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Studierende sitzen im Hörsaal und schreiben mit.

© dpa

Mitschnitte im Hörsaal: Twittern erlaubt, Filmen verboten

Studenten sollten das Urheberrecht auch in der Vorlesung beachten, ansonsten drohen Strafen. Probleme bekam etwa ein Student, der ein vergriffenes Buch ins Netz stellte.

„Wissenschaftsfreiheit nach der Wende“ heißt das einzig zugelassene Hilfsmittel für die Uni-Klausur – doch das Buch des Leipziger Journalistikprofessors Marcel Machill ist im Handel vergriffen, in der Bibliothek kaum mehr zu kriegen. Bis zur Klausur sind es nur noch wenige Tage, als Machills Student Roger Vogel eine folgenschwere Entscheidung trifft: Er scannt das Buch seines Professors und veröffentlicht es im Internet. Kurz darauf bekommt Vogel Post vom Anwalt des Verlages: Der Student hat gegen das Urheberrecht verstoßen und soll 1000 Euro Abmahngebühren zahlen.

Es sind Fälle wie dieser, die den Bundestag jetzt bewogen haben, ein Gesetz gegen überhöhte Abmahngebühren zu billigen. Wer unerlaubt urheberrechtlich geschützte Bücher, Filme oder Musik veröffentlicht, soll im Normalfall nur noch maximal 147,56 Euro zahlen müssen. Wollen Anwälte mehr kassieren, müssen sie beweisen, dass die Urheberrechtsverletzung über das normale Maß hinausgeht. Bislang lag die sogenannte Beweislast beim Urheberrechtsverletzer, auf Abmahnungen spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien nutzten dies millionenfach aus. Auch Roger Vogel wurde das zum Verhängnis: Der Student musste zahlen. Für ihn kommt die Gesetzesänderung zu spät. Erst Ende Oktober werde sie in Kraft treten, heißt es aus dem Justizministerium.

Viele Studenten und ihre Eltern dürften sehnsüchtig auf Gaucks Unterschrift warten. Denn das unerlaubte Veröffentlichen von Musik, Filmen oder Büchern ist nicht der einzige unter Studenten verbreitete Urheberrechtsverstoß, wie Brigitte Wojcieszynski von der Arbeitsgruppe Urheberrecht an der Ruhr-Universität Bochum beobachtet hat: „Viele Studenten zücken einfach das Smartphone und filmen in Vorlesungen.“ Sie wüssten nicht, dass sie die Rechte des Dozenten am eigenen Bild und am eigenen Wort verletzen, dass die didaktische Aufbereitung wissenschaftliche Erkenntnisse zu urheberrechtlich geschützten Werken mache. Wojcieszynski rät, den Dozenten zu fragen, ob man seine Vorlesung mitschneiden, seine Präsentation oder sein Buch im Internet teilen dürfe.

"Das Buch nicht aus Profitgier veröffentlicht"

Roger Vogel bedauert, nicht um Erlaubnis gefragt zu haben. „Das war dumm“, sagt er heute. „Ich habe das Buch ja nicht aus Profitgier veröffentlicht. Ich wollte nur meinen Kommilitonen helfen.“

Im Streitfall sei die gute Absicht aber keine Entschuldigung, erklärt der Dresdner Rechtsanwalt Johannes Handschumacher. Er antwortet deshalb in einem Video von Studenten der Hochschule Mittweida auf drängende Fragen. Darf man die Folien des Dozenten einfach kopieren? Ist es erlaubt, die Vorlesung für einen kranken Kommilitonen per Skype zu übertragen? Darf man ein Diktiergerät mitlaufen lassen, auch wenn der Mitschnitt nur eigenen Zwecken dient? „Drei Mal nein“, sagt Handschumacher. Gerade beim Mitschneiden, Übertragen und Veröffentlichen von Vorlesungen müssten Studenten nicht nur das Urheberrecht beachten. Die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes zu verletzen, sei eine Straftat. Verstöße ahndet der Gesetzgeber mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafen.

Ein Professor will nicht, dass seine Vorlesung im Internet landet

Der strenge Schutz der Vertraulichkeit ermögliche erst den freien Austausch an den Hochschulen, erklärt Handschumacher, der selbst als Dozent arbeitet: „In der Vorlesung spreche ich frei, weil ich meine Studenten kenne. Wenn ich weiß, dass meine Worte im Internet landen, würde ich mir manches verkneifen.“ Verstöße von Studenten gegen seine Rechte würde er aber zunächst gütlich regeln.

Handschumachers Leipziger DozentenKollege Machill hat gegenüber seinem Studenten Roger Vogel hingegen weniger nachsichtig reagiert. „Der Hinweis auf die Urheberrechtsverletzung kam von Herrn Machill selbst“, sagt Vogel. Dies habe er dem Schriftverkehr entnommen. Vogel hat gelernt: Mit Zurückhaltung von Dozenten können Studenten bei Urheberrechtsverletzungen nicht rechnen.

Unis und Schulen dürfen "kleine Teile" eines Werks nutzen

Dabei begehen Dozenten selbst Urheberrechtsverletzungen, wie Expertin Wojcieszynski aus Bochum bestätigt: „Die Arbeitsgruppe Urheberrecht wurde gegründet, weil Dozenten immer wieder wegen Urheberrechtsverstößen abgemahnt wurden.“ Wissenschaftler wollten ihre Texte mit Fotos und Landkarten bebildern, dabei vergäßen sie, den Rechteinhaber zu ermitteln – „ein klassischer Fall“, sagt Wojcieszynski.

Tatsächlich wird das Urheberrecht an Universitäten schon seit Jahren heftig diskutiert. Forscher wünschen sich mehr Schutz für ihre Werke, während Lehrende eine einheitliche Regelung wollen, um nicht jedes Zitat einzeln entschädigen zu müssen. Zum Jahreswechsel hat deshalb der Bundestag den sogenannten Wissenschaftsparagrafen im Urheberrecht bis Ende 2014 verlängert. Er erlaubt Universitäten und Schulen kleine Teile eines Werkes oder einzelne Beiträge aus Zeitschriften digital für den Unterricht oder die wissenschaftliche Forschung zu nutzen – „solange sie nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind“, sagt Wojcieszynski. Das Problem ist nur: Bislang weiß keiner an den Hochschulen, wie groß kleine Teile sein dürfen. Nur für Schulen gibt es eine klare Ansage: Zwanzig Seiten eines Werkes dürfen Lehrer mit ihren Schülern teilen.

Gut, dass Schüler und Studenten immerhin wissen: „Zitate aus der Vorlesung oder dem Unterricht twittern ist rechtlich unbedenklich“, sagt Rechtsanwalt Handschumacher. Ob Lehrer und Professoren es gerne sehen, ist eine andere Sache.

Jonas Krumbein

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