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Glückssache. An über 60 Schulen in Berlin fehlen Rektoren.

© dpa

Lehrermangel: Mehr als 60 Schulleiter-Stellen in Berlin unbesetzt

Nicht nur Lehrer fehlen in Berlin, sondern auch Schulleiter: Mehr als 60 Stellen sind unbesetzt. Obwohl sich bei manchen Schulformen ein solcher Aufstieg finanziell kaum lohnt, ist das Geld nicht der einzige Grund, warum sich viele Pädagogen gegen ein solches Leitungsamt entscheiden.

Eine Schule zu leiten, ist nichts mehr, wonach sich viele Lehrer drängen. Zurzeit sind 66 Leitungsstellen an Berliner Grundschulen, Sekundarschulen und Gymnasien vakant. Vor allem an Grund- und Sekundarschulen mangelt es an Führungskräften.

Die Berliner Situation ist noch nicht so dramatisch wie in Nordrhein-Westfalen, wo an jeder achten Schule der Rektor fehlt und drei von zehn Konrektoren. Insgesamt sind an deutschen Schulen über tausend Chefstellen unbesetzt. Doch auch für Berlin stellt Inge Hirschmann, die Vorsitzende des Grundschulverbandes, fest, „dass es zunehmend schwieriger wird, Rektoren und besonders Konrektoren zu finden“. Der Befund überrascht, denn der Aufstieg zum Konrektor oder Rektor ist oft der einzige Karriereweg für Grundschullehrer.

Nachwuchsmangel trifft auf Pensionierungswelle

Dass es immer weniger Lehrer gibt, die Schulleiter werden wollen, hängt mit dem allgemeinen Lehrermangel zusammen, der eine Folge der großen Pensionierungswelle ist. Bei den Grundschulen kommt hinzu, dass sich der Aufstieg finanziell kaum lohnt, besonders wenn die Schule weniger als 360 Kinder hat. Wer eine solche Schule leitet, gehört in die Besoldungsgruppe A 13 und verdient nach zehn Dienstjahren rund 4200 Euro brutto. Das sind 400 Euro mehr, als ein Lehrer nach derselben Zeit verdient. Wird ein Lehrer Konrektor, bekommt er lediglich 171 Euro mehr. Netto bleibt davon kaum etwas übrig.

Viele Lehrer schrecken auch vor den gestiegenen Anforderungen an das Leitungsamt zurück. Denn durch die zunehmende Selbständigkeit der Schulen müssen Schulleiter Budgets verwalten, Schulprofile entwickeln und sich im Wettbewerb mit anderen Schulen durchsetzen. Dazu kommen gängige Anforderungen wie Personalentwicklung, Organisation und die Vertretung der Schule gegenüber der Schulverwaltung.

Unterrichten und Planen

Für den Ganztagsbetrieb müssen Schulleiter Kooperationen mit Sportvereinen, Musikschulen und anderen Einrichtungen einfädeln, und ist der Hausmeister krank, sind es im Zweifel der Rektor oder Konrektor, die die Computer reparieren oder die Türen abschließen. Als Grundschulleiter ist man mehr und mehr „Manager einer kleinen Firma“, sagt Inge Hirschmann. Unterrichten müssen Rektoren und Konrektoren auch noch.

Was die Sache nicht einfacher macht, ist für Inge Hirschmann die Erfahrung, manchmal ganz schön zwischen den Stühlen zu sitzen. Seit 23 Jahren leitet sie die Heinrich-Zille-Grundschule in Kreuzberg. Als Rektorin sei sie zum Beispiel für die Sauberkeit verantwortlich. Sie könne aber die Reinigungsfirma nicht kündigen, wenn die schlampig arbeite. Denn die Reinigungsfirma beauftrage der Bezirk. „Um die vielen Aufgaben zu bewältigen, muss der Wunsch schon sehr groß sein, eine Schule gestalten zu wollen“, sagt Hirschmann. Viele Kollegen lehnen dankend ab – auch weil sie lieber mit Kindern arbeiten.

„Der Rollenwechsel vom Verwalter zum Gestalter einer Schule fällt vielen schwer“, sagt Stefan Brauckmann. Er arbeitet am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), einem der Projektträger der Pisa-Studie, und hat gerade in sechs Bundesländern Chefs von Grundschulen und Gymnasien nach ihren Aufgaben befragt – auch Berliner Schulleiter. Viele antworteten, dass sie zu den neuen Aufgaben, etwa der inhaltlichen Weiterentwicklung der Schule gar nicht kommen, weil die Zeit fehle.

Berlin ist das einzige Bundesland, das Schulleiter nicht verbeamtet

Auch an den Gymnasien ist der Mangel an Schulleitern absehbar. Immer häufiger wechseln Schulleiter zum Beispiel in die Referendarsausbildung. „Früher war ein solcher Wechsel die Ausnahme“, sagt Ralf Treptow vom Verband der Oberstudiendirektoren. Eine Ursache für den häufigeren Wechsel sieht er in den gestiegenen und immer komplexeren Leitungsaufgaben. Eine 60- bis 70-Stunden-Woche sei üblich für Schulleiter, sagt Treptow. In den kommenden Jahren müssen angesichts der großen Pensionierungswelle sehr viele Referendare ausgebildet werden. Das dürfte den Trend verstärken, schätzt Treptow.

Leitungsjob wenig attraktiv

Für angestellte Lehrer, die nicht mehr verbeamtet sind, verliert der Leitungsjob am Gymnasium auch deshalb an Attraktivität, weil es keine dem Beamtensold A 16 entsprechende Tarifgruppe gibt. Berlin sei das einzige Bundesland, das die Schulleiter nicht verbeamtet, so Treptow. In Sachsen werden wie in Berlin Lehrer nicht mehr verbeamtet. Selbst dort haben die Schulleiter Beamtenstatus. Einer der ersten angestellten Berliner Schulleiter, Andreas Steiner vom Friedrichshainer Andreas-Gymnasium, hat deswegen gegen die Schulverwaltung prozessiert – und in zwei Instanzen gewonnen. Er muss mehr Geld bekommen, wie viel ist noch nicht klar. Abschließend wird das Bundesarbeitsgericht entscheiden.

„Keine Schule ist führungslos“, sagt die Sprecherin der Schulverwaltung. Überall würden zumindest kommissarische Leiter eingesetzt. Auch sei Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) den Rektoren und Konrektoren entgegen gekommen und habe die Unterrichtsverpflichtung reduziert. Das reiche aber nicht aus, sagt Inge Hirschmann, zu viele neue Aufgaben seien in den vergangenen zehn Jahren hinzugekommen. Sie wünscht sich mehr Unterstützung, zum Beispiel durch einen Verwaltungsleiter, der ihr die Buchhaltung abnehmen und juristische Kenntnisse mitbringen würde.

Hamburg als Vorbild für mehr Flexibilität

Im Koalitionsvertrag hatten SPD und CDU angekündigt, Schulleitungen von administrativen Aufgaben zu entlasten. Demnächst sollen 24 Verwaltungsleiter in Schulen eingesetzt werden, zwei pro Bezirk. Ob auch Inge Hirschmann Hilfe zuteil wird, ist noch nicht klar. Zurzeit wird in der Senatsverwaltung über die Verteilung der 24 neuen Verwaltungsleiter gerungen.

„Viele Schulleiter wünschen sich flexiblere Arbeitszeitmodelle, um die Leitungsaufgaben mit dem Unterrichten neu zu verbinden“, sagt Stefan Brauckmann vom DIPF. Ein Beispiel hierfür sei das Modell in Hamburg. Dort entscheiden Schulleiter selbst über den Umfang des Unterrichts, den sie halten.

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