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Jürgen Todenhöfer im Interview: „Wir inspizierten gerade ein glimmendes Wrack ...“

...dann kam die Rakete. Jürgen Todenhöfer wurde in Libyen beschossen, in Syrien begegnete er Assad. Seitdem glaubt er den westlichen Medien nicht mehr.

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Herr Todenhöfer, Sie besuchen die arabischen Länder seit über 50 Jahren und gelten als Kenner der Region. Erst im November waren Sie in Syrien und haben sogar Präsident Baschar al Assad getroffen. Weiß er, dass er am Ende ist?

Das ist noch nicht entschieden. Es gibt friedliche Demonstrationen gegen, aber auch Demonstrationen für ihn, mit hunderttausenden Teilnehmern. Das Erstaunliche ist: Beide Seiten treten für Demokratie ein. Die einen rufen „Assad Demokratie“, die anderen „Assad weg“. Daneben gibt es leider auch schwere gewaltsame Auseinandersetzungen. Auf der einen Seite Militär und Geheimdienste, auf der anderen bewaffnete Rebellen.

Sie meinen, Assad sei populärer, als wir annehmen?

Bei einem bemerkenswert großen Teil der Bevölkerung ja. Die westliche Berichterstattung ist von den Realitäten weit entfernt – wie vor dem Irakkrieg. Während des arabischen Frühlings war ich vier Monate vor Ort. In Ägypten erklärte mir jeder: Mubarak muss weg! In Tunesien jeder: Ben Ali muss weg! In Libyen: Gaddafi muss weg! In Syrien dagegen gibt es eine beachtliche Mehrheit, die sagt, unser eigentliches Problem ist nicht Assad. Viele Syrer machen einen Unterschied zwischen Assad und dem Regime…

… an dessen Spitze Assad steht. Bei der Niederschlagung der Proteste sollen schon bis zu 6000 Menschen ums Leben gekommen sein.

Selbst die Hälfte wäre völlig inakzeptabel. Ich verurteile Gewalt gegen Zivilisten uneingeschränkt. Um die komplexe Situation in Syrien zu verstehen, muss man aber wissen: Bei den Getöteten handelt es sich zu einem hohen Prozentsatz um Soldaten, Polizisten, aber auch um Zivilisten, die von bewaffneten Rebellen getötet wurden.

Sie waren in Syrien mit Billigung der Regierung in Damaskus. Ist es nicht so, dass Sie gesehen haben, was Sie sehen sollten?

Billigung? Die haben mich erst mal festgenommen, weil der Geheimdienst gegen mich ein Einreiseverbot verhängt hatte. Denen war ein von mir verfasster „Zeit“-Artikel zu regimekritisch. Ich habe, nachdem ich endlich im Land war, wie auf allen meinen Reisen einfach getan, was ich tun wollte. Zweimal war ich in Homs, der Hochburg des Aufstands, gegen ein ausdrückliches Verbot der Behörden. Ich habe in Damaskus einen Fahrer engagiert, für eine Fahrt nach Hama. Erst kurz vor dem Ziel habe ich gesagt: Wir fahren nach Homs. Da gibt es Viertel, die von Rebellen kontrolliert werden, aber auch solche – bewohnt von Alewiten und Christen –, wo heute noch große Plakate von Assad hängen.

Sie haben dort Hospitäler besucht und daraus, dass Sie keine Verletzten sahen, Ihre Schlüsse gezogen. Wie aussagefähig ist das? Der Untergrund hat längst eigene Strukturen zur Versorgung Verwundeter.

Stimmt, für bewaffnete Rebellen ist es riskant, sich in Krankenhäuser bringen zu lassen. Aber die Al-Jazeera-Meldung, die ich überprüfen wollte, besagte, an diesem Tag seien Zivilisten erschossen und verwundet worden. Die wären sehr wohl in Krankenhäuser eingeliefert worden. Die Meldung, die Freunde von mir am nächsten Tag nochmals nachrecherchiert haben, war einfach falsch. Al Jazeera und Al Arabiya produzieren kampagnenartig Meldungen, immer aus Sicht der Opposition. Und der Westen plappert alles nach.

Welchen Eindruck hat Assad auf Sie gemacht?

Er ist Arzt, und so wirkt er auch – nicht wie ein arabischer Potentat. Obwohl er das natürlich ist. Er ist ein Mann, der Sie an der Tür abholt, ohne Security. Der nicht trickreich argumentiert. Er hat mir gesagt, Demokratie sei für Syrien „zwingend“, er werde das Land in die Demokratie führen.

Das klingt sehr naiv.

Der König von Saudi Arabien, unser Verbündeter, sagt so etwas nie. Mittlerweile hat Assad sogar eine Volksabstimmung über eine demokratische Verfassung für März angekündigt.

Was hat ihn daran gehindert, diesen Vorschlag schon früher zu machen? Er regiert seit zehn Jahren, davor herrschte sein Vater Hafiz fast 30 Jahre.

Sein Vater war unvergleichbar härter. Baschar al Assad dagegen hat das Land technologisch modernisiert und die schlimmsten Formen der Folter abgeschafft. Seit seinem Antritt führt er einen Kampf gegen die veralteten Strukturen seines Landes. Aber Realität ist auch: Er hat sich nicht durchgesetzt. Seine letzte Chance besteht darin, das Land durch Wahlen zu reformieren. Anstatt die Lage weiter anzuheizen, sollte der Westen ihn beim Wort nehmen und verhandeln. Verhandlungen sind besser als Krieg. Ich möchte nicht noch einmal 50 000 Tote wie in Libyen erleben.

„Zeit“-Herausgeber Josef Joffe nennt Sie einen „Vulgärpazifisten“. Haben Sie eigentlich noch Freunde im konservativen Lager?

Besser als Vulgärmilitarist. Ich bin Mitglied in der CDU, wenn Sie das meinen. Und bekomme viel zustimmende Post von Parteifreunden.

"Wo sind heute unsere Helden internationaler Gerechtigkeit?"

Nach dem Irakkrieg haben Sie gefordert, Blair und Bush vor Gericht zu stellen. Wie lautet die Anklage?

Ich bin von Beruf Richter. Bei den Nürnberger Prozessen sagte der amerikanische Ankläger, das größte aller Verbrechen sei der Angriffskrieg. Die USA würden eines Tages an den Maßstäben gemessen, die sie in Nürnberg anlegten. Wo sind heute unsere Helden internationaler Gerechtigkeit?

Hätten Sie dann nicht aus der CDU austreten müssen, als Angela Merkel vor der Invasion zu Bush flog, um ihre Solidarität zu zeigen?

Eine Partei ist wie eine Ehe. Sie hat gute und weniger gute Seiten. Leider gibt es keine staatstragende Partei, die sich in der Kriegsfrage richtig verhalten hat. Alle sind sie in den Afghanistankrieg hineinmarschiert. Von wegen Al-Qaida-Terroristen vertreiben – die sind doch sofort geflohen, als die ersten Bomben fielen. Dann wollten wir angeblich Demokratie einführen. Alles Märchen!

In die CDU traten Sie 1970 ein, der Vietnamkrieg hat Sie damals nicht davon abgehalten. Auslöser dieses Kriegs war der angebliche Angriff auf US-Schiffe – auch ein Märchen, wie sich später herausstellte.

Die meisten Kriege beginnen mit Lügen. Deshalb beunruhigen mich die vielen Falschmeldungen über Syrien ja so sehr.

Sie haben sich vergangenes Jahr gegen die Bombardierung der Gaddafi-Truppen ausgesprochen. Wenn Sie sich durchgesetzt hätten, wäre Bengasi vielleicht gefallen und Gaddafi noch im Amt.

Ich habe Vorschläge gemacht, wie man die Situation friedlich hätte lösen können. Etwa, indem der UN-Generalsekretär, begleitet von Blauhelmen, nach Bengasi gefahren wäre. Den Panzerangriff hätte ich sehen wollen, während Ban Ki Moon in der Stadt war. Ich bin Anhänger gewaltloser Revolutionen wie in Tunesien und Ägypten. Je mehr Leid ich sehe, desto skeptischer werde ich gegenüber gewaltsamen Revolutionen wie in Libyen und Syrien. Der gute demokratische Zweck heiligt nicht die Tötung hunderttausender Zivilisten. In zehn Jahren werden die meisten arabischen Staaten Demokratien sein. Auch Syrien. Hoffentlich auf friedlichem Wege. Leider versuchen die USA, die gegenwärtige Situation auszunutzen und einen Mittleren Osten zu schaffen, in dem sie keine Gegner mehr haben. Deswegen soll Assad weg. Amerika-freundliche Diktatoren dürfen bleiben.

Klingt nach Verschwörungstheorie. Für Sie sind die Amerikaner offenbar immer die Bösewichte.

Ich bin Amerikafan, amerikanischer „Ehrenoberst“ sogar. Ich habe meine Kinder zum Studieren dorthin geschickt und habe gute Kontakte zu Regierungsmitgliedern. Aber die Politik gegenüber Syrien und dem Iran ist der Versuch, das Ergebnis des Irakkriegs zu korrigieren. Denn der Krieg hat Iran und Syrien gestärkt, er war ein tragisches Eigentor.

So oft, wie Sie in Krisengebiete reisen: Haben Sie keine Angst, mal als Geisel zu enden – und das deutsche Außenministerium muss Sie rausholen?

Ich würde das gar nicht akzeptieren. Das habe ich schriftlich festgelegt.

Wenn Sie sich schon nicht um sich sorgen: In Libyen ist Ihr Auto von Gaddafi-Truppen beschossen und Ihr Gastgeber und Dolmetscher Abdul Latif getötet worden. Haben Sie sich da schuldig gefühlt?

Ja. Daran werde ich mein ganzes Leben arbeiten müssen. Wir inspizierten gerade ein glimmendes Autowrack, als Abdul Latif zurückging und sich wieder ins Auto setzte. Da kam die Rakete. Ich war hinterher noch zweimal bei seiner Familie. Er war mein Freund, stets fröhlich. Er trug nie eine Waffe. Er ist mein lächelnder Held.

Früher gehörten Sie zum rechten Flügel der CDU. Im Buch „Ich denke Deutsch“ von 1989 spotten Sie über die „marxomanischen Maximen der SPD vom Profitkapitalismus“. Stichwort Profitkapitalismus: Was glauben Sie, worum es den USA im Irak ging?

Öl war sicher wichtig. Außerdem spielen bei Politikern leider persönliche Gründe eine große Rolle. Bush, der in seiner Jugend als Versager galt, versuchte zu zeigen, dass er doch ein Kerl sei. Er wollte seinen Vater übertreffen und anders als dieser Bagdad erobern.

"Muslime sind genauso viel wert wie wir"

Warum setzen Sie sich ausgerechnet so für die muslimische Welt ein?

Wo ich auch hinkam, ob nach Tunesien, Algerien oder Libyen, überall fiel mir die Gastfreundschaft auf. Nach 9/11 wurden uns plötzlich die Muslime als randalierende Fanatiker präsentiert. Da habe ich mir die Zahlen und Fakten angeschaut. Ich habe festgestellt, dass in den vergangenen 300 Jahren kein muslimisches Land den Westen angegriffen hat, wir aber ständig die muslimischen Länder. Und dass in jedem dieser Kriege zehnmal mehr Muslime als Westler gestorben sind. Angesichts von Leuten wie Sarrazin finde ich es notwendig, immer wieder klarzumachen: Muslime sind genauso viel wert wie wir.

Harald Schmidt nennt Sie „einen Peter Scholl-Latour, der auch weinen kann“. Erkennen Sie sich darin wieder?

Scholl-Latour ist ein scharfsinniger Meister der ironischen Analyse. Ich bewundere ihn. Es stimmt, ich bin tief betroffen, wenn afghanische Kinder, die ihre Eltern und Geschwister im Krieg verloren haben, mich fragen: Was haben wir euch getan? Ich versuche, in Nahaufnahme zu zeigen, wie Krieg wirklich ist, dass Krieg immer Kinder tötet.

Nach Ihrem freiwilligen Abschied aus dem Bundestag 1990 haben Sie gesagt, Politik sei „eine langweilige, graue Soße“. Es fehle an Typen.

Nach Fernsehsendungen kommen oft Politiker zu mir und sagen, sie würden gerne so offen reden wie ich. Ich frage immer: Warum tun Sie es nicht?

Heiner Geißler bezeichnete Sie mal als „bunten Vogel“. Sie seien ein Alleingänger, unfähig, Bündnisse einzugehen.

Manchmal hat das Vorteile. Ich unterstütze Verhandlungen mit Syrien. Wäre ich jetzt Politiker, käme sicher ein Kollege und würde sagen: Ich helfe Ihnen, aber dafür müssen Sie meine Position in einer anderen Frage unterstützen, auch wenn Sie die für falsch halten. Und schon würden die faulen Kompromisse anfangen. Ich kann als freier Publizist mehr durchsetzen als ein Politiker, der ständig Zugeständnisse machen muss.

Deswegen haben Sie aufgehört mit der Politik?

20 Jahre waren genug. Ich wollte mich auch nicht immer mit Kohl rumstreiten.

Nehmen Sie es Kohl übel, dass er Kanzler der Einheit geworden ist? In den 80ern waren Sie einer der wenigen, die noch von Wiedervereinigung sprachen.

Nachdem die Mauer gefallen war, habe ich in der CDU-Pressestelle angerufen und gefragt: Warum kommt von euch nicht mehr zur Wiedervereinigung? Da hat mir der stellvertretende Pressesprecher gesagt: Wir dürfen nicht einmal das Wort verwenden. Bis Vertraute in einer abendlichen Runde im Kanzleramt Kohl klarmachten, dass seine einzige Chance, wiedergewählt zu werden, darin bestehe, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen.

Von 1987 bis 2008 waren Sie Manager im Medienkonzern Ihres Schulfreunds Hubert Burda. So haben Sie Michael Jackson kennengelernt, der Sie 2001 in Ihrer Berghütte besuchte. Sie haben ihm vorgesungen.

Ich wollte, dass er für uns singt. Aber er sagte, dazu brauche er mehrere Stunden Vorbereitung. Zwei meiner Lieder gefielen ihm besonders: „Sag mir wo die Blumen sind“ und „Lili Marleen“. Er war zwei Tage und zwei Nächte bei uns. Wir haben uns angefreundet. Er hatte seltsame Gewohnheiten, aß um drei Uhr morgens zu Abend. Einmal wachte ich um sechs Uhr auf, weil jemand schrecklichen Lärm machte: Es war Michael Jackson bei einer Kissenschlacht mit meiner Tochter und meiner Frau.

Später wurde Anklage gegen Jackson erhoben.

Ich kann diese Dinge nicht wirklich beurteilen, aber ich glaube nicht, dass Michael Jackson Kindern etwas antun konnte. Weil er selber ein Kind war. Musikalisch war er ein Genie, aber in anderen Bereichen ein Achtjähriger. Ich wollte ihm in Südtirol Sulden, unser Dorf, zeigen und habe ihn mit dem Auto durch den malerischen Ort gefahren. Als ich ihm erklärte, hier ist die Königsspitze und dort der Ortler, hat er gar nicht zugehört. Er war total fasziniert vom Display meines Wagens, weil das viele kleine rote Lichter hatte. Zu seinem Assistenten, der hinter ihm saß, sagte er immer: Frank, look at these red lights, look at these wonderful red lights!

Sie haben große Teile ihres Vermögens in Stiftungen investiert, darunter eine, die sich um alte einsame Menschen kümmert…

Einsamkeit ist ein Kernproblem unserer modernen Gesellschaft, vor allem für alte Menschen.

In der muslimischen Welt hat die Familie einen höheren Stellenwert. Rührt daher Ihr positiver Blick?

Wie Muslime mit alten und kranken Menschen umgehen, ist bewundernswert. Dafür laufen dort andere Sachen nicht gut, die Freiheit der Frau ist ein ungelöstes Problem.

Herr Todenhöfer, demnächst wollen Sie mit einem Weltraumflug des britischen Milliardärs Richard Branson ins All starten. Wann geht es los?

Ursprünglich hätte das jetzt bald stattfinden sollen. Aber der Flug wurde verschoben. Ich bin Nummer 233 auf der Liste.

Was versprechen Sie sich davon?

Jeder spinnt auf seine Weise, der eine laut, der andere leise, hat Ringelnatz gesagt. Als ich mit 68 aus dem Medienmanagement ausschied, habe ich überlegt, was ich noch machen sollte. Der Weltraumflug ist ein Kindheitstraum, der muss sein. Genauso wie ein Fußballspiel in Sadr-City, einem gefährlichen Viertel Bagdads. Bei einem Besuch dort wurde ich eingeladen, mal mitzuspielen. Das will ich unbedingt noch machen. Im Irak auf Tore schießen, statt auf Menschen.

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