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Außenseiter und Cliquenclown: Eine Seite aus dem Buch.

© Metrolit

Serienkiller Jeffrey Dahmer: Der Weg zur Hölle

Zwischen 1978 und 1991 tötete der amerikanische Serienkiller Jeffrey Dahmer mindestens 17 Männer und Jungen. Comic-Künstler Derf Backderf ging mit dem „Milwaukee Monster“ zur Schule. Jetzt ist sein Graphic-Novel-Portrait „Mein Freund Dahmer“ auf Deutsch erschienen.

Am 23. Juli 1991 bekam John Derf alias Derf Backderf einen Anruf. Einer seiner früheren Klassenkameraden aus High-School-Zeiten war gerade als Serienmörder überführt und verhaftet worden: Jeffrey Dahmer, der mindestens 17 Männer und Jugendliche umgebracht hat und als ‚Milwaukee Monster’ in die Kriminalhistorie eingehen sollte. Backderf begann umgehend mit der Materialsammlung für einen Comic, wusste er doch, dass er die einmalige Chance hatte, einen anderen Blick auf Jeff Dahmer zu werfen. Tatsächlich schrieb und zeichnete er jedoch erst Ende 1994 eine erste Kurzgeschichte über Dahmer – nachdem dieser von einem Mithäftling getötet worden war.

In den folgenden Jahren schuf Backderf mehrere Comic-Storys über Dahmer, die erste davon wurde 1997 veröffentlicht. Schließlich drängten ihn immer mehr Menschen, seine Bemühungen zu intensivieren. Der Versuch, das Konzept einer 100 Seiten langen Graphic Novel an einen Verlag zu verkaufen, scheiterte allerdings, und so brachte Backderf 2002 im Selbstverlag schließlich eine stark gekürzte Heftfassung heraus. Übrig blieben 24 Seiten. „Mehr konnte ich mir nicht leisten“, so Backderf frustriert.

Detaillierter Abstieg

Die Independent-Kurzfassung in Heftform wurde trotzdem ein Erfolg und sogar für einen Eisner Award nominiert. Doch Backderf war nie wirklich zufrieden – sowohl mit den Kürzungen als auch mit der handwerklichen Qualität seiner Geschichte und seines Artworks. „Wenn ich heute auf die Urfassung zurückblicke, sehe ich eine gewaltige verpasste Chance“, schreibt Backderf im Vorwort zur fast 200 Seiten starken Neufassung von 2012, die gerade bei Metrolit auf Deutsch erschienen ist. Die wiederum kam dadurch zustande, dass Backderfs Unmut über die vorherige Version lange genug an ihm genagt hatte und er sich entschloss, es noch einmal zu machen. Diesmal richtig.

Denn nicht nur, dass Backderf mit seinem an Robert Crumb erinnernden Underground-Comix-Charme inzwischen ein wesentlich sicherer Handwerker war und durch seinen in mehr als 140 Zeitungen abgedruckten Strip „The City“ ein anderes Renommee besaß. In erster Linie recherchierte er diesmal auch richtig gründlich, sprach mit Klassenkameraden, sichtete FBI- und Polizeiakten, Fernseh- und Magazin-Reportagen sowie Interviews, die der inhaftierte Dahmer vor seinem Tod noch gegeben hatte. Dabei förderte Backderf, wie er selbst sagt, „einige überraschende und nie zuvor angesprochene Details aus Jeffs Jugend zutage“. Das Ergebnis aus dem Jahr 2012 sei eine Graphic Novel, „die detailliert Jeffs Abstieg zeigt.“

Die eigene Jugend aufgearbeitet: Derf Backderf.
Die eigene Jugend aufgearbeitet: Derf Backderf.

© LArs von Törne

Dahmer begann seinen Weg zur Hölle als verwirrter Junge, der Tiere quälte, sich auf dem Schulhof mit Alkohol zu betäuben versuchte und am Ende seinen perversen Fantasien nachgab und sie auf schreckliche Weise auslebte. Dass Backderf nach Dahmers erstem Mord an einem jungen Anhalter seine Erzählung mit den Text-Anmerkungen und zwei später spielenden Epilogen beendet, ist sein größter Erzählkniff in diesem Buch, in dem er durchaus Sympathie und Mitleid für den späteren Serienkiller weckt. Im Zentrum der Graphic Novel steht die Höllenfahrt des künftigen Milkwaukee Monsters, dessen sich zersetzende Menschlichkeit Backderf in dieser Darstellung der Jugend wichtiger ist als die vollkommene Unmenschlichkeit.

Porträt voller Ambivalenz

So ist Backderfs beklemmendes Portrait seines Schulkollegen, der vom schrägen, von seiner Homosexualität und brutalen Macht-Fantasien beherrschten Außenseiter und Cliquenclown zum Serienkiller wurde (und der während seiner Zeit in der US-Armee zeitweise sogar in Deutschland stationiert war), keineswegs frei von einer gewissen Ambivalenz, die sicherlich allgemein typisch für die Beschäftigung mit Serienkillern ist, wo meistens Faszination und Ekel zusammentreffen.

Einerseits stellt Backderf Dahmer als nicht einmal unsympathischen Teenager dar und arbeitet obendrein in Vorwort und Comic-Roman klar heraus, wie unverständlich es für ihn nach wie vor ist, dass kein Erwachsener auf den Sonderling aufmerksam wurde, einschritt und Dahmer vor dem Abgrund rettete, auf den er unausweichlich zusteuerte. Andererseits macht Backderf zugleich deutlich, dass ab einem gewissen Punkt all sein Mitgefühl für seinen verschrobenen Schulfreund endet, da Dahmer auch selbst hätte die Reißleine ziehen können – und sei es nur, indem er sich selbst die Pistole an den Kopf setzt. Da zählt es dann alles nicht mehr: Weder die Totschweigementalität in Sachen Homosexualität in der amerikanischen Pampa, noch die Lässigkeit der wilden 70er oder die Nachlässigkeit von Dahmers Eltern, die mit ihrer hässlichen Scheidung beschäftigt waren.

Komischer Kauz: Der spätere Serienmörder Dahmer auf dem Buchcover.
Komischer Kauz: Der spätere Serienmörder Dahmer auf dem Buchcover.

© Metrolit

Aufgrund seiner persönlichen Perspektive sowie seiner Verbindung mit dem Thema hat Backderf eine eindrucksvolle Bestandsaufnahme und Studie vorgelegt, die aus seiner eigenen Biografie genauso schöpft wie aus dem umfassenden Material über den Fall von Jeffrey Dahmer. Heraus kam so eine der lesenswertesten Neuerscheinungen des ersten Halbjahres.

Derf Backderf: „Mein Freund Dahmer“. Übersetzt von Stefan Pannor, mit einem Nachwort von Lutz Göllner. Metrolit, 230 Seiten, 22,99 Euro

Der Blog unseres Autors Christian Endres findet sich hier: www.christianendres.de.

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