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In ihrem Medium. Schüler, die im Unterricht ein Netbook nutzen, lernen motivierter. Davon ist die große Mehrheit der Lehrer und Eltern überzeugt, Schüler sind etwas skeptischer.

© picture alliance / dpa

Digitalisierung in der Schule: Die Cyber-Klasse kommt

Netbooks helfen beim Lernen, die Zukunft heißt "3-D-Cyber-Classroom". Doch die Digitalisierung in der Schule scheitert oft am Geld. Auch Schülerinnen und Schüler sind nicht immer begeistert: "Ich hasse es, am PC zu lesen."

Wenn die Berliner Schüler in ihre Klassenzimmer zurückkehren, dürfen sie gespannt sein, ob sie in ihren Räumen neue Geräte vorfinden. In mehr und mehr Schulen gibt es interaktive elektronische Tafeln oder Schwarze Bretter, die vom Schulcomputer aus gesteuert werden. Und das ist nur der Anfang dessen, was „Digitalisierung der Klassenzimmer“ genannt wird: Langfristig könnte jeder Schüler, wie es in Laptopklassen bereits der Fall ist, mit einem eigenen Notebook oder iPad in die Schule kommen, sich dort oder auch zu Hause in eine mobile Lernumgebung einloggen und im Gerät seine Schulbücher und -aufgaben vorfinden und bearbeiten.

Wie der Unterricht der Zukunft aussehen könnte, können sich Interessierte demnächst auf der Frankfurter Buchmesse ansehen: Dort wird ein „3-D-Cyber-Classroom“ aufgebaut werden, mit einer interaktiven „Powerwall mit 3-D-Kino-Effekt“ und Multimediabrillen.

Ob die Digitalisierung den Unterricht wirklich verbessert, ist allerdings umstritten. Man braucht gar nicht den Thesen des Hirnforschers Manfred Spitzer zu folgen, der in seinem neuesten Buch die Auffassung vertritt, E-Learning behindere die kreative Entfaltung und Bildung der Schüler und führe zu schleichendem Gedächtnisverlust („Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“, Droemer Verlag). Es reicht schon aus, sich die Probleme des Alltags vor Augen zu führen: Wenn Projektorlampen an den Tafeln kaputtgehen, Soft- oder Hardwareprobleme den Unterricht aufhalten oder Lehrer nicht mit den neuen Geräten umgehen können, reduziert sich der mit viel Geld erkaufte Fortschritt schnell auf ein Schneckchen. „Bei uns hängt in jedem Raum ein SMART Board“, erzählt beispielsweise eine Berliner Gymnasiastin. „Aber nur drei Lehrer kennen sich damit aus. Andere denken, das wären normale Whiteboards und man könnte mit Filzern drauf schreiben.“

Dennoch liegen die Vorteile und Chancen auf der Hand. Das European Schoolnet (EUN), ein Netzwerk von 31 europäischen Bildungsministerien, gibt das Ziel einer 1-zu-1-Pädagogik vor: Jeder Schüler soll ein eigenes Endgerät haben, damit recherchieren, Aufgaben lösen und in Kontakt mit den Lehrern treten. Wie Schüler und Lehrer damit zurechtkommen, hat das European Schoolnet untersuchen lassen. Die Firma Acer Computer, Vertragspartner des EUN, stattete in sechs europäischen Ländern insgesamt 245 Schulklassen an 124 Schulen mit Net- und Notebooks aus, anschließend wurden Lehrer, Eltern und Schüler befragt. In Deutschland waren 21 Schulen mit 40 Klassen in Thüringen und Niedersachsen beteiligt, außer Deutschland waren noch Frankreich, Italien, Spanien, die Türkei und das Vereinigte Königreich mit Pilotklassen dabei.

Über die Ländergrenzen hinweg ergab sich: 71 Prozent der Befragten fanden, dass der Einsatz von Netbooks die Lernmotivation fördere. Das meinten vor allem die Lehrer (80 Prozent) und Eltern (75 Prozent), während die Schüler selbst nur zu 58 Prozent dieser Meinung waren. Über 60 Prozent der Lehrer in allen Ländern hatten nach einem Jahr Netbook-Einsatz den Eindruck, dass sich die Atmosphäre in der Klasse und die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern verbessert hätten und das Lernen individueller geworden sei: Die Schüler hätten besser in ihrem eigenen Tempo arbeiten und ihren eigenen Interessen folgen können. 82 Prozent der Lehrer wollten die Netbooks auch im nächsten Jahr gerne wieder einsetzen und ihren Gebrauch auch ihren Kollegen empfehlen.

Manche Schüler profitieren vom Lernen am Bildschirm. Andere haben das Nachsehen.

Immerhin 44 Prozent der deutschen Schüler gaben an, sie hätten den Lernstoff dank der Netbooks leichter verstanden, 41 Prozent fühlten sich beim Lernen unabhängiger und konzentrierter, und 37 Prozent konnten sich ihren Lernstoff besser merken, wenn sie ihn sich mit Net- oder Notebook erarbeitet hatten. Soeben wurde ein ähnliches Projekt, diesmal mit Tablet-Computern statt Net- und Notebooks, in acht europäischen Ländern abgeschlossen, ebenfalls eine Kooperation des European Schoolnet mit Acer. Der Evaluationsbericht liegt noch nicht vor.

Klar scheint zu sein: Wenn Net-, Notebooks oder Tablets geschickt in bestimmten Unterrichtsphasen eingesetzt werden, können sie die Schülermotivation und Lernleistung erhöhen und die Medienkompetenz verbessern. „Mit Animationen und Filmen können Sie manche Stoffe einfach besser erklären“, sagt Wilmar Diepgrond, Vorsitzender des Verbandes Bildungsmedien, der die Schulbuchverleger vertritt. „Außerdem sind digitale Inhalte leichter zu aktualisieren als Bücher, und die Schüler sind es heutzutage einfach gewöhnt, mit digitalen Medien umzugehen.“ Diepgronds eigener Verlag ist auch in Holland, Schweden, Belgien und England vertreten, dort ist die Entwicklung bereits weiter vorangeschritten. „Aber Deutschland holt mit großen Schritten auf. Es mangelt nur häufig an der Finanzierung: Oft genug haben die Schulträger nicht einmal eigene Budgets für Lernsoftware.“

Klar ist auch, davon ist nicht nur der Schulbuchverleger überzeugt: Net- oder Notebooks machen andere Medien nicht überflüssig. „Ich kann in Büchern besser lesen als am Bildschirm“, sagt Max Schuckert (16), und Malin Krüger (17) stimmt zu: „Ich will gar nicht den ganzen Tag in einen Laptop gucken, da tun mir die Augen weh.“ Sarah (17) sagt: „Ich hasse es, am PC zu lesen, und ich schreibe auch lieber mit der Hand. Auf keinen Fall sollte auf Bücher verzichtet werden.“

Davon sind die Berliner Schulen aber auch weit entfernt. „Wir haben zwar einen Computerraum, aber der ist meistens geschlossen“, sagt Frederik Bahr (16). „Wir wünschen uns mehr Computer.“ In manchen Klassenzimmern ist die Digitalisierung ganz ungeplant und von unten eingezogen: „Bei uns hat jeder ein iPhone“, erzählt Anna Baier (17). „Das ist echt nervig, denn manche spielen ständig damit herum. Die googeln im Lateinunterricht die Übersetzung und der Lehrer merkt’s nicht.“

- Die Schoolnet-Studie im Internet: www.netbooks.eun.org

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