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Alice Schwarzer kam als Zeugin zum Prozess um den Geschäftsführer der Frauenhilfe Hatun und Can.

© dapd

Update

Prozess um Frauennothilfe Hatun und Can: Alice Schwarzer: "Ich fand das total rührend"

Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hat den Spendenskandal beim Berliner Frauennothilfeverein Hatun und Can aufgedeckt. Am Dienstag sagte sie im Prozess gegen den früheren Vereinsvorsitzenden aus.

Alice Schwarzer trägt einen samtenen Blazer, einen schwarzen Rock und legt ein paar Notizen auf den Tisch. Den Mann auf der Anklagebank mustert sie nur kurz: Udo D., Vorsitzender des Frauennothilfevereins „Hatun und Can“. Er hat sich für die Begegnung im Gerichtssaal für ein weißes T-Shirt entschieden. Es ist mit drei Buchstaben bedruckt: RTL. Er lächelt breit. Schließlich geht es im Prozess um die halbe Million Euro, die Alice Schwarzer bei der RTL-Show „Wer wird Millionär?“ gewonnen und an den Verein gespendet hatte. Ihr Auftritt vor Gericht macht ihn sichtlich unruhig.

Die „Emma“-Chefredakteurin spricht als Zeugin von einer bitteren Erfahrung. „Alle haben immer anderen geglaubt, niemand hatte sich überzeugt.“ Udo D. und sein Verein hätten Vertrauen erweckt. Sie ging von einer „flexiblen Bürgerinitiative“ aus, die die gewaltbedrohte Mädchen und Frauen unbürokratisch unterstützt. Gegen jeden aufkeimenden Zweifel kämpfte sie an. „Ich denke, das hat damit zu tun, dass man sich einfach wünscht, dass so ein Verein existiert.“

Der Neuköllner Udo D. hatte den Verein nach dem Ehrenmord an der Deutsch-Türkin Hatun Sürücü gegründet. Im Sommer 2007 hörte Alice Schwarzer das erste Mal von dem Verein. Im Frühjahr 2008 spendete die Frauenrechtlerin 3000 Euro. „Es gab nicht den geringsten Grund zu Irritationen“, sagt sie. Im Sommer 2009 erhielt sie einen Brief. Udo D., der sich damals angeblich aus Sicherheitsgründen Andreas Becker nannte, klagte über eine „akute Notlage“ des Vereins. „Gerade haben wir wieder drei Mädchen gerettet“, schrieb er.

Wenige Wochen später trat Schwarzer in der RTL-Show auf, wurde zur Gewinnerin des Abends und zur Glücksfee für den Verein: 500 000 Euro. Die Spende nahm der Empfänger mit einem kurzen Dank an. „Da war ich enttäuscht, aber nicht misstrauisch“, sagt die Zeugin. Über die Arbeit des Vereins habe sie sich zuvor informiert. Eine „Emma“-Redakteurin habe recherchiert. Der Verein legte damals erstaunliche Zahlen vor: Über 1000 Hilfeanfragen seien allein 2008 eingegangen, hieß es. 25 feste, ehrenamtliche Mitarbeiter würden sich um gefährdete Mädchen und Frauen kümmern. Man könne Ärzte und Rechtsanwälte hinzuziehen.

Hinterher, wenn man immer schlauer ist, fragt man: Wie konnte das passieren? Alice Schwarzer sagt, sie sei davon ausgegangen, dass Udo D. der Freund von Hatun Sürücü war, die 2005 von einem ihrer Brüder ermordet wurde. „Ich fand es total rührend, dass der Freund das macht“, erinnert sie sich. Udo D. als der einstige Partner, der sich nun selbstlos um andere kümmert. „Das war das Scharnier, über das es gelaufen ist“, sagt sie. Schwarzer glaubte auch nicht an eine Lüge, als er sagte, er selbst habe eine reiche Tante und könne deshalb Tag und Nacht für den Verein im Einsatz sein.

Nach der stattlichen Spende aber folgte bald eine Funkstille. Immer spärlicher seien E-Mails beantwortet worden und dann gar nicht mehr. Der 42-jährige D., der von Hartz IV lebte, soll sich immer mehr von Hilfsgedanken entfernt und vor allem an sein eigenes Wohl gedacht haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, Spendengelder von mehr als 690 000 Euro erschlichen und teilweise für sich verwendet haben – unter anderen für eine Reise und einen 63 500 Euro teuren BMW X6, den er privat genutzt habe.

Nach einem Treffen im November wurde der Frauenrechtlerin klar: „Hier ist etwa faul, aber gewaltig.“ Im Dezember 2009 erstattete sie Anzeige. Udo D. hat die Vorwürfe stets bestritten. Sein Anwalt schlägt einen scharfen Ton an. Alice Schwarzer bleibt ruhig: „Muss ich alles zweimal sagen?“ Nach drei Stunden kann sie zum Flieger nach Köln eilen.

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