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Aufgeweckt. Fünft- und Sechstklässler müssen sich anstrengen.

© Mike Wolff

Zensuren: An Grundschulen beginnt die Schlacht um Noten

Der Zensurenschnitt für den Übergang zur Oberschule wird wichtiger. Nun protestieren Eltern – weil die Bewertungssysteme so unterschiedlich sind.

Die Klassenarbeit in Naturwissenschaften an der Thalia-Grundschule war schwer. 35 Punkte waren möglich, ein Fünftklässler schaffte 34 und bekam dafür die Note Zwei. „An anderen Schulen gibt es dafür noch eine Eins“, sagt Svenja Pelzel, Gesamtelternvertreterin der Schule auf der Halbinsel Stralau.

Das Bewertungssystem von Grundschulen beschäftigt derzeit viele Eltern. Weil die Gymnasien und Sekundarschulen bis Mitte November die Kriterien festlegen müssen, nach denen sie künftig 60 Prozent ihrer Schüler auswählen, wird nun von Grundschuleltern besorgt darauf geachtet, wie ihre Kinder bewertet werden. Schließlich wird auch davon abhängen, welche weiterführende Schule künftig für sie offen steht.

Auswahlkriterien können in Zukunft etwa Kompetenzen sein, die außerhalb des Unterrichts erworben wurden – eine musikbetonte Schule kann also etwa Klavierunterricht anerkennen. Die weiterführenden Schulen können auch profilbezogene Tests schreiben lassen. Und schließlich kann auch die Durchschnittsnote aus dem letzten Zeugnis der Grundschule zum Tragen kommen.

Die Grundsätze der Notengebung sind im Schulgesetz definiert: Demnach entspricht eine „sehr gute“ Leistung einer Leistung, die den Anforderungen in besonderem Maß entspricht. Eine Leistung, die den Anforderungen voll entspricht, wird mit der Note „gut“ bewertet. Nach welchem Punktesystemen dies umgesetzt wird, bleibt jedoch den Schulen überlassen, die das System in den Fachkonferenzen selbst festlegen. So kann etwa bei 96, 98 oder 100 Prozent der erreichten Punkte eine Eins gegeben werden. Auch von Fach zu Fach kann das System unterschiedlich sein.

„Berlin muss eine einheitliche Bewertungsgrundlage schaffen“, fordert deshalb Elternvertreterin Pelzel. Mit der Thalia-Grundschule sei man jenseits der strengen Notengebung zwar sehr zufrieden. Aber die Kinder würden im Übergang an die weiterführenden Schulen benachteiligt. Eine Mutter plane bereits, mit einstweiligem Rechtsschutz gegen die Notengebung vorzugehen. Sie sehe den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verletzt.

Aus der Bildungsverwaltung heißt es, es gebe in den Grundschulen keine zentralen Vorgaben, bei welcher prozentualen Leistung eine Note zu erteilen sei. Eine Vergleichbarkeit der Noten aller Grundschulen würde voraussetzen, dass der Unterricht berlinweit in allen Klassen gleich wäre. Auch bei der Bewertung von Klassenarbeiten gebe es einen breiten Ermessensspielraum: „Die pädagogische Verantwortung und Kompetenz der Lehrkräfte lässt sich nicht normieren.“

Auch Inge Hirschmann vom Grundschulverband sagt: „Man kann die Notengebung nicht vergleichen.“ Außer bei den Vergleichsarbeiten in den dritten Klassen gebe es eben keine einheitlichen Prüfungsanforderungen. Sie wende sich auch dagegen, „alles über Zensuren laufen zu lassen und zu standardisieren“, sagt Hirschmann. So müsse es etwa die Möglichkeit geben, persönliche Fortschritte von Kindern zu honorieren. Dennoch befürchtet sie: „Bei den nachgefragten Lieblingsschulen wird es schwierig. Es wird eine Schlacht um Noten geben.“

Die FDP-Bildungspolitikerin Mieke Senftleben schlägt deshalb vor, wie in Brandenburg Vergleichsarbeiten in der sechsten Klasse zu schreiben, die dann in besonderem Maß in die Zeugnisnote einfließen. „Die Noten der Vergleichsarbeit könnten auch mit einem Elterngespräch und Faktoren wie der Entwicklung des Kindes gekoppelt werden“, so Senftleben. Allerdings gab es auch in Brandenburg ein ängstliches Ringen um die Noten, als der Übergang zum Gymnasium vor drei Jahren erstmals von der Note in den Vergleichsarbeiten abhing.

Der grüne Bildungsexperte Özcan Mutlu verweist auf ein anderes Modell, das die Grünen bereits in die Diskussion um die Schulreform eingebracht hatten. „Am besten wären verpflichtende Beratungsgespräche mit den Eltern“, sagt er. Noten erzeugten Druck und psychische Belastung bei Kindern. „Welche Schule für das Kind geeignet ist, kann unabhängig von Noten nach Leistungsstand und allgemeiner Kompetenz beurteilt werden.“

Die Schulen sehen das anders: Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass etwa von außerschulisch erworbenen und zum Profil der Schule passenden Kriterien voraussichtlich wenig Gebrauch gemacht wird, die Noten aber eine zentrale Rolle spielen. „Viele Schulen sind sich über die anstehende Profilgebung gar nicht bewusst“, sagt etwa der Vorsitzende des Landeselternausschusses Günter Peiritsch. Auch der Vorsitzende der GEW-Schulleitervereinigung, Paul Schuknecht, sagt, insbesondere viele Sekundarschulen tendierten dazu, ihre künftigen Schüler nach Leistung auszuwählen. Schwächere Schüler kämen durch das Losverfahren für 30 Prozent der Plätze automatisch, viele stärkere gingen an die Gymnasien. Aber auch Sekundarschulen seien schließlich darauf angewiesen, eine heterogene Schülermischung anzuziehen, rechtfertigt Schuknecht die Fixierung auf den Notenschnitt.

Klar ist: Das Anmeldeverfahren, mit dem Grundschüler sich an drei Oberschulen ihrer Wahl bewerben, wird ab sofort „wesentlich komplexer“, sagt Günter Peiritsch. Auch Paul Schuknecht ist sich sicher: „Die Eltern werden viel taktischer vorgehen müssen als bisher.“ Wenn der Erstwunsch etwa ein übernachgefragtes Gymnasium ist und das Kind über die festgelegten Kriterien nicht aufgenommen wird, kommt zwar noch der Lostopf infrage. Falls es damit jedoch auch nichts wird und die beiden Ausweichschulen ebenfalls übernachgefragt sind, kann der Bezirk die Schüler zuweisen.

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