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Kopierverbot. Die Schüler des Beethoven-Gymnasiums in Lankwitz kennen die Regeln, die sie auch mehrfach während des Abiturs unterschreiben.

© Thilo Rückeis

Schule: Wer guttenbergt, der fliegt

Seit der Affäre um Karl-Theodor zu Guttenberg schauen Lehrer genauer hin: An mehreren Schulen haben Abiturienten aus dem Internet kopiert, teils mit harten Konsequenzen. Experten streiten, wer Schuld hat.

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Als er die Nachricht bekam, konnte Nico L. (Name geändert) es nicht glauben. „Keiner hat uns gesagt, dass man wegen so was gleich fliegt.“ Nico L. ist einer von mehreren Schülern eines Oberstufenzentrums in Reinickendorf, denen vor einigen Tagen mitgeteilt wurde, dass sie vom Abitur ausgeschlossen sind. Auch am Unterricht dürfen sie nicht mehr teilnehmen.

Der Grund: Sie sollen in ihrer Facharbeit ohne Quellenangabe abgeschrieben haben. „Da wurde seitenweise Wikipedia kopiert“, sagt der Schulleiter. „Die haben sich zum Teil nicht einmal die Mühe gemacht, das durch Umformulierungen zu vertuschen.“ Der Schwindel flog auf, die Arbeiten wurden mit Sechs bewertet. Damit kann die Zulassung zur Abiturprüfung verwehrt werden, heißt es im Schulgesetz. Eventuell dürfen die Ausgeschlossenen nun im nächsten Jahr einen neuen Anlauf nehmen.

Sie sind kein Einzelfall. Nach Tagesspiegel-Recherchen gibt es selbst an Berlins angesehensten Gymnasien aktuelle Fälle, in denen Abiturienten in ihre Arbeiten lange Zitate ohne Quellenangaben eingefügt haben. Seit der Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg schauen offenbar viele Lehrer genauer hin, prüfen, ob sich Textstellen eins zu eins im Internet wiederfinden. An manchen Schulen fragen sich die Schüler untereinander auf dem Pausenhof, ob sie bei Prüfungen „guttenbergen oder nicht guttenbergen“.

Der vom Abitur ausgeschlossene Nico L. fühlt sich ungerecht behandelt, schließlich sei er ein guter Schüler, könne einen Notendurchschnitt von 1,8 vorweisen. Er hätte die Arbeit gerne noch einmal geschrieben. Doch der Rektor bleibt hart: Bei offensichtlichen Betrugsversuchen dürfe es keine Nachsicht geben.

Nicht alle Schulleiter würden ähnlich rigoros vorgehen, zumal sich manche Schüler ihres Vergehens gar nicht bewusst sind – von den möglichen drastischen Folgen ganz abgesehen.

„Wir kennen das Problem ungefähr seit dem Jahr 2000“, sagt Wolfgang Harnischfeger, der bis vor zwei Jahren das Beethoven-Gymnasium in Lankwitz leitete. Es habe sich in dem Maße verschärft, in dem das Online-Lexikon Wikipedia gewachsen und vervollständigt wurde. Harnischfeger hat deshalb bereits vor Jahren „Hinweise zur Verwendung von fremdem geistigen Eigentum in Klausuren, Referaten und Hausarbeiten“ ausgearbeitet, die er nach einer Informationsveranstaltung jeden Schüler unterschreiben ließ. „Wir wurden mehr als einmal darauf hingewiesen, dass wir nicht abschreiben dürfen, ohne die Quellen zu nennen“, sagt Schülerin Rebecca Hoffmann. Sie gehört zum Englisch-Leistungskurs des Abiturientenjahrgangs am Beethoven-Gymnasium. Die 18- und 19-Jährigen haben die Diskussionen um zu Guttenberg mit gemischten Gefühlen verfolgt. „Ich hätte es als ungerecht empfunden, wenn uns bei so etwas harte Strafen wie Ausschluss vom Abitur drohen und er nicht zurückgetreten wäre“, sagt Miriam Thewes. Ein Schüler, der seinen Namen nicht nennen will, fürchtet: „Nun werden die Lehrer noch strenger kontrollieren, man hat ja schon Angst, dass man aus Versehen die gleiche Formulierung verwendet wie Online-Lexika.“

Dass Wikipedia Hauptquelle für Plagiate an Schulen ist, haben auch die 700 Mitglieder des deutschen Fördervereins „Wikimedia“ als Problem erkannt. Deshalb bieten sie verstärkt Workshops an Berliner Schulen an. Zunächst stießen sie bei den Schulleitern auf Ablehnung – die hatten Angst, durch Werbung für Wikipedia noch mehr Schüler zum massenhaften Kopieren zu animieren. Inzwischen hat sich die Stimmung gedreht, das Wikimedia-Team bekommt haufenweise Einladungen. Referent Dennis Barthel, der in Berlin schon 15 Schulungen durchgeführt hat, sieht bei den Jugendlichen keine kriminelle Energie, sondern schlicht „mangelnde Medienkompetenz“: Lehrer berichten ihm von abgegebenen Hausarbeiten, in denen Schüler Textpassagen aus Wikipedia inklusive aller Formatierungen – von den Zwischenüberschriften bis zu kursiv gestellten Wörtern – übernommen haben. „Da ist doch klar, dass sie ihre Quelle nicht verheimlichen wollten“, sagt Barthel. Eine Kollegin hat beobachtet, wie Jugendliche die Schuld ihren Lehrern zuschieben. Würden die nicht so langweilige Fragen stellen, deren Antworten längst auf Wikipedia stehen, hätten Schüler eher einen Anreiz, eigene Worte zu wählen.

Auch Rechtsanwälte wundern sich über das fehlende Unrechtsbewusstsein mancher Schüler. „Viele begreifen gar nicht, was ihnen eigentlich vorgeworfen wird“, sagt der auf Schulrecht spezialisierte Rechtsanwalt Erasmus Hardtmann. Wobei der Jurist auch betont, dass der entsprechende Paragraf der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe genug Spielraum lässt, bei aufgeflogenen Plagiaten je nach Einzelfall zu entscheiden. Soll heißen: Ein Schulleiter müsse den überführten Täter nicht zwingend vom gesamten Abitur ausschließen. Außerdem hätten Betroffene immer die Möglichkeit, die Entscheidung durch das Verwaltungsgericht überprüfen zu lassen.

Bei den Versuchen, Kindern den Umgang mit Quellen zu vermitteln, bestehen zwischen den Schulen enorme Unterschiede. Ein Grund dafür ist, dass in den Rahmenplänen recht zerfasert festgelegt ist, wann genau die Wissensvermittlung eigentlich stattfinden soll. Als Vorreiter gilt die Neuköllner Konrad-Agahd-Grundschule in der Thomasstraße. Hier verbringt jeder Schüler von der ersten bis zur sechsten Klasse wöchentlich eine Stunde am Computer, der Senat unterstützt die Modellschule mit technischer Ausrüstung. In Klasse vier geht es speziell um „Onlinekompetenz“ – inklusive der heiklen Urheberrechtsfragen.

„Die Schüler lernen schnell, dass man auch keine Bilder aus Google und nicht mal zwei zusammenstehende Sätze einfach so kopieren und verwenden darf“, sagt Lehrer und IT-Betreuer Wolfgang Aust. Mindestens genauso dringend bräuchten aber eigentlich viele Eltern eine Einführung ins Thema. Oft wüssten die überhaupt nicht, was ihre Kinder am Computer treiben – und könnten nicht vor den Gefahren warnen. Der Landeselternausschuss will sich des Problems annehmen. Er berät gerade mit der Bildungsverwaltung, wie man schon ab dem kommenden Schuljahr einen sechsstündigen Kurs für Eltern anbieten könne, der über Online-Plattformen und Urheberrechtsfragen aufklären soll.

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