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Panorama: Intifada im Klassenzimmer

In vielen Schulen gehört Antisemitismus zum Alltag. Ein Verein bringt verfeindete Jugendliche beim Theaterspielen zusammen

Die 13-jährige Franziska Felizetti ist Deutsch-Italienerin. Auf der Bühne verkörpert sie die Jüdin Rahel. Die Handlung spielt in einer Moabiter Schule, in den Tagen um den 11. September 2001. Der Titel: „Intifada – im Klassenzimmer?!?“. In dem Stück geht die Jüdin Rahel mit dem Araber Abdullah in eine Klasse. Sie reden nicht miteinander, sondern beschimpfen sich als „Kanake“ und „Scheißaraber“, sie stellen Szenen nach, in denen Türken von den Deutschen beschimpft werden und in denen sich die Jugendlichen gegenseitig quälen vor lauter Hass. Am Ende finden alle einen Weg zueinander, weil Rahel Abdullah durch eine mutige Aussage aus dem Gefängnis befreit.

Abdullah heißt im richtigen Leben Hossein Hamadani, ist 18 Jahre alt und iranischer Libanese. Und im richtigen Leben hatte er keine deutschen Freunde, bevor er beim Theaterprojekt des Moabiter Vereins Olle Burg einstieg. „Deutsche waren für mich Opfer“, sagt er. Manchmal hat er auch draufgehauen. Jetzt ist der Deutsche Kevin Wranik, 17 Jahre alt und ebenfalls Teilnehmer an dem Projekt, sein bester Freund. Und Franziska Felizetti fühlt sich nicht mehr als Opfer. Früher war das anders, in der Grundschule haben ihr Mitschüler die Arme gebrochen. „Einfach so“, sagt sie, wohl aus purer Lust an der Gewalt. Danach hatte sie oft Angst.

„Intifada – im Klassenzimmer?!?“ ist das Projekt von Marwa Al-Radwany, einer deutsch-irakischen Studentin der Romanistik und Erziehungswissenschaft, und Ahmed Shah. Er ist Brite pakistanischer Herkunft und Streetworker beim Verein Olle Burg. Die beiden arbeiten seit Herbst 2004 mit den 17 Jugendlichen aus Moabit zusammen. In der ersten Projektphase hat sich die Gruppe intensiv mit der Geschichte des Nahostkonflikts befasst, Dokumente ausgewertet, mit Zeitzeugen gesprochen, Geschichtsbücher gelesen. Heute kennen die Jugendlichen nicht nur den Unterschied zwischen den Weltreligionen, sondern auch zwischen Juden, Israelis und der israelischen Regierung. Was noch wichtiger ist: Sie greifen ein, wenn sich Mitschüler streiten und erklären ihnen, wohin Antisemitismus führen kann und dass Gewalt keine Lösung ist.

„Man muss die Traumata der Jugendlichen bearbeiten, um ihnen das Trauma der jüdische Geschichte vermitteln zu können“, sagt Ahmed Shah, „wir haben bei den Problemen der Jugendlichen angesetzt, nicht bei den Problemen der Welt.“ Wie groß diese Probleme sind, ahnt man, wenn Mädchen schon deshalb Hausarrest bekommen, weil sie durch das Theaterprojekt nicht mehr ganz so akribisch ihre Pflichten im Haushalt erfüllten. Zum Alltag vieler gehört es, das sie zu Hause geschlagen werden und sich mit anderen prügeln. Manche Jugendliche kamen heimlich zu den Theaterproben, nachdem die Eltern ihnen verboten hatten mitzumachen. Bis zur letzten Woche sind Teilnehmer abgesprungen. „Sicher gibt es Rückfälle, aber heute hat die Gruppen einen inneren Zusammenhalt“, sagt Marwa Al-Radwany. Wenn ein „Kollege“ nicht zur Probe kommt, fragen die anderen nach dem Grund und holen ihn beim nächsten Mal zu Hause ab.

Michael Rump-Räuber wünscht sich, es gäbe noch viel mehr solcher Initiativen. Er ist beim Berliner Landesinstitut für Schule und Medien (Lisum) für den Bereich Demokratieerziehung, Rechtsextremismus und Antisemitismus zuständig. „Ausländische Jugendliche können wir mit dem klassischen Unterricht zum Holocaust nicht erreichen. Sie fühlen sich nicht angesprochen“, sagt er. Gerade in Moabit, wo viele muslimische Familien wohnen, seien die Probleme groß – und hätten nach dem 11. September 2001 an Intensität zugenommen.

Das Lisum hat deshalb im Frühjahr an drei Berliner und einer Potsdamer Schule das Projekt „Youth Leader“ gestartet. Schüler werden zu den Themen Antisemitismus und Rassismus geschult; nach zwei Jahren sollen sie selbst Neuntklässler unterrichten. „Gleichaltrige finden einen besseren Zugang zueinander“, sagt Rump-Räuber.

Seine Erfahrungen zeigen, dass für Schüler Geschichte dann nicht mehr abstrakt ist, wenn sie sich mit den Biografien von Tätern und Verfolgten auseinander setzen. Außerdem sollte die jüdische Geschichte nicht mehr isoliert behandelt, sondern in einen weltgeschichtlichen Zusammenhang gestellt werden.

Im Lehrplan für das nächste Schuljahr hat sich dieser Ansatz bereits niedergeschlagen. Das Lisum will nun auch Koranschulen und Moscheen dafür gewinnen. „Aber da stehen wir ganz am Anfang.“

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