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Berlins Schulen haben seit 2015 viele eigene Konzepte für Willkommensklassen entwickelt..

© Manfred Thomas

Flüchtlinge in Berlin: Willkommensklassen: Senat bessert nach

Eigentlich sollten die Flüchtlinge maximal ein Jahr in ihren Klassen bleiben. Jetzt steuert Senatorin Scheeres um. Und sie hat noch eine gute Nachricht für die Schulen.

Über Berlins Willkommensklassen lassen sich viele Geschichten erzählen. Schöne und traurige; Erfolgsgeschichten und Geschichten vom Scheitern. Was alle verbindet, ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge ändern: Die Vielzahl an Flüchtlingen mit unterschiedlichsten Vorgeschichten verlangt ein ständiges Nachjustieren.

Gerade war es wieder so weit, und zwar an einem entscheidenden Punkt: Die Bildungsverwaltung hat sich von der hoch umstrittenen Prämisse verabschiedet, dass die Schüler „grundsätzlich“ nur sechs bis zwölf Monate in den separierten Willkommensklassen verbleiben und dann schnell in die Regelklassen überführt werden sollen. „Diesen Absatz haben wir aus dem Leitfaden herausgenommen“, teilte Behördensprecherin Beate Stoffers auf Anfrage mit. Mit der Entscheidung, den Zeitdruck herauszunehmen, hat sich die Papierform des Leitfadens der Realität angenähert: Längst ist klar, dass die Vorgabe reine Theorie war.

Der Leitfaden für die Schulen wird geändert

Die Praxis lässt sich seit Langem an der Johanna-Eck-Sekundarschule in Mariendorf beobachten: „Von 20 Schülern schaffen ein bis zwei nach sechs Monaten den Wechsel, alle anderen brauchen mindestens eineinhalb Jahre“, lautet die Erfahrung. Und die ist an der Eck-Schule reichhaltig, denn hier gibt es seit bald 25 Jahren „Eingliederungsjahrgänge“, wie sie damals hießen. Inzwischen ist das Schulkonzept so ausgereift, dass die Schule es sogar im „Heute-Journal“ vorstellen sollte.

Die Eck-Schule behält ihre Willkommensschüler trotz Umzugs. Das hilft

Die Schüler Das Konzept geht so: In der siebten Klasse erstmal nur Deutsch lernen, in der achten Klasse gibt es schon mehr Stundentafelunterricht, und vor allem Mathematik, Englisch und Sport finden schon zusammen mit den Regelschülern statt. Wichtig dabei: Die Schüler können an der Schule auch dann bleiben, wenn sie aus ihrer Notunterkunft in eine entfernte Wohnung umziehen. „So entsteht Kontinuität“, nennt Schulleiterin Hannelore Weimar den großen Vorteil. Dafür würden Schüler sogar weite Wege, zum Beispiel aus Marzahn, auf sich nehmen.

Der Erfolg gibt der Johanna-Eck-Schule recht: Weimar erzählt von einem afghanischen Mädchen, das zu Hause keine Schule besuchen konnte und nun in Berlin nach nur drei Schuljahren die Berufsbildungsreife schaffte. Etliche der Flüchtlinge hätten in diesem Jahr den erweiterten Mittleren Schulabschluss geschafft. Gerade erst hat die Eck-Schule im Rahmen eines Fachtages ihre Erfahrungen an weitere Schulen im Bezirk Tempelhof-Schöneberg weitergegeben.

Längst versuchen auch andere Schulen wie die Jean-Krämer-Schule in Wittenau, ähnliche Wege zu gehen. Und Schulleiter Volker Kaiser nennt noch einen ganz anderen Grund, der dafür spricht, die Flüchtlingsschüler länger unter sich zu lassen: Sie seien oftmals fleißiger als die Regelschüler und sollten lieber gar nicht erst auf den Gedanken gebracht werden, weniger zu lernen oder gar zu schwänzen.

Manche müssen monatelang auf einen Schulplatz warten

Es gibt allerdings auch zwei Schulen, die gar nicht die Wahl haben, ob sie ihre Flüchtlingsschüler früher oder später mischen. Das sind die beiden reinen Flüchtlingsschulen in Lichtenberg, die jeweils zehn Willkommensklassen beherbergen und sonst nichts: Der Bezirk wusste sich offenbar keinen anderen Rat, als leere Gebäude einfach aufzufüllen. Der gravierende Platzmangel – gepaart mit Personalknappheit – hat aber noch weitere Folgen. Dazu gehört, dass viele Kinder und Jugendliche nach ihrer oftmals monatelangen Flucht auch noch monatelang auf einen Schulplatz warten müssen: So vergeht mitunter ein ganzes Jahr, in dem den Betroffenen ihre Motivation verloren geht: „Entwöhnung vom Lernen“ nannte Michael Becker-Mrotzek vom Mercator-Institut dieses Problem in einem Interview.

Schon 11000 Flüchtlinge sind in den Schulen

Trotz aller Engpässe ist es allerdings gelungen, über 11 000 Flüchtlinge unterzubringen: Hunderte Schulen suchen nach Konzepten und werden dabei in ihren Bezirken von speziellen Koordinatoren unterstützt. „Das ist auf jeden Fall hilfreich“, findet Karin Laurenz vom Grundschulverband. Sie leitet die Blumen- Grundschule in Friedrichshain und wäre froh, wenn sie für die Flüchtlinge auch zusätzliche Erzieherstellen zugewiesen bekäme und nicht nur den Sozialarbeiter, den sie über ein Programm finanziert.

„Die Gymnasien haben nicht einmal Sozialarbeiter“, bedauert Detlef Schmidt-Ihnen vom Lichtenberger Barnim-Gymnasium. Er erzählt von einem allein reisenden 14-jährigen Schüler, der zusehen musste, wie seine Familie umgebracht wurde; manchmal hat er sich nicht unter Kontrolle „und dann zertritt er Lichtschalter“. Schmidt-Ihnen wünscht sich dringend noch mehr Möglichkeiten, sich um diese Jugendlichen zu kümmern, „weil wir sie sonst in eine Ecke treiben, und das müssen wir dann teuer bezahlen.“

„Da sitzen Analphabeten neben Hochleistungskindern“

„Die Lehrkräfte in den Willkommensklassen stehen vor gewaltigen Aufgaben“, beschreibt Peter Danz vom Friedrich- Ebert-Gymnasium die Ausgangslage: „Da sitzen Analphabeten neben Hochleistungskindern.“ Erschwerend kämen die traumatischen Erlebnisse der Kinder hinzu. Danz ist froh, dass er gute Fachkräfte für Deutsch als Fremdsprache einstellen konnte.

Es gibt aber auch Schulen, die die Klassen aus dem Personalüberhang betreuen müssen: „Da übernimmt mal der Lateinlehrer vier Stunden oder der Erdkundelehrer drei Stunden – die wursteln vor sich hin und haben keine Ahnung“, berichtet ein entsetzter Schulleiter.

Zunehmend Sorge bereitet vor allem Gymnasialleitern die Frage, wie es mit den Willkommensschülern weitergeht, wenn sie leidlich Deutsch gelernt haben: Nur wenige genügen den Gymnasialansprüchen, aber an den Sekundarschulen ist kaum genug Platz, um alle Kinder aufzunehmen. Zudem stellt sich für alle Schulen die Frage, wie sie die fachlichen Lücken schließen sollen, wenn Kinder in der Heimat kaum die Schule besuchten.

Zusätzliche Kurse sollen den Übergang in Regelklassen erleichtern

Auf dieses Problem wurde im Masterplan Integration des Senats eingegangen: Dort wurde ausdrücklich die Möglichkeit einer „zusätzlichen Förderung“ angesprochen. Auf dieser Grundlage will Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) jetzt 250 sogenannte Brückenkurse einrichten. Diese pro Woche vierstündigen Brückenkurse sind pro Lerngruppe mit zehn bis 15 Schülern geplant. Außerdem werden Fortbildungsmodule für Tandems zwischen Lehrkräften und Willkommen- sowie Regelklassen angeboten, kündigte die Bildungsverwaltung an.

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