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Schnell gelangweilt. Mert (hier an der TU Berlin) nervt es manchmal, wenn seine Mitschüler in der Schnellläuferklasse nicht gleich alles verstehen. Darum studiert er nebenbei. In seiner Freizeit spielt er Oboe im Laienorchester von Simon Rattle.

© Thilo Rückeis

Hochbegabt: Ein Kind studiert

Der elfjährige Berliner Schüler Mert wird bald zum zweiten Mal eine Klasse überspringen und belegt schon Kurse in Astrophysik an der TU. Der Nasa-Chef hat versprochen, ihm einen Platz bei der Mars-Mission 2030 freizuhalten.

Wenn er groß ist, will Mert am liebsten Astronaut werden. Diesen Berufswunsch haben viele Elfjährige. Doch für Mert ist es nicht einfach irgendein Traum. Er besucht bereits Kurse in Astrophysik.

Seit einem Jahr studiert Mert an der Technischen Universität Berlin, im April beginnt sein drittes Semester. Allerdings belegt er hier keine Kurse in Physik, dafür reichen seine Mathematikkenntnisse noch nicht aus. In der siebten Klasse des Humboldt-Gymnasiums in Berlin-Tegel, in die er geht, machen sie gerade Bruchrechnen. Um etwas über den Weltraum zu erfahren, fährt Mert also nach Friedrichshain zu einem Verein für Hochbegabtenförderung. An der TU belegt er Kurse in Biologie.

Mert ist einer von derzeit rund 60 Schülerstudierenden, die an der TU ein naturwissenschaftliches Studium kennenlernen. Nicht alle sind so jung wie er. Die meisten kommen ab der zehnten Klasse, offiziell heißt das Programm „Studium ab 16“. Die Schüler haben den Status von privilegierten Gasthörern, weil sie Prüfungen ablegen können und den gleichen Anforderungen unterliegen wie ordentliche Studierende. Auch Mert hat bereits eine Klausur hinter sich. „Ich mache alles mit, was die machen“, sagt er, den Blick auf den Bildschirm seines Computers gerichtet, wo er neben dem Gespräch Schachrätsel löst.

Mert trainiert für die deutschen Schachmeisterschaften, er spielt Oboe im Laienorchester von Simon Rattle und besucht an seiner Schule eine „Schnellläuferklasse“ für überdurchschnittlich begabte Kinder. Trotzdem ist er häufig unterfordert. „Es nervt mich schon manchmal, wenn andere nichts verstehen“, sagt der Sohn eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter, Selbstständige mit einem Autohaus.

Franz-Josef Schmitt, der in Friedrichshain den Astrophysikkurs leitet, empfahl Mert das Schülerstudium. Schmitt kennt Mert seit vier Jahren. Trotz der vielen Aktivitäten habe sein Interesse am Lernen nie nachgelassen, sagt er. Seit Mert zur Uni geht, ist er kommunikativer und weniger unruhig.

Mert gefällt an den Vorlesungen, dass es disziplinierter zugeht als im Klassenzimmer. Die Dozenten können seine Fragen beantworten, Diskussionen über Gentechnik findet er spannend. Dass seine Kommilitonen älter sind, scheint ihm kaum aufzufallen. Wie sie bereitet er sich mit Folien aus den digitalen Lernplattformen auf die Vorlesung vor. Das Wort „Phosphoenolpyrovat-Phosphotransferase“, das auf einer dieser Folien steht, liest er ohne mit der Wimper zu zucken vor. Erklären kann er es natürlich auch: „Ein Enzym begleitet Zucker durch eine Membran.“

Claudia Cifire, die die Schülerstudenten bei ihrer Kurswahl berät, prüft bei der Anmeldung, ob ein Kind wirklich studieren will. Auch Physiker Schmitt sieht die Gefahr, dass Eltern ihren Kindern zu viel aufbürden, um sich selbst zu profilieren. Bei Mert scheint das nicht der Fall zu sein: „Studium ist besser als Schule“, findet er. Die Schule muss mit dem Studium jedoch einverstanden sein. Bisher hat Mert eine Vorlesung pro Woche besucht, die nachmittags stattfand. In diesem Sommersemester fällt sein Kurs auf den Vormittag. Drei Unterrichtsstunden wird er verpassen. Die Lehrer für Latein und Sport sehen das nicht so gerne.

Ein ganzes Studium wird Mert neben der Schule nicht absolvieren, dafür ist ein Kurs pro Semester zu wenig. Ohne Abitur könnte er an der TU ohnehin keinen Bachelor machen, doch die Kurse kann er sich anrechnen lassen. Auch Schmitt findet es wichtig, dass Mert zuerst die Schule beendet, sei es im Schnelldurchlauf: Im Sommer überspringt er zum zweiten Mal eine Klasse. Sollte Mert tatsächlich ein Physikstudium anpeilen, braucht er mathematisches Wissen auf Abiturniveau. Schmitt erzählt, selbst hochbegabte Neuntklässler würden angesichts multipler Variablen und komplexer Formeln schnell sagen: „Das ist Quatsch, das versteh ich nicht.“

Mert macht sich um seine Zukunft derweil allerdings keine Sorgen. Als der Nasa-Chef Charles Bolden kürzlich an der TU einen Vortrag hielt, ging Mert zu ihm und erkundigte sich nach der nächsten Mars-Mission. Sie ist für 2030 geplant. Bolden hat gesagt, dass er Mert einen Platz im Team freihält.

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