelfall ist es oft nicht möglich, das Risiko einer Schwangerschaft auszuschließen, auch nicht durch eine ärztliche Untersuchung“, sagt die Ärztin Jutta Pliefke von der Beratungsstelle pro familia Berlin. „Und Levonorgestrel ist so gut verträglich, dass es unbedenklich ist, wenn eine Frau es im Einzelfall unnötigerweise einnimmt.“

Manche Frauen, die die Pille danach nicht rechtzeitig bekommen haben entscheiden sich für eine Abtreibung.

Bei pro familia verweist man darauf, dass die betroffenen Frauen und Paare am Wochenende gar nicht zum Frauenarzt gehen können und stattdessen auf ein Rezept vom Notarzt oder aus der Rettungsstelle angewiesen sind. In konfessionellen Häusern weigere man sich oft, ihnen ein Rezept auszustellen, berichtet Christiane Tennhardt, Ärztin im Berliner Familienplanungszentrum Balance.

In anderen Notaufnahmen ist das dagegen schnell geschehen, das Rezept wird je nach Dienst von Ärzten verschiedener Fachgebiete ausgestellt. Doch wenn man Pech hat, muss man stundenlang warten. Zudem hat eine Befragung von 120 pro-familia-Beratungsstellen 2010 ergeben, dass deren Mitarbeiter Ärzten im Notdienst schlechtere Kenntnisse über die Notfall-Kontrazeption attestieren als Apothekern. Immer wieder komme es zudem vor, dass Frauen sich mit dem Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch an pro familia wenden, weil sie nicht rechtzeitig Zugang zur Pille danach bekommen haben, berichtet Pliefke.

Umgekehrt ließ sich bisher allerdings auch nicht belegen, dass unkomplizierter Zugang zur Notfall-Kontrazeption die Anzahl unerwünschter Schwangerschaften verringert. Für eine 2005 im Fachblatt „Jama“ erschienene Studie hatten Tina Raine und Cynthia Harper über 2000 junge Amerikanerinnen zwischen 15 und 24 Jahren in einem Familienplanungszentrum über Notfallverhütung informiert und in drei Gruppen eingeteilt: Die eine bekam für alle Fälle drei Packungen der Pille danach mit nach Hause, die zweite das Recht, sie sich bei Bedarf in der Apotheke zu besorgen, die dritte fungierte als Kontrollgruppe und musste sich im Bedarfsfall an den Arzt wenden. In allen drei Gruppen wurden in den nächsten zwei Jahren rund acht Prozent schwanger, meist ungewollt.

Ebenso wie die Hoffnung auf einen günstigen Effekt der Freigabe auf Teenagerschwangerschaften erwies sich allerdings auch die Befürchtung als grundlos, es könnte mehr Ansteckungen mit sexuell übertragbaren Krankheiten geben: Kondome wurden offensichtlich in allen drei Gruppen gleich häufig benutzt. Die Verfasserinnen der Studie sahen deshalb keinen Grund, an der Rezeptpflicht festzuhalten. Inzwischen liegen so viele Erfahrungen mit dem Gestagen Levonorgestrel vor, dass die WHO dafür keine einschränkenden Gegenanzeigen formuliert hat. Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Verdauungsbeschwerden seien allgemein mild, heißt es in einem WHO-Papier.

Weit weniger Erfahrungen gibt es mit einem anderen Präparat, das 2009 unter dem Handelsnamen „EllaOne“ auf den Markt kam. Dessen Wirkstoff Ulipristalacetat gehört nicht zur Gruppe der Gestagene, verhindert aber das Andocken des natürlichen weiblichen Hormons Progesteron an seine Bindungsstelle. Als Pluspunkt hat das Präparat ein größeres Zeitfenster: Es wirkt in den ersten fünf Tagen nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Es steht allerdings allgemein, auch in anderen Ländern, unter Rezeptpflicht, seine Verordnung wird vorerst Privileg der Ärzte bleiben. „Wenn die 72 Stunden nicht verstrichen sind, gibt es keinen Grund, das neue Mittel anzuwenden, das teurer ist und mit dem noch deutlich weniger Erfahrungen bestehen“, sagt die Gynäkologin Blanca Kothé vom Sana-Klinikum Lichtenberg. Sie hat sich zusammen mit Kollegen schon 2008 im „Deutschen Ärzteblatt“ für die rezeptfreie Abgabe des herkömmlichen Präparats eingesetzt.

In Ländern wie Frankreich oder Schweden steht es in der Notapotheke von weiterführenden Schulen neben Verbandsstoff und Pflaster. Späterer Besuch bei Frauenärztin oder Frauenarzt nicht ausgeschlossen. Zum Beispiel, um in Ruhe über Verhütung zu sprechen und sich ein Rezept für die „normale“ Pille zu holen.

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