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© dpa

Stipendien: Mit dem Rotary-Club an die Uni

Streit um das geplante bundesweite Stipendiensystem: Selbst Befürworter vermissen eine soziale Komponente. Hochschulen hoffen derweil auf wohlhabende Gönner, die die Stipendien finanzieren.

Wenn die nordrhein-westfälischen Universitäten in diesem Semester ihre neuen Stipendiaten zum Empfang bitten, sind das übersichtliche Veranstaltungen: An der Technischen Hochschule in Aachen treffen sich 190 Studenten, die vom neuen NRW-Stipendium profitieren. Das sind mehr Geförderte als an irgendeiner anderen Universität des Landes, aber gerade 0,6 Prozent der Aachener Studenten. Doch geht es nach Landesbildungsminister Andreas Pinkwart (FDP) und der CDU/FDP-Koalition im Bund, wird das NRW-Modell zur Blaupause für ein bundesweites Stipendienprogramm.

Das Ziel: Acht Prozent aller Studierenden erhalten je 300 Euro monatlich, zur Hälfte finanziert vom Staat und privaten Geldgebern; zusammen mit den alten Stipendien der Begabtenförderungswerke sollen in Zukunft zehn Prozent der Studenten gefördert werden. Der Bedarf ist da: In Aachen balgten sich am Ende 2000 Bewerber um die 190 Stipendien. Für einen aussichtsreichen Plan hält Ulrich Müller, Experte für Studienfinanzierung beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), das neue Stipendienmodell. „Das ist eine Initialzündung“, sagt er, weil private Geldgeber sich mühelos mit kleinen Beträgen engagieren könnten, ohne ein eigenes System aufbauen zu müssen. Ohne die geplante Staatshilfe war das Engagement der Wirtschaft in den vergangenen Jahren eher mau ausgefallen.

Selbst im reichen Baden-Württemberg ließen die Unternehmen die Politik mehrfach im Stich. Als hier Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) 2004 sein Studiengebühren-Konzept vorstellte, delegierte er den versprochenen Aufbau eines Stipendiensystems an Hochschulen und Wirtschaft. Doch auch zweieinhalb Jahre nach Einführung der Studiengebühren gibt es kein Fördersystem. Ausgleich für Begabte oder Bedürftige musste Frankenberg schließlich mit zahlreichen Ausnahmen schaffen. Heute wird mehr als einem Drittel der Studenten die Gebühr erlassen. Auch beim Hochschulausbau 2012 signalisierte die Wirtschaft zwar lautstark Unterstützung, die von der Südwest-Politik erhoffte Finanzhilfe blieb aber aus.

Auch in NRW läuft das neue Stipendiensystem nur langsam an. Bisher hat Minister Pinkwart insgesamt 1400 Stipendien aufgelegt. Damit bekommen nur 0,3 Prozent aller Studierenden in NRW die Beihilfe. Betrachtet man nur die 300 000 Studierenden, die an staatlichen Hochschulen in der Regelstudienzeit studieren, erhöht sich die Quote der Geförderten geringfügig auf 0,46 Prozent. In diesem Jahr soll die Zahl der Stipendien nach Pinkwarts Plänen verdoppelt werden.

Gleichwohl glauben einige Experten und Hochschulen inzwischen aber, dass sie für das neue Stipendiensystem langfristig genügend Unterstützer finden. „In Nordrhein-Westfalen war das ziemlich erfolgreich“, sagt Volker Meyer-Guckel, Vize-Generalsekretär des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft. Die RWTH Aachen hält es für möglich, aus 190 Stipendien 3000 zu machen. Tatsächlich kann sie mit dem Elite-Titel werben. Technikfächer garantieren gute Beziehungen zur Wirtschaft. In NRW wurden 21 Prozent der Stipendien an Ingenieurfächer gebunden, 27 Prozent an Rechts-, Wirtschafts- oder Sozialwissenschaften – gerade einmal 0,5 Prozent an Sprach- und Kulturwissenschaften. NRW ist zudem Sitz von 23 der 50 umsatzstärksten deutschen Firmen. Da haben es Hochschul-Fundraiser leichter als anderswo in Deutschland.

Die Herausforderung für ein bundesweites Stipendienmodell ist ohnehin mit der Dimension des NRW-Modells kaum vergleichbar. Bezogen auf 2,1 Millionen Studenten in Deutschland müssten die Hochschulen 210 000 Partner für Stipendien finden. Allein in Aachen würde die Zahl um das Fünfzehnfache steigen. Mit ein paar mehr Spendern aus der Wirtschaft wäre das kaum zu schaffen. Schon jetzt nehmen die Hochschulen in NRW andere Förderer ins Visier. Nur 38 Prozent ihrer Stipendien kommen von Unternehmen, 43 Prozent von Stiftungen und Vereinen, 17 Prozent von Privatpersonen. Die Unis hoffen auf wohlhabende Gönner, Rotary-Clubs und Nachlässe.

Gerade in ärmeren Bundesländern, wo sich wenig potenzielle Spender finden, gibt es deswegen auch Bedenken. So sagte unlängst Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister in Sachsen-Anhalt, er halte das Stipendiensystem zwar prinzipiell für eine gute Idee. Wirtschaftsschwache Länder dürften aber nicht benachteiligt werden. Die SPD hat ebenfalls Kritik angemeldet. Allerdings könnten CDU und FDP die Stipendien mit ihrer Mehrheit im Bundesrat beschließen – was auch die SPD-geführten Länder zwingen würde, die Stipendien einzuführen.

Den immensen Finanzbedarf hält CHE-Experte Müller noch nicht einmal für die größte Hürde auf dem Weg zu einem funktionierenden Stipendiensystem. „Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft“, sagt er über Finanzierungsmöglichkeiten. Er vermisst bislang vor allem ein Konzept: „Was für ein politisches und gesellschaftliches Ziel verfolgt dieses Stipendienprogramm?“

Bis auf das Ziel, zehn Prozent der Studenten zu fördern, fehlen Antworten. Soll wie beim NRW-Programm nur Leistung zählen, nicht aber Bedürftigkeit? Das Hochschul-Informationssystem hat nachgewiesen, dass die Stipendien der elf Begabtenförderungswerke derzeit vor allem jene erreichen, die ohnehin bessere Startchancen haben: Studierende aus Akademikerfamilien. Andere bewerben sich erst gar nicht um die Stiftungsprogramme. Die Lehre daraus: Das Stipendium müsste vor der Entscheidung für ein Studium erreichbar sein, also in der Schule. Damit es jenen Lust aufs Studieren machen kann, die sich aus Geldsorgen sonst nicht einschrieben.

Und selbst dann deckten die 300 Euro Förderung nicht einmal die Hälfte der monatlichen Kosten eines Studenten, die das Studentenwerk auf 770 Euro beziffert. Es mahnt darum, ein Stipendiensystem dürfe nicht zulasten des Bafög gehen. Der Freie Zusammenschluss von Studentenschaften hält leistungsabhängige Stipendienmodelle grundsätzlich für falsch. Er will über die Förderung ungleiche Einkommen ausgleichen. Gegen rein leistungsfixierte Stipendien steuern auch Akteure, die weniger im Ideologieverdacht stehen: Die Uni Köln baut eine Stiftung auf, um Punkte wie Kinderbetreuung, Internationalität oder Bedürftigkeit besser berücksichtigen zu können. Davon verspreche man sich mehr als vom Modell des Landes, sagt ein Sprecher.

Dabei helfen könnte ein Trend, den die Uni Karlsruhe bei Geldgebern ausgemacht hat. Während Unternehmen mit Blick auf Job-Kandidaten gern die Besten fördern, helfen Alumni und andere Einzelspender lieber Bedürftigen. Die Uni Mannheim versucht es mit einer Mischform: Sie verleiht den Besten Stipendien – und fordert die Stipendiaten auf, das damit verbundene Geld Bedürftigen zu geben, wenn sie es nicht selbst brauchen. So bleibt den einen der Ruhm im Lebenslauf, den anderen die Wohltat. Immerhin 13 Stipendiaten wählten vergangenes Semester den Weg des Verzichts.

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