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Reise: Ein Sommertagstraum

Auf der Schweden-Insel Oaxen steht die Zeit scheinbar still. Der Gast schläft auf einem historischen Schiff und isst bei einem der besten Köche des Landes

Die Julinacht ist warm in der kleinen Kabine. Nur das leise Klacken des Deckenquirls sorgt für ein wenig Luftbewegung. Im leichten Schlaf hören wir das Wasser an die Wanden klatschen und unterwärts weggurgeln. Hin und wieder ertönt der Schrei eines Seevogels. Dann wiegt der leise Wellenschlag uns erneut in den Schlaf. Als die tief stehende Morgensonne durchs Fenster scheint und an der Nase kitzelt, schälen wir uns aus den Laken, schlüpfen in die Badeanzüge, flitzen barfüßig zum Steg und lassen uns in die kühle See gleiten.

Oaxen, dieses winzige Eiland in den Schären unweit von Stockholm ist nur eine von Tausenden kleiner Inseln. Silbrig glitzert die Himmerfjärden (Förde), und drüben liegt Mörkö. Dazwischen nur wir und die Ostsee. Durch die zieht eben gemächlich ein Boot mit weißen Segeln. Ein Mann macht Winkewinke, – guten Morgen! Oaxen ist wirklich eine Entdeckung. Bei Sonnenschein ein Sommermärchen für ein, zwei oder vielleicht auch mehr Tage. Klein wie ein Kiesel und so, wie man sich das schwedische Bilderbuch vorstellt: ein paar Holzhäuschen, freundliche Menschen in den Vorgärten, Strand und Schilf, in denen versteckt Stuhl und Bank für den Sonnenuntergang stehen, lachende Kinder, und über allem ein kobaltblauer Himmel, durch den weiße Wolken ziehen.

Nein, auf Oaxen gibt es kein Schloss, das den Besuch rechtfertigen würde. Doch am Ufer liegt ein elegantes holländisches Holzschiff aus den dreißiger Jahren. Absolut sehenswert. Und – noch besser – es hat sieben hinreißend auf Hochglanz gebrachte Kabinen. Im Aufgang zum Oberdeck klimpert ein gläserner Lüster, dahinter geht’s zum Salon. Ein Spazierweg führt rundum an der Reling entlang. Winters liegt die „Prince van Orangien“ in Stockholm. Im Sommer hingegen ist das Hotelschiffchen vor Oaxen vertäut.

Ursprünglich war das 1935 auf der Vahali Werft im niederländischen Gendt gebaute Schiff für den Eigner Wohnung und Büro zugleich, weil der durch ganz Europa schipperte, um diversen Geschäften nachzugehen. Geld spielte beim Bau offenbar keine Rolle. Materialien wie Eiche, Ebenholz, brasilianisches Rodenholz, belgischer Schiefer sowie fünf verschiedene Sorten von Marmor wurden beim Ausbau verwendet. Bis 2007 diente das Schiff als privates Wohnquartier und war entsprechend gepflegt, als es in Schweden vom Privat- zum persönlich gehaltenen Hotelschiff verwandelt wurde.

Tara und Theresa, die kessen Schiffsmädchen mit den adretten weißen Schürzen sorgen für das Wohl der Gäste. Und wer zum Frühstück an Deck sitzt, am süßen Schwarzbrot knabbert und das flaumweiche Ei löffelt, der schaut übern Steg auf „Pumpen“. Ein Freiluftrestaurant auf einem Ponton, wo mittags die Segler geräucherte Krabben pulen und in frisch gerührte Aioli stippen, während unterm Tisch die Füße wippen. Würde nicht gerade das Jazzsaxophon so sehnsüchtig auf den Wasserrippen verebben, hörte man nur das Klingeln der Masten der festgemachten Boote und das Rascheln der Krabbenschalen. Hügelan auf dem höchsten Punkt von Oaxen steht mit Meerblick eines der besten Restaurants von ganz Schweden: der „Oaxen Krog“.

Wie auf dem Schiff und im „Pumpen“ sind auch hier Agneta Green aus Skonen und der Stockholmer Magnus Ek die Gastgeber. Das Haus ist zwar architektonisch kein großer Wurf, steht aber blitzblank da und hat eine weite Terrasse für laue Abende. Drinnen ist es so sparsam wohlig möbliert, wie nur die Skandinavier es können. Agneta und Magnus hatten sich einst bei Freunden kennengelernt. Aus Liebe und Passion wurde ein Paar und dies gemeinsame Restaurant. „Wir wollten nach Südschweden und fanden Oaxen.“ Ihr Krog wurde bald ein Geheimtipp unter den Feinschmeckern. Beim Degustationsmenü kann man sich leicht übernehmen.

16 Sommer sind inzwischen vergangen. So viel Inseldasein ist auch für das perfekteste Team eine lange Zeit. Agneta und Magnus wuchsen Flügel. Nun kocht Magnus (Agneta ist Sommeliere) noch einen Sommer im Schärenland. Der soll ein Fest werden. Die Gäste werden Agneta und Magnus dann irgendwann in Stockholm wiedersehen.

Oaxen schwimmt im Ostseewasser von Södermanland, ist gerade mal zwölf Hektar groß und nur eine Autostunde südlich von Stockholm gelegen. Von der Hauptstadt kommend, hatten wir uns ein Taxi geteilt, waren an Södertälje vorbei über Järna und Mörkö Richtung Oaxen gebraust. Dann trennte uns nur noch eine Mini-Fährfahrt von Oaxen.

Oaxen ist beileibe kein Niemandsland. Es hat eine Bergbaugeschichte, die allerdings längst vorüber ist. Um 1830 begann der Abbau von Kalkstein. Das kann man heute noch sehen: am Hafen, den alten Öfen, den Kalksteinfelsen, einigen der Hütten und Felsabbrüche. Manches rostet so vor sich hin. In den Hochzeiten waren 250 Arbeiter auf Oaxen in Lohn und Brot, und die Insel hatte 500 Bewohner. Heute leben im Sommer gerade mal 100 Menschen auf Oaxen. Zum Teil haben sie sich die alten Arbeitersiedlungen als Ferienwohnung ausgebaut, denn längst ist die Insel eine Sommerfrische vor allem für die Stockholmer. Der Krog in der einstigen Villa des Kalksteinfabrikanten wirkt da wie ein Magnet.

Am Morgen nach dem Frühstück stehen Agneta und ihre zwei Rhodesian Richbacks auf dem Steg vor der „Prince von Orangien“. Agneta trägt eine Tasche mit diversen Plastikboxen in der Hand und eine Liste der zu sammelnden Kräuter. Jeden Morgen macht sie eine Runde um Oaxen. Sie pflückt Wermut und Beeren, sammelt frische Birkenrinde, schneidet Klee und wilden Fenchel. Am Ende sind die kleinen Behälter gefüllt, die Hunde zufrieden, und die Küche kann getrost Kräuter und essbare Blüten fürs Abendmahl verwenden.

Magnus’ Küchenkünste zeichnen sich durch die Frische der Produkte aus. Fast ausschließlich wild wachsendes oder biologisch angebautes Gemüse von nahen Gehöften auf dem Festland kommt auf den Tisch, genauso wie Käse oder Geflügel. Muscheln werden an der Westküste gepflückt, Kabeljau und Hering in der Ostsee gefischt. Was Agneta nicht im Wald findet, das wächst im Garten am Oaxen-Haus. Was der Winter nicht hergibt, wird im Sommer haltbar gemacht, geräuchert, getrocknet und eingemacht. Ganz wie in alten Zeiten.

Wir machen noch einen Spaziergang vor dem Abendbrot, streifen am Schilf entlang und schwimmen ein wenig mit den Enten hinaus. Am Trinkwasserreservoir drehen wir eine Runde und schauen hinauf auf die bewaldete Krone der Kalkfelsen, wo eine Elchfamilie leben soll, wie Agneta uns erzählte. Da es warm ist, sitzen wir anschließend auf der Terrasse vom Krog. Wir knuspern an gerösteten Schweineöhrchen, schlecken Heilbutttatar vom Löffel, zerdrücken ein Wachtelei am Gaumen, löffeln eine süße Hagebuttensuppe samt Klee und Blüten, dazu schlürfen wir hausgemachten Frühlingsbirkensaft.

Die Sonne geht unter, und wir schließen die Augen. Die klaren Aromen der Speisen zaubern taufrische schwedische Landschaften vor unser inneres Auge.

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