zum Hauptinhalt

Brandenburg: Fünf Haftbefehle nach tödlicher Hetzjagd

BERLIN/COTTBUS/GUBEN (wvb).Die Cottbuser Staatsanwaltschaft hat Haftbefehle gegen fünf junge Männer beantragt, die in der Nacht zum Sonnabend in Guben an der tödlichen Hetzjagd auf einen Algerier beteiligt waren.

BERLIN/COTTBUS/GUBEN (wvb).Die Cottbuser Staatsanwaltschaft hat Haftbefehle gegen fünf junge Männer beantragt, die in der Nacht zum Sonnabend in Guben an der tödlichen Hetzjagd auf einen Algerier beteiligt waren.Den 17 und 18 Jahre alten Männern wird fahrlässige Tötung, Nötigung, Bedrohung und Landfriedensbruch vorgeworfen.Sie sollen den 28jährigen Algerier Omar Ben Noui nach einem Streit derart in Panik versetzt haben, daß er bei der Flucht in einen Hausflur die Glasscheibe der Tür durchtrat.Dabei verletzte er sich so schwer, daß er binnen 15 Minuten verblutete.

Die Cottbuser Staatsanwaltschaft hatte Ausgangspunkt, Ablauf und Ende der tödlichen Hetzjagd von Freitag nacht gestern rekonstruiert.Ausgangspunkt des Geschehens war möglicherweise ein Streit in einer Gubener Diskothek.Darüber haben die Ermittler noch keine Klarheit.Am Streit in der Diskothek sollen einige Vietnamesen, ein Mann dunkler Hautfarbe sowieeine Gruppe offenbar rechtsorientierter Deutscher beteiligt war.Bis zu 15 Personen sollen zu dieser Gruppe gehört haben.

Bei diesem Streit um zwei Uhr nachts soll ein dunkelhäutiger Mann einen der Deutschen mit einem Messer oder einer Machete leicht an der Hand verletzt und dann verschwunden sein.Daraufhin taten sich die Rechtsradikalen mit ein paar Gleichgesinnten zusammen und suchten mit drei Autos Afrikaner dunkler Hautfarbe in Guben.

Gegen fünf Uhr morgens kam es an einer Tankstelle zu der Begegnung zwischen Omar Ben Noui und denen, die ihn dann zu Tode hetzten.Noui sowie ein anderer Algerier und ein Mann aus Sierra Leone hielten sich an der Tankstelle auf, als die fünf Rechten dort mit dem Auto vorbeikamen.Sie sahen den dunkelhäutigen Mann, und einer soll gerufen haben: "Das ist er!" Der Mann aus Sierra Leone und der Algerier Omar Ben Noui liefen los in Richtung der Hugo-Jentsch-Straße.Im Haus Nr.14 versuchte Noui offenbar, die Glastür einzutreten.Ein Splitter der Scheibe oder eine stehengebliebene Scherbe schnitten dem Mann die Schlagader am Knie auf.Er versuchte, so die Staatsanwaltschaft, die Treppe hochzusteigen.Das beschleunigte den Blutverlust.Bewohner des Hauses und der Mann aus Sierra Leone sollen versucht haben, ihm zu helfen.Der alarmierte Notarzt stellte fest, daß der Algerier verblutet war.

Unterdessen hatte sich der Mann aus Sierra Leone in eine nahegelegene Kneipe geflüchtet und von dort die Polizei gerufen.Die fünf Rechten hatten ihn dorthin verfolgt und ihrerseits die Polizei gerufen.Sie wollten ihn, so Staatsanwältin Petra Hertwig, offenbar wegen des Angriffs auf ihren Gesinnungsgenossen verhaften lassen.

Für die Cottbuser Staatsanwaltschaft und die Polizei war dieser Vorfall der erste schwerwiegende, der sich in der Grenzstadt Guben ereignet hat.Auch nach der Rekonstruktion der Hetzjagd auf den Algerier war nicht die Rede davon, daß es in Guben einen besonders große oder brutale rechte Szene gebe.Von den Bewohnern des Hauses, in das Omar Ben Noui zu fliehen versucht hatte, hieß es, daß sie noch versucht hätten, dem Schwerverletzten zu helfen.

Der Trauerzug fand unter Polizeischutz statt

Hunderte demonstrierten in Guben gegen Ausländerfeindlichkeit

von Claus-Dieter Steyer

Der stadtbekannte Gubener Sozialarbeiter Ingo Ley ist gewöhnlich nicht so leicht aus der Ruhe bringen.Schon mit seiner kräftigen Statur und seiner langen blonden Haarpracht verschafft er sich bei den einzelnen jugendlichen Lagern Respekt.Gestern jedoch fehlte dem Mann plötzlich die Worte."Das Geschehene ist unfaßbar", sagte Ley am Nachmittag auf einer spontanen Kundgebung am Ort des tragischen Todes eines 28jährigen algerischen Asylbewerbers.

Einige hundert Einwohner der Kleinstadt an der Neiße waren an diesem Sonntag dem Aufruf des parteilosen Bürgermeisters Gottfried Hain gefolgt."Laßt unsere Kinder nicht zu Mördern werden.Achtet auf ihren Umgang, gebt ihnen Liebe und Geborgenheit", rief Sozialarbeiter Ley sichtlich bewegt zu den vor dem Todesort versammelten Menschen aller Altersgruppen.

Der 38jährige Ingo Ley kennt die fünf jungen Männer, die an der Hetzjagd beteiligt gewesen sein sollen."Sie passen leider ins Klischee rechtsradikaler Täter: überwiegend arbeitslos oder noch Schüler, zerrüttetes Elternhaus, schlechtes Umfeld in einem Wohnviertel mit vielen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern." Alle fünf Jugendlichen stammten aus dem Gubener Neubaugebiet, in dem der Algerier zu Tode gehetzt worden war."Nur der Anführer ist ein überzeugter Rechtsextremist.Die anderen vier sind Mitläufer.Sie haben sich einfach nach dem bewährten Muster der Rechtsparteien verführen lassen.In der Clique erfuhren sie Anerkennung und Selbstbewußtsein, was sie anderswo nicht erlangen konnten.Alkohol tut dann sein übriges", sagte der Sozialarbeiter nach der rund zweistündigen Kundgebung.

Viele Einwohner trieb die Sorge um den Ruf der 28 000 Einwohner zählenden Grenzstadt zum Tatort."Wir haben in den letzten Jahren wirklich alles versucht, um das Klima zu verbessern", sagte Bürgermeister Hain.Es habe runde Tische mit den einzelnen Jugendgruppen, der Polizei und anderen Organisationen gegeben."Nie hätten wir gedacht, daß in unserem Ort ein Mensch in den Tod gejagt werden würde." Die Zahl von insgesamt 38 Sozialarbeitern speziell für die Jugendarbeit ist im Vergleich zu anderen Orten tatsächlich hoch.Sie waren nach den sich häufenden Attacken gegen polnische Bürger Anfang der neunziger Jahre ins Leben gerufen worden.Damals hatten Jugendbanden regelrecht Jagd auf Polen gemacht, die im Sperrmüll der Deutschen nach brauchbaren Dingen suchten.

Heute spricht davon kaum noch jemand.Im Gegenteil.Guben und das polnische Gubin - bis zur Festlegung der Oder-Neiße-Grenze bildeten beide eine gemeinsame Stadt - planen im vereinigten Europa sogar den Zusammenschluß.Die ganze Wirtschafts-, Verkehrs- und Tourismusplanung läuft schon gemeinsam.Im November erhielten beide Städte dafür eine Anerkennung der EU-Kommission.

Pfarrer Leopold Esselbach, Vorsitzender des brandenburgischen Aktionsbündnisses gegen Gewalt, setzte seine Hoffnungen insbesondere auf die Familien."Bei allen Problemen in unserem Land dürfen wir es nicht zulassen, daß Ausländer zum Sündenbock gemacht werden.Darüber muß gesprochen werden.Gewalt ist in jedem Fall das falsche Mittel." Auch Ministerpräsident Manfred Stolpe sah im Ruf nach mehr Polizei nicht das Allheilmittel: "Den Gewalttätern muß eine breite Front der Ablehnung entgegengestellt werden.Die Demonstration der Gubener sei ein wichtiges Zeichen für das Klima bei der Mehrheit der Bewohner.

Während vor dem Eingang des Hauses, in dem der Algerier in der Nacht zum Sonnabend verblutet war, hunderte Kerzen angezündet wurden, hielten sich mehrere Gruppen kurzgeschorener Jugendlicher im gebührlichen Abstand auf.Die starke Polizeipräsenz, die eine Trauer-Demonstration von 100 Asylbewerbern schützte, schüchterte sie wohl ein.

"Den harten Kern der Rechtsradikalen schätze ich in der Stadt auf 15 bis 20 Leute", sagte Sozialarbeiter Ley."Aber mindestens 150 Menschen sind Mitläufer der rechten Szene", vermutet er.Gestern liefen die ersten Krisengespräche der Stadtspitze.Es soll ein neuer Versuch des Dialogs mit den rechten Gruppen gemacht werden.

"Vertrauen in Rechtsstaat unterentwickelt"

CDU-Landeschef Schönbohm zweifelt am Konzept für tolerantes Brandenburg

von Claus-Dieter Steyer

Der Brandenburger CDU-Vorsitzende Schönbohm war als Berliner Innensenator der Verfechter einer rigiden Ausländerpolitik.In Brandenburg sammelt er Unterschriften gegen den Doppelpaß.In der Mark gibt es kaum Ausländer, doch viele ausländerfeindliche Vorfälle.Die Ursachen dafür sieht Schönbohm in einem unterentwickelten Verständnis vom Rechtsstaat.

TAGESSPIEGEL: Erneut ist ein Ausländer im Land Brandenburg bei einem Überfall rechter Schläger getötet worden.Ist das Konzept der Stolpe-Regierung gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus gescheitert?

SCHÖNBOHM: Aus einem Einzelfall sollte man nicht gleich ein Scheitern ableiten: Aber die Schandtat von Guben macht deutlich, daß das Handlungskonzept der Landesregierung für ein tolerantes Brandenburg bislang nicht die nötigen Erfolge gebracht hat.Absichtserklärungen reichen nicht aus.

TAGESSPIEGEL: Sondern?

SCHÖNBOHM: Der Weg des Innenministers mit der Spezialeinheit gegen Rechtsradikale - mit dem irreführenden Titel "MEGA" habe ich meine Schwierigkeiten - ist richtig.Dieser Ansatz muß verstärkt werden.Bei dem Gubener Vorfall muß uns jedoch besonders nachdenklich stimmen, daß ein Mensch gejagt wird, verletzt liegenbleibt und verblutet, weil niemand hilft.Bürger hatten entweder Angst davor, die Polizei zu rufen - oder sie haben einfach weggeguckt.

TAGESSPIEGEL: Wie erklären Sie sich, daß das Weggucken in Brandenburg offenbar verbreiteter ist als anderswo?

SCHÖNBOHM: Das ist nicht einfach.Aber in diesem großen Flächenland gibt es offensichtlich doch zuwenig Polizei, die in kurzer Zeit da ist, und durchgreift, wenn sie gerufen wird: Das Vertrauen der Bürger in einen funktionierenden Rechtsstaat - auch die Gefängnisausbrüche tragen dazu bei - ist deshalb offenbar in Brandenburg weniger entwickelt als in anderen ostdeutschen Ländern.Dabei sind die Brandenburger nicht schlechter als die Sachsen oder Thüringer: Sie wollen helfen, aber nicht durch ihre Hilfe selbst gefährdet werden.

TAGESSPIEGEL: Ministerpräsident Manfred Stolpe hat nach dem Gubener Anschlag davon gesprochen, daß die "Stimmungsmache" gegen Ausländer nicht von Sozialdemokraten "losgetreten" worden sei.Das ist eindeutig auf die CDU-Kampagne gegen den Doppelpaß gemünzt.

SCHÖNBOHM: Sollte Stolpe tatsächlich eine solche Parallele ziehen, wäre das ungeheuerlich und perfide.Wer nicht in der Lage ist, sich mit Argumenten Andersdenkender auseinanderzusetzen, offenbart den eigenen Mangel an Demokratiefähigkeit: Man predigt ein tolerantes Brandenburg - und diffamiert eine demokratische Aktion.Es ist doch auffällig, daß es in keinem anderen Land so viele Überfälle auf die CDU gegeben hat: Nur in Brandenburg, wo es solche offiziellen Ermunterungen durch führende SPD-Politiker gab.Die Stolpe-Regierung versteht unter Toleranz offenbar, daß alle das sagen, was die Stolpe-Regierung für richtig hält.Das ist das Gegenteil von dem, was in Preußen immer gegolten hat.

TAGESSPIEGEL: Die Gubener Tat wirft erneut ein Schlaglicht darauf, daß in Brandenburg - obwohl hier kaum Ausländer leben - Ausländerfeindlichkeit besonders verbreitet ist.Auch an den CDU-Ständen war manch dumpfe Ausländer-Raus-Parole zu hören.Ist es nicht ein Fehler gewesen, die Unterschriften-Aktion gerade in Brandenburg durchzuziehen?

SCHÖNBOHM: Nein.Ich bin überzeugt, daß die Mehrzahl der Bürger nicht aus fremdenfeindlichen Motiven unterschrieben hat.Aber natürlich gab es an den Ständen auch andere Stimmen.Ich will eins klarstellen: Losgetreten hat dieses sensible Thema nicht die CDU, sondern die rot-grüne Bundesregierung mit ihrem unausgegorenen Gesetzentwurf.Erst die Unterschriftenkampagne und die Hessenwahl haben bei der Bonner SPD zum Nachdenken geführt.Bei der Brandenburger SPD aber offenbar nicht.

TAGESSPIEGEL: Sehen Sie die Gefahr, daß bei der Landtagswahl im September in Brandenburg eine rechtsradikale Partei ins Landesparlament einziehen könnte wie in Sachsen-Anhalt?

SCHÖNBOHM: Nein, allerdings unter einer Bedingung: Nämlich, daß die Stolpe-Regierung in ihren Äußerungen Mäßigung und Augenmaß an den Tag legt.Ich kann aber nicht ausschließen, daß den Brandenburger Sozialdemokraten ein Aufwind rechtsradikaler Parteien ganz gelegen käme - um auf diese Weise der Union bei steigender Zustimmung einige Prozentpunkte abnehmen zu lassen.

TAGESSPIEGEL: Sie haben nach dem Gubener Anschlag zu einem parteiübergreifenden Bündnis gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit aufgerufen.Gibt es dafür angesichts solch verhärteter Fronten zur SPD überhaupt noch eine Basis?

SCHÖNBOHM: Das muß man abwarten.Ich habe am Montag ein erstes offizielles Treffen mit dem Ministerpräsidenten.Ich möchte nicht, daß sich der Konflikt weiter hochschaukelt.Eigentlich müßte die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus eine gemeinsame Aufgabe von Regierung und Opposition sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false