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Update

Linksextremismus: Brandsatz explodiert - S-Bahn und ICE-Trasse unterbrochen

Wieder wurden an Gleisen in Schöneberg und am Bahnhof Staaken Brandsätze gefunden - die Bundesanwaltschaft übernimmt nun die Ermittlungen. Die Explosion ereignete sich aber schon früher.

Am Mittag haben Bahnmitarbeiter erneut verdächtige Gegenstände gefunden: An der ICE-Trasse Berlin-Hamburg im Spandauer Ortsteil Staaken explodierte nach Angaben eines Bahnsprechers ein Brandsatz. Verletzt worden sei niemand. Die Bahnstrecke in Richtung Hannover und Wolfsburg wurde gesperrt. Allerdings ist der Brandsatz nicht am heutigen Mittwoch hochgegangen, sondern bereits am Montag. Techniker haben dies aber erst heute entdeckt, obwohl es bereits seit Montag Signalstörungen gegeben hat. Die Bahnmitarbeiter entdeckten daraufhin heute die drei Brandsätze, von denen einer explodiert war.

Der Brandsatz detonierte an einem Signal für ein ICE-Gleis in Richtung Hannover. Dieses ist etwa zwei Kilometer vom Bahnhof Staaken entfernt - auf Höhe des ehemaligen Flughafens. Feuerwehr und Rettungswagen sind vorsorglich vor Ort. Das Landeskriminalamt ist eingeschaltet.

Insgesamt seien zwischen Dallgow-Döberitz (Havelland) und Berlin-Staaken drei Brandsätze entdeckt worden, sagte der Sprecher des brandenburgischen Polizeipräsidiums, Rudi Sonntag, pnn.de mit. "Einer davon wurde ausgelöst." 

Ein weiterer Brandsatz sei zwischen den Bahnhöfen Südkreuz und Schöneberg entdeckt worden. Der S-Bahnverkehr wurde unterbrochen. Auf Höhe Goten-/Ecke Torgauerstraße transportierten Beamte Gegenstände von den Gleisen. Gegen 13.15 Uhr zogen sie wieder ab.

Die Polizei hält sich noch etwas bedeckter und spricht davon, dass der Brandsatz "vermutlich" explodiert sei. Weitere Details nannte sie nicht.

Die Berliner Polizei dürfte nun Unterstützung durch Ermittler des Bundeskriminalamtes bekommen: Die Bundesanwaltschaft (BAW) hat am Mittwoch entschieden, die Ermittlungen wegen der Brandanschläge auf Bahngleise rund um Berlin zu übernehmen. Dies bestätigte ein Sprecher der Behörde in Karlsruhe dem Tagesspiegel. Dadurch dürfte die Bedeutung der Fälle behördenintern deutlich steigen - die BAW ist in der Regel für Terrorismus und Spionage zuständig, sie ermittelt vor allem bei erheblicher Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik. "In den vorliegenden Fällen gehen wir dem Verdacht der verfassungsfeindlichen Sabotage nach", sagte ein Sprecher der BAW. Dieser Tatvorwurf findet sich im Paragraph 88 des Strafgesetzbuchs.

Nach der Serie von versuchten Brandanschlägen auf Bahnanlagen in Berlin geht der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nicht von einem neuen Linksterrorismus aus. Gleichwohl sei es ein "furchtbarer Zustand", wenn Menschen auf diese Art und Weise gefährdet werden, sagte der Regierungschef am Mittwoch vor Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der CDU im Berliner Rathaus. Dies müsse bekämpft werden. Wowereit sagte, die Verantwortlichen würden alles unternehmen, "um die Täter zu fassen".

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) wertet die Taten hingegen als „verbrecherische terroristische Anschläge“, die auch in eine neue Dimension hineingingen. Sie bedrohten Verkehrseinrichtungen, wo viele Menschen getroffen werden könnten, sagte Ramsauer am Mittwoch in Berlin.

In der Nacht hatte es erneut einen Brandanschlag in der Nähe von Gleisanlagen in Berlin gegeben. Eine Streife der Bundespolizei bemerkte gegen drei Uhr in der Straße An der Ostbahn insgesamt drei Kanister, die dort auf dem Gehweg in Flüssigkeitslachen standen. Alle drei Kanister wurden offenbar zuvor in Brand gesetzt, erloschen jedoch von selbst. Ein 51-jähriger Lastwagenfahrer hatte hier drei junge Männer, die dunkel gekleidet waren, in Richtung Warschauer Brücke davonrennen sehen. Ob das Trio mit den aufgefundenen Behältern in Verbindung gebracht werden kann, wird noch ermittelt. In diesem Fall vermutet die Polizei momentan eher eine Nachahmungstat, da die Kanister in einer solch großen Entfernung zum Bahngelände abgestellt worden waren und daher eine Beeinflussung des Bahnverkehrs nicht möglich gewesen wäre, hieß es bei der Polizei. "Bauartgleiche Kanister", wie es bei der Polizei hieß, wurden auch gegen sechs Uhr früh in der Erich-Steinfurth-Straße, nahe der Straße der Pariser Kommune, gefunden: Ersten Erkenntnissen zufolge hatten Unbekannte zunächst von einer nahe gelegenen Baustelle Metallkanister mitgenommen und von einem Bauzaun Werbeplakate abgerissen. Der Papierhaufen wurde dann offenbar mit der Flüssigkeit aus den Kanistern übergossen und sollte angezündet werden. Dies war jedoch aufgrund des Regens nicht möglich. Da die Kanister denen aus der Straße An der Ostbahn ähneln, wird auch hier derzeit von einer Nachahmungstat ausgegangen, die nichts mit den vergangenen Anschlägen auf die Bahnstrecken zu tun hatte. Ein Brandkommissariat hat die Ermittlungen übernommen.

Am Dienstagabend hatte die Polizei sieben Brandsätze an Bahnanlagen in der Höhe Behmstraße/Schwedter Steg zwischen Prenzlauer Berg und Mitte entdeckt. Die am Abend gefundenen Flaschen wurden von Sprengstoffexperten der Polizei entschärft, sagte ein Behördensprecher. Das Landeskriminalamt (LKA) schließt nicht aus, dass noch weitere Brandsätze entlang von Schienen in Berlin und Umgebung gefunden werden.

Die Strecke zwischen Hauptbahnhof und Gesundbrunnen/Spandau wurde vorübergehend gesperrt, am Abend aber wieder freigegeben. Regionalzüge werden auch heute noch umgeleitet, so entfällt bei der RE 4 Berlin-Wittenberge vorerst der Halt Falkensee. Falkensee wird laut Bahn stündlich mit der RB 14 angefahren, zwischen Falkensee und Nauen fahren Busse als Ersatz. Auch in Grünau kam es bis zum Abtransport der Brandflaschen für zwei Stunden zur Unterbrechung des S-Bahn- und Regionalverkehrs. Damit war die Bahnverbindung zwischen dem Zentrum und dem Flughafen Schönefeld gekappt. Nach Angaben eines Sprechers gab es aber keine Beschwerden, dass Fluggäste ihre Maschinen verpasst hätten.

Die Brandsätze wurden von Spezialisten des LKA bei strömendem Regen unschädlich gemacht und zur Untersuchung mitgenommen. Dabei soll auch geklärt werden, warum sie nicht zündeten. Möglicherweise verhinderte die feuchte Witterung Schlimmeres. Angaben dazu machte das LKA nicht.

Im Lauf des Dienstags entdeckten Bahnmitarbeiter bei routinemäßigen Wartungsarbeiten 1.30 Uhr am Adlergestell in Grünau auf Höhe des Drosselstegs drei weitere Brandsätze, die nicht gezündet hatten. Am Nachmittag wurde die Polizei am Hauptbahnhof erneut fündig. Ausgerechnet wenige hundert Meter vom Fundort der Brandsätze am Montag fanden die Beamten weitere Vorrichtungen.

Die drei Flaschen in Grünau waren mit einer brennbaren Flüssigkeit gefüllt und lagen auf den Kabeln zwischen einem Trafohäuschen und dem Gleisbett. Nach Polizeiangaben sollten so wichtige Versorgungsleitungen lahmgelegt werden. Die Brandsätze wurden offensichtlich bereits in der Nacht zu Montag dort platziert. „Die Flaschen ähneln denen, die wir am Vortag gefunden haben“, bestätigte ein Polizeisprecher. Die Experten vom LKA in Brandenburg und Berlin waren am Dienstag noch damit beschäftigt, die Brandsätze zu untersuchen. Sie hoffen an den mit Brandbeschleuniger gefüllten Flaschen DNA-Spuren der Täter in Form von Schweiß, Hautschuppen oder Haaren zu finden. Bei dem gezündeten Brandsatz sind fast alle Spuren verbrannt, daher konzentrieren sich die Ermittler auf die noch intakten Vorrichtungen.

Lesen Sie auf Seite zwei, welche Auswirkungen die Anschläge auf den Betrieb hatten.

Werden die Kabel zerstört und damit der Strom für die Antriebe von Weichen und Signale unterbrochen, zeigen die Signale im gesamten Stellbereich automatisch Rot, die Züge bleiben stehen. Das gesamte Netz ist in solche Bereiche aufgeteilt, so dass der Verkehr nicht komplett ausfällt. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte am Montagabend in der RBB-Abendschau nicht ausgeschlossen, dass durch das Zerstören der Kabel auch ein Zug entgleisen könnte. Anders als im Bekennerschreiben von Montag behauptet, hätten die Täter sehr wohl den Tod von Menschen in Kauf genommen. Damit zeige der Linksextremismus „sein hässliches Gesicht“ und demaskiere sich immer mehr. Dass ein Zug wegen eines Kabelschadens entgleisen kann, hält man bei der Bahn allerdings „nach menschlichem Ermessen“ für ausgeschlossen.

Gravierend sind dagegen die Auswirkungen auf den Betrieb. Am Dienstag waren bei der S-Bahn die Abschnitte von Schöneweide nach Altglienicke und Grünau mit den Linien S 8, S 9, S 46 von 10.30 Uhr bis 12.30 unterbrochen; Ersatzverkehr mit Bussen gab es nur sporadisch. Ab 11.25 Uhr passierten auch keine Züge des Regionalverkehrs das Grünauer Kreuz. Die Reparatur der beim Anschlag am Montag früh zerstörten Kabel bei Finkenkrug an der Strecke Berlin-Hamburg dauert noch mindestens bis Mittwoch. So lange fahren die Fernzüge über Stendal, was die Fahrzeit erheblich verlängert. Im Regionalverkehr gibt es weiter Ersatzverkehr mit Bussen.

Die Bahn hat nach ihren Angaben seit dem Anschlag auf eine Kabelbrücke am Ostkreuz im Mai die Kontrollen der Anlagen verschärft. Zudem prüft sie nach Angaben eines Sprechers, ob es bauliche Änderungen geben kann. Bisher liegen die Kabel meist konzentriert in Betonfertigteilen neben den Gleisen. Die Abdeckungen sind leicht zu entfernen. Denkbar sei, die Schächte abschließbar zu machen, sagte ein Sprecher. Auch ein Verlegen der Kabel unter die Erde werde erwogen. Dann sei bei normalen Defekten das Reparieren aber schwieriger.

Innensenator Körting hat am Dienstag im Gespräch mit dem Innenministerium und der Deutschen Bahn die Unterstützung der Berliner Polizei und anderer Sicherheitsbehörden zur Aufklärung und zur Abstimmung zusätzlicher Schutzmaßnahmen zugesichert. Der Leiter der DB-Konzernsicherheit, Gerd Neubeck, sagte, die Bahn sei Opfer „extremistischer Täter“. Die Kontrollen hätten jedoch gegriffen. „Grundsätzlich ist und bleibt die Bekämpfung gewaltbereiter Gruppen Aufgabe des Staates“, betonte der frühere Vize-Polizeipräsident Berlins.

Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann verurteilte die Angriffe „auf das Schärfste“. Es handele sich um schwerste Kriminalität mit unabsehbaren Folgen. Die Täter spielten mit Menschenleben. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte für den Haushalt 2012, geplante Stellenstreichungen und Budgetkürzungen bei der Bundespolizei zu stoppen. (mit kt/lvt/ses)

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