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Ohne Reue. Als Anführer einer Sekte war Charles Manson unter anderem für den Tod der Schauspielerin Sharon Tate verantwortlich. Ein Gefühl der Schuld kann Manson nach eigenen Angaben nicht empfinden: „Ich weiß nicht, was Reue ist.“

© picture-alliance / dpa

Hirnforschung und Justiz: Mörderische Gehirne

Viele Gewaltverbrecher haben defekte Gene und falsch funktionierende Hirnregionen. Aber soll das die Strafe mildern?

Das konnte Abdelmek Bayout nicht auf sich sitzen lassen. Ein paar Touristen aus Südamerika hatten den in Italien lebenden Algerier wegen seines Kajal-Makeups gehänselt, das der Muslim nach eigenen Angaben aus religiösen Gründen trug. Wutentbrannt ging Bayout nach Hause, holte ein Messer, stach zu – und tötete Walter Perez, einen Kolumbianer, der mit den Touristen gar nichts zu tun gehabt hatte, die ihn vorher gereizt hatten.

Machen schlechte Gene zum Mörder?

Im Mordprozess beantragte die Verteidigung zu prüfen, ob ihr Mandant unzurechnungsfähig sei. Also bat der Richter die Neurologen Pietro Pietrini von der Universität Pisa und Giuseppe Sartori von der Universität Padova um ein Gutachten. Die Forscher untersuchten Bayout nicht nur psychiatrisch und scannten sein Gehirn im Magnetresonanztomografen (MRT) auf Besonderheiten. Sie analysierten auch das Erbgut des Mörders. Tatsächlich fanden sie Mutationen in fünf Genen, die mit gewalttätigem Verhalten in Verbindung gebracht werden. Darunter auch das Gen MAOA, dessen Defekt mit aggressivem Verhalten bei Menschen in Verbindung gebracht wird. Pietrini und Sartori kamen zu dem Schluss, dass Bayout „teilweise unzurechnungsfähig“ ist. Der Richter reduzierte die Strafe um ein Jahr. Seitdem gilt der Triester Revisionsprozess, der mittlerweile fünf Jahre zurückliegt, als erster Fall, bei dem „schlechte Gene“ als mildernde Umstände in einem Mordverfahren anerkannt wurden.

Gegen diese Darstellung wehrte sich Pietro Pietrini kürzlich energisch auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde in Berlin: „In unserem Gutachten war keine Rede davon, dass die Tat aufgrund der Gendefekte ausgeübt wurde.“

Mit dem Hirnscanner ins Gefängnis

Seit Jahren sammeln Forscher Hinweise darauf, dass manche Menschen ihre aggressiven Impulse nicht so wie andere kontrollieren können. Der US-amerikanische Forscher Kent Kiehl beispielsweise fährt mit einem mobilen MRT durch die Strafanstalten der USA und scannt dort die Gehirne von Psychopathen. Acht Gefängnisse hat er mittlerweile besucht. Bei diesen Hirnscans fand Kiehl ein auffallend inaktives paralimbisches System. Das hufeisenförmige Gebilde im Zentrum des Gehirns enthält neben der Amygdala auch die Insula, den cingulären und den orbitofrontalen Cortex – allesamt verantwortlich für die Produktion und Regulation von Gefühlen. Kiehl vermutet darin die Ursache für die Gefühlskälte von Psychopathen „Ich verstehe Regeln, aber ich weiß nicht was Reue bedeutet, ich kann Reue nicht fühlen“, soll Charles Manson, der wegen Anstiftung zu mehreren Morden lebenslang in Haft sitzt, gesagt haben.

Auch Ruben Gur von der Universität Pennsylvania in Philadelphia hat die Gehirne von Mehrfachmördern untersucht und spricht von einem „Modell des Mordes“: „Wir starten mit dem Striatum, wo die Motivation erzeugt wird, dem Limbischen System, wo Gefühle reguliert werden und dann kommt der orbitofrontale Cortex dazu, wo Moral und Gesetz berücksichtigt werden und entschieden wird, was zu tun ist“, sagt Gur. „Wir finden bei Mehrfachmördern Probleme in all diesen Regionen und wenn diese zur falschen Zeit und am falschen Ort zusammenkommen, dann passieren solche Verbrechen.“

Gendefekte machen sensibler für schlechte Umwelt

Bislang ist jedoch unklar, ob die veränderten Hirnaktivitäten Ursache oder Auswirkung langjährigen aggressiven Verhaltens sind. In Experimenten zumindest verhalten sich sowohl Affen als auch Menschen plötzlich aggressiv, bei denen die genannten Hirnregionen mit einem magnetischen Impuls unterbrochen wurden. Kiehl hat Teenager untersucht, die durch extrem unsoziales und auch gewalttätiges Verhalten aufgefallen sind, und sieht dort die gleichen Veränderungen im Hirn. Das legt nahe, dass frühe Hirnverletzungen, Entwicklungsstörungen oder gar Erbfaktoren eine Rolle dabei spielen, wie Menschen mit Aggressionen umgehen.

Pietrini betont, dass „Gene keinen deterministischen Effekt auf kriminelles Verhalten“ haben. Nur weil jemand ein mutiertes MAOA-Gen hat, wird er also nicht zwangsläufig zum Mörder. „Aber Mutationen in diesen Genen können sensitiver für Umweltbedingungen machen.“ Wer keine veränderten „Aggressionsgene“ hat, der sei gegenüber Einflüssen durch Erziehung oder soziales Umfeld weniger anfällig. Sind jedoch Gene wie MAOA defekt, seien die betroffenen Menschen sensibler für schlechte Lebensbedingungen – vermutlich weil sich dadurch bestimmte Hirnregionen anders entwickeln: Bei Menschen mit geringer MAOA-Aktivität sind Hirnregionen wie die Amygdala, der anteriore Cingular-Cortex und der orbitofrontale Cortex um etwa acht Prozent kleiner. Dennoch sagt Pietrini: „Wenn das soziale Umfeld positiv und protektiv ist, dann entwickeln sich diese Menschen auch besser.“

Freiwillig wird niemand zum Mörder

Inzwischen ist Pietrini in mehreren Fällen von Gewaltverbrechen von italienischen Gerichten um Gutachten gebeten worden. Kurz nach Bayouts Prozess reduzierte ein Richter die Strafe von Stefania Albertani für den Mord an ihrer Schwester von lebenslänglich auf 20 Jahre. Pietrini hatte Änderungen in der Hirnmorphologie festgestellt und Mutationen in fünf Aggressionsgenen. Auch bei einer 24-Jährigen, die ihr Kind kurz nach der Geburt erstickt hat, fanden Pietrini und Sartori sowohl Genmutationen als auch pathologische Hirnveränderungen.

Machen Genanalyse und Hirnscans also Schule in Mordprozessen? Inwieweit solche Befunde als strafmildernde Umstände zu werten sind, ist und bleibt heftig umstritten. Nicht jeder Mensch mit herabgesetzter Aktivität seines MAOA-Gens neigt zu impulsivem, aggressiven Verhalten. Auch wenn Hirnscan und Gentest das Handeln eines Mörders nie werden erklären können, sondern bestenfalls verständlicher machen, könnten sie zukünftige Verbrechen verhindern helfen: Kent Kiehl will per MRT-Scan das Rückfallrisiko von Straftätern vor deren Entlassung abschätzen. Pietrini hingegen hält es mit dem Philosophen Plato: „Freiwillig ist niemand schlecht, sondern wird es durch eine schlimme Beschaffenheit seines Körpers und ein Aufziehen ohne Unterweisung. Das alles ist jedem zuwider und widerfährt ihm wider seinen Willen.“

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