zum Hauptinhalt

Umerziehungscamps in Pakistan: Computerkurse für Taliban

Zwei Jahre lang führten die Taliban im pakistanischen Swattal eine islamistische Terrorherrschaft. Nach ihrem Rückzug will die pakistanische Armee die ehemaligen Kämpfer und Mitläufer für sich gewinnen. In Umerziehungscamps.

Khan lächelt und sein Blick streift sehnsüchtig in die Ferne. „Der Swat River singt“, sagt er und legt seinen Kopf schräg, als könne er so besser lauschen. „Mal ist es ein raues Lied, wenn ein kräftiger Wind weht und die Menschen aufpassen müssen, dass sie nicht in den Fluss hineinfallen, denn dann sind sie in ein paar Minuten erfroren. Ein anderes Mal singt er ein sanftes Lied. Sie müssen ihm nur zuhören.“

Khan, ein junger Pakistaner, liebt seine Heimat, das Swattal an der Grenze zu Afghanistan. Die Welt kennt es als Tal der grausamen Taliban. Aber es ist auch ein reizvoller Ort.

Mit väterlicher Geste legt Oberst Irfan, ein Hüne von fast zwei Metern, seinen Arm um einen schmächtigen jungen Mann mit sorgsam gestutztem dunklen Bart. Der Offizier trägt Flecktarn sowie eine randlose Brille und ist ein gebildeter, weit gereister Mann; in den 90ern ist er per Interrail durch Europa gefahren. Inzwischen befehligt er die pakistanische Armee in Paithom im oberen Swattal. In jener Region, die 2007 von den Taliban erobert wurde, um hier eine islamistische Terrorherrschaft zu errichten, erst 2009 konnten sie wieder vertrieben werden.

Oberst Irfan vermeidet jede militärische Schärfe. Pakistans Armee gibt sich, zumindest Ausländern gegenüber, zivil und umsichtig. Der junge Mann in Irfans Arm blickt scheu unter einer kamelfarbenen Paschtunenmütze hoch. Er nennt sich Hussein, niemand soll wissen, wer er wirklich ist. Er hat Angst, jemand von den Taliban könnte ihn erkennen und töten, denn er war einer von ihnen.

Hussein lebt für drei Monate im De-Radikalisierungscamp der 19. Division der Armee. So lange dauert der Kurs, der ihn wieder zu einem „nützlichen Mitglied der Gesellschaft“ machen soll, wie es sein Mentor Oberst Irfan formuliert. Irfan präsentiert den jungen Mann nicht ohne Stolz. Hussein ist einer von 850 festgesetzten Männern, die im vergangenen Jahr einen solchen Kurs absolviert haben. Hier will Pakistan seinen Kritikern zeigen, dass es entgegen allen internationalen Vorwürfen nicht gemeinsame Sache mit den radikal-islamischen Taliban macht, sondern konsequent gegen sie vorgeht. Irfan nennt seine Schützlinge „Begünstigte“, nur einmal rutscht ihm doch das Wort „Terrorist“ heraus.

Das Camp von Paithom nahe der Provinzhauptstadt Mingora liegt malerisch auf einem Hügel, die hellen Gebäude gehören zu einem ehemaligen Hotel. Und manchmal träumen die Menschen hier, Menschen wie Khan, davon, dass es wieder wie früher sein könnte, als man zu ihnen kam, um Ferien zu machen, sich zu erholen.

Die Pakistaner nennen das Swattal mit seinen grünen Bergen und dem wilden Fluss auch Kleine Schweiz. Die Hotels stehen ja noch, sie heißen White Palace, Rock City Resort und Swat Serena. Sogar einen kleinen Vergnügungspark mit Riesenrad und Kinderachterbahn gibt es. Das Swattal könnte sofort wieder Feriendomizil werden. Die Landschaft ist da – und an der Sicherheit wird gearbeitet.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, mit welchen Versprechen die Taliban ihre Kämpfer rekrutierte.

Dazu dient auch das De-Radikalisierungscamp, das möglichst viele der jungen Männer, die vielleicht noch immer die radikalen Ideen der Taliban im Kopf haben, umerziehen will. Männer wie Hussein. Er kommt aus den unruhigen Stammesgebieten des Grenzlands zu Afghanistan, durch das sich die Paschtunen ungeachtet nationaler Territorien bewegen.

„Ein Freund hatte mir erzählt, die Taliban sind gute Leute. Sie würden die Scharia einführen und Gerechtigkeit schaffen“, berichtet er. Sie sagten ihm, die pakistanische Armee sei auf dem falschen Weg. Er war 16, der älteste von fünf Brüdern, ein konservativer Muslim, seine Mutter trägt Burka, und natürlich solle das dereinst auch seine eigene Frau tun. Er fand das mit der Scharia gut. Polizei und Justiz erlebte er als korrupt und ungerecht. So ging er ins Trainingslager der Taliban, in der Hoffnung, dort die Gerechten zu finden, aber es hat ihm nicht gefallen.

Die Taliban seien streng gewesen und hätten die Neulinge gedrillt. „Sie waren hart, intolerant und unflexibel“, urteilt der heute 18-Jährige. Dann kamen sein Vater und sein Onkel, um ihn nach Hause zu holen, aber die Taliban hätten nicht erlaubt, dass er sie treffe. Er wollte weglaufen, so wie noch sechs oder sieben andere Männer aus der Gruppe, die 35 Mitglieder hatte. Aber das gelang nicht, immer wieder wurden die Neulinge umquartiert, an neue Orte gebracht, zu Menschen, deren Vertrauen sie nicht besaßen. Es fand sich keine Gelegenheit. Und dann, nach etwa drei Monaten, wurde Hussein ein Anschlag aufgetragen.

Die Taliban zwangen den Jungen, eine Sprengstoffweste anzulegen. „Auf einem Moped hat mich einer bis kurz vor die Moschee gebracht, ich sollte die Bombe beim Mittagsgebet zünden.“ Außerdem hatte er eine Handgranate und eine Pistole dabei. „Ich musste ein paar Ecken gehen, bin aber abgebogen und habe mich der Polizei gestellt.“ Er sieht sich fragend um. „Ich habe den Polizisten gesagt, dass ich diese Weste trage, aber nicht explodieren will.“ Nach der Festnahme habe er der Polizei die Orte genannt, an denen er gewesen war. „Wie viele sie daraufhin festgenommen haben, weiß ich nicht.“ Seine Freunde von früher, sagt er, denken, er sei tot. „Mein Vater sagt zu Hause im Dorf, er hat seinen Sohn an die Taliban verloren.“

Was haben ihm die Taliban versprochen, damit er sich opfert? „Dass ich in den Himmel komme.“ Gehörten dazu auch 70 Jungfrauen, die dort warten? Hussein und seine Kurskameraden kichern wie kleine Jungs. „Ja, auch Jungfrauen haben sie versprochen“, sagt er abwehrend. Auf die Frage, wie die vielen Jungfrauen zu seiner Auffassung passten, dass Frauen am besten verhüllt und meist zu Hause zu sein hätten, lachen alle. Hussein sagt nichts. Er schaut betreten auf den Boden.

Wenn Hussein Paithom verlassen darf, will er eine Ausbildung als Jetpilot machen. Wie er da steht und das sagt, wirkt er wie ein Schulbub, der sich so gerne in der Rolle eines Helden wiederfinden würde. Zurück nach Hause kann er jedenfalls nicht, auch im Swat will er nicht bleiben. Wenn die Taliban ihn entdecken, wäre es sein Ende, fürchtet er.

Hussein könnte einer von denen sein, den die Armee auch nach dem Kurs finanziell unterstützt. Das tun sie nur in Einzelfällen, aber nicht jeden Tag steht ein Selbstmordattentäter vor der Tür, der sich umerziehen lassen will.

Lesen Sie mehr über den Alltag der jungen Pakistani auf Seite drei.

Wer in Paithom dabei ist, bekommt als Erstes einen Satz traditionelle Kleidung ausgehändigt – knielanger Kaftan mit Pluderhose in beige, graue Wollweste, Wollmütze, braune Sandalen. Nagelneue Sachen, viele der Bauern und Arbeiter werden wohl ihr Lebtag noch nie so gute Kleider gehabt haben. Links auf der Brust über dem Herzen klemmt ein Anstecker mit der pakistanischen Flagge, rechts das Namensschild, fertig ist die Uniform. Streng gesittet geht es auch in den Klassenzimmern zu. Heute ist ein Dozent von der Universität da, die bärtigen Männer sitzen in Reih und Glied, die Hände im Schoß gefaltet, lauschen sie unter einer Flagge den Ausführungen. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass so schnell alles anders sein kann, haben diese Schüler doch wohl vor nicht allzu langer Zeit noch den Predigten radikaler Taliban gelauscht, gehörten zu deren Truppen.

„Anfangs habe ich gedacht, wie können diese Leute nur so brutal sein, ich war wütend auf sie“, sagt Oberst Irfan. „Aber als ich sie gesehen habe, habe ich gemerkt, dass nicht jeder ein Schlächter oder Terrorist ist. Die meisten sind einfach naiv, sie sind den Versprechen der Taliban gefolgt, manche freiwillig, andere eher unwillig.“ Inzwischen sei er sogar mit einigen befreundet, behauptet der Offizier mit einem breiten Lächeln.

Da ist Suleiman, 25, aus Malakand. Er will es nur zehn Tage bei den Taliban ausgehalten haben, bevor er sich unter dem Vorwand, er müsse eine Prüfung ablegen, davongemacht hat. Er sei 16 Jahre islamisch geschult, die Taliban hätten den Koran nicht verstanden, behauptet er unter den Augen des Nationaldichters Iqbal, der ihm von einem Riesenposter über die Schulter schaut. Der Philosoph ist im Camp omnipräsent, zumindest optisch, sein Konterfei soll den Männern ebenso ein Gefühl von Nationalstolz vermitteln wie die vielen grünen Flaggen mit weißem Mond und Stern.

Suleiman war in Abu Dhabi auf Montage, er kam zurück, ließ sich von den Taliban anwerben. In Pakistan wartete eine junge Frau auf ihn, die er heiraten wollte. Eine mit Burka, versteht sich – „schließlich ist sie nur für mich da, andere sollen sie nicht sehen“. Bislang aber habe auch er sie nicht zu Gesicht bekommen, sagt er und erzählt, dass seine Ehe von den Eltern verabredet wurde, wie es üblich sei. Für ihn sei das Mädchen schon auserkoren, er kenne aber nicht einmal ein Foto, sagt er treuherzigen Blicks, um kurz darauf zu erzählen, seine Frau werde es mögen, wenn sie zusammen nach Abu Dhabi gingen. Woher er das wissen kann? Kennt er sie also doch schon? Suleiman verzieht den Mund. Alle haben sie Mobiltelefone, man sei vor der Hochzeit in Kontakt.

Die Männer geben es nicht offen zu, aber auch im Swattal hat sich manche Tradition verändert. Der Form halber gehen zwar die Eltern fragen, aber immer öfter schicken die Söhne sie zu einer von ihnen selbst Auserkorenen, verrät einer. Was also ist wirklich dran an all dem Reden über unumstößliche Tradition und Kultur der Paschtunen? Ist das vielleicht einfach ein Schutzmantel, um Modernisierungen dort nicht zuzulassen, wo sie Unbequemlichkeiten mit sich brächten?

Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

In das Programm in Paithom und einem zweiten Camp in Barikot werden nur gemäßigte Mitläufer der Taliban aufgenommen. Die Hardliner und die, die Verbrechen begangen haben, sitzen im Gefängnis, soweit sie nicht geflohen sind. Die Erfolgsquote bei der Umerziehung der Mitläufer beziffert die pakistanische Armee auf fast 100 Prozent. Im letzten Kurs hätten sie erstmals drei von 170 Teilnehmern nicht entlassen können. Die müssen den Kurs wiederholen. „Eventuell müssen wir sie am Ende doch der Polizei übergeben“, sagt Oberst Irfan. Auch nach der Entlassung werden die Teilnehmer regelmäßig überprüft, nach offizieller Lesart bisher weitgehend ohne Rückfälle. Einer sei verhaftet worden, aber wegen eines anderen Delikts.

Von Anfang an werden die Taliban- Sympathisanten in Paithom auch psychiatrisch betreut. Die Lehrer versuchen, den Ex-Taliban „das richtige Verständnis“ des Islam beizubringen. „Religion ist sehr wichtig in Pakistan, hier in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa besonders“, sagt Oberst Irfan. Den Männern werden drei Grundregeln eingebläut: Muslime dürfen ihren Staat nicht angreifen, selbst wenn es Grund zu Klagen gibt; im Islam ist es strikt verboten, Menschen zu ermorden oder zu verletzen; und Selbstmordattentate sind haram, also strikt verboten.

Die meisten Männer sind unter 40, haben keine besonders gute Schulbildung. Für die Mehrzahl derer, die die Umerziehung mitmachen, sind die drei Monate wohl vor allem so etwas wie ein Qualifizierungskurs der Agentur für Arbeit. Denn hier können sie die Grundlagen als Schreiner, Mechaniker, Elektriker lernen. Auch eine Computerklasse gibt es.

Angestrengt sitzen die Männer vor alten Röhrenkästen. Einer hält minutenlang starr die Finger auf der Tastatur und guckt auf das Schaubild einer Hand, die auf dem Bildschirm die richtige Position der Finger anzeigt. Am Nachbarschirm sitzen drei Mann. Einer tippt mühsam einen englischen Text ab. „Vielleicht wäre es besser, wir könnten sie in ihrer Sprache, in Urdu oder Paschtu schulen“, überlegt Major Zahid. Vermutlich haben die in den Handwerkerklassen mehr von ihrem Kurs. Auf dem Land können solche Fertigkeiten Gold wert sein.

Ausbildung und Arbeitsplätze sind ein wichtiger Pfeiler im Kampf gegen die Taliban. Denn gerade die, die keine Arbeit haben, mit der sie etwas verdienen können, sind besonders anfällig für radikale Ideen.

Oberst Irfan weiß, dass ein paar Vierteljahresschulungen für Mitläufer das Problem nicht lösen werden, das sie mit den Radikalen haben, auch wenn die nicht mehr die Macht im Tal ausüben. Nicht, dass die Taliban ganz aus der Region verschwunden wären. Sie tauchen in kleineren Gruppen auf, aber sie sind besser ausgebildet als früher, hat Irfan festgestellt. „Sie können sich gut verstecken, tagelang ohne Nahrung auskommen und kennen sich bestens mit Sprengstoff aus.“ Einsickern können sie aber nur mit Hilfe Einheimischer - deren „hearts and minds“ will die Armee gewinnen. Irfan rechnet damit, dass es eine Generation dauern wird, bis sich das Problem lösen lässt.

Mit ihren Hilfseinsätzen nach der Flut hat die Armee Sympathien im Tal gewonnen. Das hat geholfen, einen Draht zu den Bewohnern zu knüpfen. Es gibt inzwischen so genannte Verteidigungskomitees, mit denen die Armee Kontakt hält. Zu denen gehören die Honoratioren der Gemeinden und angesehene Männer. Sie tragen keine Waffen, sondern halten die Augen offen.

Khaum ist einer von ihnen. Er ist erst 26, hat studiert und stellt sich als Computerwissenschaftler vor, der sich für die Ausbildung von Kindern engagiert. Dass die Taliban in Afghanistan, das jenseits der Berge liegt, vielleicht mitregieren könnten, kann er nicht verstehen. „Sie kannten nicht mal das Wort Computer, wie sollten sie dann das Gesicht einer Regierung prägen?“, fragt er. In seinem Tal, dem Swat, hätten die Taliban keine Chance mehr, die Leute hätten genug unter ihnen gelitten, jede Familie habe einen Sohn an sie abgeben müssen und den dann nie wieder gesehen. „Jetzt reicht es“, sagt Khaum. „Da oben hatten sie sich verschanzt“, zeigt er auf einen Gipfel linker Hand. Und von da drüben in dem Haus am Fluss haben sie die Straße kontrolliert.

Und da, wo er steht, war ihr lokales Hauptquartier. Es ist ein komfortables Wohnhaus in der Provinzhauptstadt Mingora. Inzwischen hat die Armee hier Quartier genommen. Irgendwann soll das Land wieder seinen Leuten gehören. „Wir bleiben hier nur so lange, wie es nötig ist“, beteuert der Kommandeur des Postens, während sein Blick über den Stacheldraht hinaus auf den gurgelnden Swat River geht, den ewigen Strom, der im Hindukusch entspringt und schließlich nach einem weiten Weg durch Pakistan im Kabul River aufgeht.

Welches Lied singt er heute?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false