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Aus der Rebellenhochburg Homs berichtete der junge Syrer für zahlreiche internationale Medien.

© dpa

Informant in Syrien: Für keine Handvoll Dollar

Der Syrer Abu Emad arbeitete als Informant für die Fernsehsender BBC und CNN. In der Rebellenhochburg Homs riskierte er sein Leben für die Medien. Geld bekam er nie - dafür verhaftete ihn Assads Geheimdienst.

Abu Emad hat seit Jahren keinen richtigen Appetit mehr. Er sitzt in einem Berliner Restaurant, vor ihm eine riesige Pizza Margherita. Der hagere Syrer mit dem viel zu großen Hemd isst zwei kleine Stücke, den Rest lässt er zurückgehen. Er weiß, dass er mehr essen sollte. Auch seine Mutter sagt ihm das immer wieder. Sogar jetzt noch, im deutschen Exil. Übers Telefon.

Abu Emad heißt eigentlich anders, und das hat Gründe. Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011 arbeitete der mittlerweile 22-Jährige als Informant und Berichterstatter für große, internationale Medien. CNN, BBC, die „Washington Post“ – um die größten zu nennen. Seine Berichte aus der Widerstandshochburg Homs erreichten weltweit ein Millionenpublikum, für CNN wurde er mehrmals live ins Studio geschaltet. Seit ein paar Wochen ist Abu Emad nun in Deutschland, dank eines deutschen Journalistenstipendiums. In Syrien war er ins Visier des Geheimdienstes geraten; er fürchtet auch jetzt um seine Familie, die dort geblieben ist. Deshalb will er seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen.

Abu Emad streift die Jacke über und geht zur Tür hinaus ins frostige Berlin. Er nestelt eine Zigarette aus seiner Schachtel, beginnt zu erzählen. „Ich hatte Freunde, die als Aktivisten gegen Assad gearbeitet haben. Sie haben den ersten Kontakt zu den Medien hergestellt. Ich kann sehr gut Englisch.“ Damals, 2011, war er gerade mit der Schule fertig.

16 Stunden am Tag saß er vor dem PC und beantwortete Fragen von Journalisten

Mithilfe deutscher Satellitentelefone, die die Freie Syrische Armee nach Homs schmuggelte, konnten die Oppositionellen ins Internet. „Wir haben die Telefone an Satellitenschüsseln angeschlossen, die für das Fernsehen auf den Dächern stehen.“ Die Stadt war zu dieser Zeit komplett von der Außenwelt abgeschnitten, Assads Armee kontrollierte alle Leitungen nach Homs – oder kappte sie. Das Regime, das im März 2011 soziale Medien wie Facebook freigeschaltet hatte, hatte aus seinen Fehlern gelernt. Denn: „Für die Revolution“, sagt Abu Emad, „waren Youtube und Facebook extrem wichtig.“ Man habe plötzlich gesehen, wie die Aufstände in anderen arabischen Ländern liefen. „Das inspirierte uns.“ Als Assad wenige Wochen später die Webseiten wieder sperren ließ, nutzen viele Syrer bereits Proxies: Kommunikationsschnittstellen, die ihnen dennoch Zugriff auf Social Media ermöglichten. Das Volk ließ sich die neu gewonnene Freiheit nicht mehr so einfach nehmen. Abu Emad bläst Rauch in die kalte Nacht, grinst und sagt: „Nur Pornoseiten waren weiterhin frei zugänglich. Damit sollen die Syrer wohl zerstreut werden.“

Abu Emad beantwortete über Skype Fragen von Journalisten, teilweise saß er 16 Stunden am Tag vor dem Computer. „Ich habe oft gar nicht mehr gewusst, mit wem ich da überhaupt spreche.“ Er drückt die Zigarette aus, nimmt die nächste. Zwei junge Frauen laufen an ihm vorbei ins Restaurant. Sie schimpfen darüber, dass kein Heizpilz vor der Tür steht. Abu Emad schaut ihnen nach, dann erzählt er weiter. Von seinem Maschinenbaustudium – eine Tarnung, die doch nichts nützte.

Zwei Mal wurde Abu Emad von Assads Geheimdienst festgenommen. Ein Professor habe dem Regime verraten, dass er mit ausländischen Medien kooperiere. „Das erste Mal war ich 23 Tage in Haft, das zweite Mal 58 Tage.“ Seine Stimme zittert. „Man muss sich vor den Verhören bis auf die Unterhose ausziehen, die Augen werden verbunden, die Arme hinter dem Rücken gefesselt. Man bekommt Schläge auf den Kopf oder auf die Beine.“

Seine Familie lieh sich von Freunden insgesamt 15 000 Dollar: Genug, um Abu Emad zwei Mal freizukaufen. „Wenn du kein Geld bezahlst, verschwindest du einfach.“ Viele seiner Mithäftlinge hatten weniger Glück. Manchen band man die Hände hinter dem Rücken zusammen und hängte sie daran an Haken an der Decke auf. Tagelang ließ man sie dort. Viele starben.

Die CNN zahlte nicht, nicht einmal sein Internet

Nach seiner ersten Entlassung ging Abu Emad – damals war er gerade 20 – tagelang nicht vor die Tür. Er sprach nur noch mit Journalisten, die er bereits kannte. Für ihn war diese Arbeit sein Leben. Für die Journalisten waren die Interviews lediglich reguläre Berichterstattung. Abu Emad sagt, er habe die Journalisten ein paar Mal nach Geld gefragt, um das Internet bezahlen zu können. Und um die Akkus seiner Kamera und seines Handys aufladen zu können. Bekommen habe er nichts.

„Vor ein paar Wochen habe ich mit einer CNN-Moderatorin telefoniert. Ich habe ihr gesagt, dass das Leben gerade richtig hart ist. Dass ich ein paar Dollar gut gebrauchen könnte.“ Sie habe geantwortet, ihr Sender könne ihm nichts bezahlen. Die Journalisten müssten unparteiisch bleiben. Bei allen anderen Medien sei es ganz genauso gewesen, sagt Abu Emad. Ein schwerer Vorwurf: Denn internationale Medien, die in Homs seit langem keine Korrespondenten mehr haben, nutzen regelmäßig Syrer als Informanten, wenn sie sie für „seriös“ halten. Abu Emad war einer von ihnen. Die Medien profitieren enorm von diesem Vorgehen. Und zahlen nicht einmal das Internet ihrer Informanten?

Auf Anfrage bei der CNN gibt es keine Antwort, doch das Auslandsbüro der „Washington Post“ bestätigt Abu Emads Darstellung. Man bezahle grundsätzlich nichts für Interviews, heißt es. So funktioniere nun einmal freie Berichterstattung. Immerhin half die „Washington Post“ Abu Emad mit einem Empfehlungsschreiben dabei, das Journalistenstipendium zu bekommen, mit dem er nach Deutschland kam.

"Bereuen es die Syrer schon, die Revolution begonnen zu haben?"

Abu Emad ist es draußen zu kalt geworden. Er setzt sich wieder an den Tisch, beobachtet die anderen Gäste. „Ich habe den Krieg gefilmt, ich habe Bewohner der Stadt interviewt. Ich wollte meine Arbeit gut machen.“ Dann erzählt er von der Frage einer französischen Journalistin. Vor zwei Jahren rief sie an, Abu Emad saß gerade im Keller eines Hochhauses vor seinem Computer und berichtete der Welt von den Fassbomben, die aus Assads Hubschraubern auf die Straßen, Häuser und Menschen regneten. Er berichtete von Scharfschützen und von Leichen auf den Straßen. Er berichtete von der Scham der Überlebenden, die sich nicht trauten, die toten Körper von der Straße wegzuholen. Die französische Journalistin fragte Abu Emad, ob die Syrer schon bereuen würden, die Revolution begonnen zu haben. „Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.“

Patrick Wehner

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