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Bildungsdefizite: Viel Geld, wenig Qualität bei frühkindlicher Bildung

Obwohl Berlin bei den Ausgaben für seine Kita-Kinder mit rund 4000 Euro jährlich bundesweit an der Spitze liegt, beklagen Bildungsexperten die mangelnde Qualität der frühkindlichen Bildung.

Die „Qualitätsdefizite sind himmelschreiend“, sagt etwa der grüne Bildungsexperte Özcan Mutlu. Das Geld, das Berlin laut Bertelsmann-Studie in die frühkindliche Bildung investiere, müsse beim Kind auch tatsächlich ankommen und dürfe nicht „im System versickern“. Auch Emine Demirbüken-Wegner (CDU) sieht erheblichen Nachholbedarf in der Qualität. Die bildungspolitische Sprecherin der FDP Mieke Senftleben sagte, die Probleme, die später beim jahrgangsübergreifenden Lernen (JüL) oder den Vergleichsarbeiten für Grundschüler (Vera) entstehen, seien letztlich „Auswüchse nicht ausreichender vorschulischer Bildung“. Nun müsse insbesondere nach der Qualität gefragt werden. Auch Vergleiche mit anderen Bundesländern müssten gezogen werden.

Immer häufiger scheitern Berliner Kinder schon in der Grundschule. Bereits im vergangenen Jahr wurde jedes sechste Kind nicht versetzt, für diese Zeugnisrunde erwarten die Bezirke noch mehr Sitzenbleiber. Grundschulen beklagen, dass die Kinder bereits in der Kita nicht oder nicht ausreichend gefördert würden. Eine erschreckende Bilanz hat etwa die Neuköllner Regenbogen-Grundschule: Rund die Hälfte der Zweitklässler konnte hier nicht in die dritte Klasse versetzt werden. Bereits bei der Einschulung würden die Kinder eine „unglaubliche Kiezsprache“ sprechen und nicht richtig Deutsch können, sagt Leiterin Heidrun Böhmer. Viele Schüler in der Regenbogen-Grundschule kommen von der Mini-Mix-Kita. Deren Erziehern ist das Sprachproblem bewusst. Sie betonen dennoch: Im Kindergarten werde nur Deutsch gesprochen.

Fast alle der Kinder in dieser Kita sind nichtdeutscher Herkunft. „Es sind 26 Nationen, die größte Gruppe ist türkisch und arabisch“, sagt Kita-Leiterin Monika Singer. Sie wehrt sich gegen die Vorwürfe der Schulen, dass die Ursachen für das häufige Sitzenbleiben bei ihnen liege: „Sprachprobleme haben auch Kinder aus deutschen Familien.“ Eine Mitarbeiterin verweist auf das Problem, dass manche Kinder einfach „viel zu spät“ in die Kita kommen: „Die können dann sprachlich den Hasen nicht von der Sonne unterscheiden.“ Das eigentliche Problem sieht die Kita-Chefin in der nicht vorhandenen Kooperation „auf Augenhöhe“ zwischen Schulen und Kitas.

Sie müsse darum kämpfen, dass ihre Kita als Bildungseinrichtung wahrgenommen werde: „Bisher ist es so, dass Lehrer immer Recht haben und Erzieher eben nicht.“ In anderen Bezirken finde die nötige Zusammenarbeit schon statt, doch in Neukölln sei sie erst im Aufbau. Monika Singer kritisiert, dass viele Schulen immer noch an „veralteten Methoden“ festhalten und den Kitas die Schuld am Versagen der Kinder geben. In ihrer Einrichtung dagegen müssen die Erzieher das Angebot an das Kind anpassen und nicht umgekehrt. Sie bedauert, dass den Kindern wieder alles verloren gehe, was sie in der Kita gelernt hätten, „weil die Schule anders arbeitet, als die Kinder bei uns gewohnt sind“.

Auch Mieke Senftleben fordert einen verbesserten Übergang von der Kita in die Schule – mit einer Startklasse, also einem verbindlichen letzten Kita-Jahr. Dabei sollten Erzieher und Lehrer verstärkt kooperieren, auch die Eltern müssten integriert werden. „Wenn Kinder mit Schulbeginn kein Deutsch beherrschen, geht die Spirale nach unten“, sagt Senftleben. Je früher die Kinder eine Kita besuchen, desto besser sprächen sie Deutsch, sagte auch Sandra Scheeres, bildungspolitische Sprecherin der SPD.

Von den Plänen Finanzsenator Ulrich Nußbaums, die Betreuungszeiten in den Kitas strenger zu kontrollieren, hält sie jedoch nichts. „Durch das Gutschein-System wird ohnehin im Vorfeld geprüft, ob die Eltern tatsächlich einen Ganztagsplatz benötigen.“ Für berufstätige Eltern sei eine gewisse zeitliche Flexibilität außerdem wichtig. Auch Özcan Mutlu sagte, der Vorschlag gehe in die falsche Richtung. „Eine Misstrauenskultur ist das Letzte, was die Berliner Kitas jetzt brauchen.“ Mieke Senftleben hingegen findet Nußbaums Pläne „absolut legitim“. „Ich verstehe die Aufregung nicht“, sagte sie. „Ein Finanzsenator muss wissen, wo das Geld bleibt.“

Kritik an der Bertelsmann-Studie, deren Ergebnisse sich auf das Jahr 2007 beziehen, übt derweil Martin Hoyer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband: Die hohen Ausgaben Berlins kämen durch die exzellente Versorgungssituation zustande. Aussagen zur Qualität der Ausstattung ließen sich aus der Studie eher nicht ableiten. Bärbel Jung, Referentin für Kinder- und Jugendhilfe bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sagte, das Geld sei gut investiert. Da die Kitas hohe pädagogische Anforderungen zu erfüllen hätten, müsse eben insbesondere in Personal investiert werden. Zum einen bedeute das nun eine weitere Verbesserung des Personalschlüssels, zum anderen müsse das Ausbildungsniveau der Erzieher gesteigert werden.

Darin liege eines der großen Probleme, sagt Jung. Es sei schwierig, gut ausgebildete Erzieher einzustellen, weil diese abwanderten – dahin, wo mehr gezahlt werde. Jung betonte auch, dass die besonderen Bedingungen jedes Bundeslandes berücksichtigt werden müssten: „Wenn Berlin das gewünschte Ziel erreichen will, mag es sein, dass mehr investiert werden muss.“ Hier gebe es besonderes viele Kinder mit hohem Sprachförderbedarf und hohem Armutsrisiko. Da müsse auf Ebene der Kitas nachgeholfen werden. Berlins Kita-Ausgaben werden weiter steigen. Bis 2013 investiert das Land – auch als Konsequenz aus dem erfolgreichen Volksbegehren – rund 220 Millionen Euro.

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