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Lernen lernen. In vielen Kindertagesstätten bereiten die Erzieherinnen die Jungen und Mädchen auf den Schulbesuch vor. Mit einem Sprachlerntagebuch werden ihre Lernerfolge festgehalten; wie etwa in der Kita Ghanastraße in Wedding.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bildungsreform: Früher in die Kita - oder auf die Schulbank

Buschkowsky und Wowereit sind für Kitapflicht. Verfassungsrechtler halten sie gegen die Eltern für nicht durchsetzbar. In einer Einschulung mit vier Jahren sehen Experten den besseren Weg.

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Heftig wird zurzeit über Sarrazin’sche Thesen, Integration und Bildungsdefizite von Kindern diskutiert. Die Bundesregierung denkt erst einmal über einen „Aktionsplan Integration“ nach. Andere Politiker dagegen haben konkrete Vorschläge. Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) fordert eine gesetzliche Kitapflicht für Kinder ab einem Jahr. „Die Erziehungsüberforderung von Eltern nimmt rapide zu“, sagte Buschkowsky dem Tagesspiegel. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) plädiert für eine Kitapflicht. Die eingeführte Gebührenfreiheit in Kitas sei der „erste Baustein, um zu einer allgemeinen Kitapflicht zu kommen“, schreibt Wowereit in einem Gastbeitrag in der „Berliner Zeitung“. Bildung sei der Schlüssel für mehr Aufstiegschancen und fördere den Willen zur Integration.

Dagegen zeigte sich SPD-Chef Gabriel skeptisch: Er plädiert dafür, zunächst eine bundesweite Gebührenbefreiung für Kindergärten durchzusetzen. Aber wie kann frühkindliche Bildung möglichst verbindlich umgesetzt werden?

Verfassungsrechtler Christian Pestalozza sagt, eine „Kitapflicht ist mit der Verfassung nicht vereinbar“. Das Grundgesetz garantiert den Eltern im Artikel 6 ein „natürliches Recht“ auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Staatliche Eingriffe sind nur bei Gefährdung des Kindeswohls und mit der Schulpflicht erlaubt. „Eine Kitapflicht kommt höchstens in Form der Vorschule in Betracht“, sagt Pestalozza. Er warnt aber vor „Etikettenschwindel“. Vorschule ab einem Jahr sei juristisch nicht durchsetzbar. Realistisch wäre eine Vorschule ab vier Jahren.

Viele Nachbarländer schicken ihre Kleinkinder verpflichtend in die Vorschule. In Berlin bleibt es den Eltern überlassen, ob sie ihre Kinder in die Kita schicken. Der am Januar 2011 gänzlich kostenlose, dreijährige Kitabesuch soll Anreize für einen Besuch schaffen. Im vierten Lebensjahr gibt es zudem einen verbindlichen Sprachtest für die Kinder. Wer hier Defizite zeigt, muss an einer Sprachförderung in der Kita teilnehmen. Zudem sind Kitas und Grundschulen seit der Schulstrukturreform zur Kooperation verpflichtet. Doch was die Kinder im Rahmen der vorschulischen Förderung und Spracherziehung lernen, bleibt den Einrichtungen überlassen. Deswegen kommen viele Kinder mit zu geringen Deutschkenntnissen in die Schule, klagen Experten. Die Ergebnisse der Vergleichstest „Vera 3“ in dieser Woche zeigten, dass Berlins Drittklässler im bundesweiten Vergleich hinterherhinken. Im Schnitt konnten sie nur jede zweite Aufgaben lösen. Wäre da nicht eine verpflichtende Vorschulklasse ab dem vierten Lebensjahr sinnvoll?

„Fast 95 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen sind heute schon in einer Kita“, sagt Bildungsstaatssekretärin Claudia Zinke. „Dafür werben wir bei den Eltern.“ Sie betont aber, das „Pflege und Erziehung der Kinder laut Grundgesetz das Recht der Eltern sind“. Viele Kinder besuchten die Kita aber nicht regelmäßig, entgegnet FDP-Bildungspolitikerin Mieke Senftleben. „Das betrifft ausgerechnet Migrantenkinder und Kinder aus sozial schwächer gestellten Familien, die wir seit Jahren zu integrieren versuchen.“

Die Ergebnisse von Vera sollten nicht falsch interpretiert werden, sagt Staatssekretärin Zinke. „Es werden Schüler darauf getestet, wie weit sie die Bildungsstandards der Klassenstufe vier erreicht haben. Eine frühere Schulpflicht hätte wenig Auswirkung auf die Ergebnisse.“ Eine Vorschule ab vier Jahren sei ihr zu früh. Berlin habe 2004 den Schuleintritt schon auf fünf Jahre gesenkt. Eine noch frühere Einschulung werde den Kindern nicht gerecht, sagt Zinke. Für Senftleben kommt die Einschulung der Kinder dagegen zu spät. Die FDP-Politikerin fordert eine verbindliche Startklasse ein Jahr vor Schulbeginn. Derzeit sollen Erzieher in den Kitas die Vorschularbeit leisten. Für eine Einzelbetreuung aber fehlt oftmals die Zeit. Eine Mutter aus Mitte kritisiert, dass „alles inklusive Mittagsschlaf wie vorher läuft.“

Nach dem „Perry Preschool Project“ im US-Bundesstaat Michigan, das in den sechziger Jahren begann, bringen vorschulische Einrichtungen bei einer sozial schwachen Klientel deutliche Erfolge: Wer aus benachteiligtem Umfeld kommt und eine Vorschule besucht, lebt seltener von Sozialhilfe, verdient mehr Geld und hat stabilere Partnerschaften.

In Frankreich gibt es die „Ecole maternelle“. Kinder ab drei Jahren gehen in die Ganztagsvorschule, deren Lernziele zentral und vom Erziehungsministerium verbindlich festgelegt sind. In England gehen sogar schon Zweijährige zur Vorschule und die Niederlande haben den Kindergarten gleich ganz abgeschafft. Kinder ab vier Jahren besuchen bis zum zwölften Lebensjahr eine integrierte Schule.

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