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Beate Zschäpe vor Gericht

© AFP/Christof STACHE

Schlusswort im NSU-Prozess: Beate Zschäpe spricht – aber keinen Klartext

„Ich bin ein mitfühlender Mensch“: In ihrem Schlusswort distanziert sich Beate Zschäpe von den NSU-Verbrechen. Und antwortet der Mutter eines Mordopfers.

Von Frank Jansen

Die Tribüne für Zuschauer und Journalisten ist so voll wie seit Jahren nicht mehr, alle sind gespannt auf die letzten Worte der Angeklagten im NSU-Prozess, da droht doch noch mal eine Verzögerung. Wie so oft in den jetzt 437 Verhandlungstagen. Nebenklage-Anwalt Adnan Menderes Erdal beanstandet, dass der 6. Strafsenat seinen Antrag vom Februar abgewiesen hat, das kleine, braune und leicht verstaubte Holzkreuz über der vorderen Tür im Saal A 101 abzuhängen.

Erdal pocht auf die Neutralitätspflicht des Staates, die „im Wesentlichen auf Erfahrungen mit dem 1000-jährigen Reich“ beruhe. Kein anderer der zahlreichen Prozessbeteiligten hatte sich bislang darüber beschwert, auch die muslimischen Opferangehörigen nicht. Es scheint dem Anwalt ein persönliches Anliegen zu sein. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und seine vier Kollegen ziehen sich zur Beratung zurück.

Auf der Tribüne werden Szenarien entworfen, was jetzt noch passieren könnte. Wird Erdal, der ein Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertritt, auf die zu erwartende negative Antwort der Richter mit einem Befangenheitsantrag antworten, um die Kreuz-Debatte anzuheizen? Dauert es dann doch noch länger bis zum Urteil in diesem Mammutprozess, der sich nun schon fünf Jahre und zwei Monate hinzieht?

Richter Götzl und seine Kollegen kommen nach einer halben Stunde zurück. Götzl verkündet, die Beanstandung Erdals werde als unzulässig verworfen. Der Anwalt sagt – nichts. Aufatmen im Saal. Der vorletzte Akt im NSU-Prozess, die Schlussworte von Beate Zschäpe und der vier Mitangeklagten können beginnen.

Ihr Selbstbewusstsein sei falsch interpretiert worden, klagt sie

Alle starren auf die 43-jährige Hauptangeklagte, die im Prozess nur ein einziges Mal gesprochen hat. Im September 2016 gab Zschäpe eine Erklärung ab, distanzierte sich von „nationalistischem Gedankengut“ und erwähnte „mein eigenes Fehlverhalten“. Was sie sonst zu sagen hatte, trugen ihre beiden neuen Verteidiger als „Einlassung“ vor. Jetzt setzt sich Zschäpe betont gerade hin, wippt ein paarmal vor und zurück. Die kleine bleiche Angeklagte mit dem dunklen, dick geknoteten Zopf und dem üppigen bunten Schal um den Hals blickt auf einen dünnen Stapel Papiere. Dann liest sie ab.

„Hoher Senat, sehr geehrte Anwesende, heute möchte ich die Chance der letzte Worte nutzen, was mir zugegebenermaßen nicht leichtfällt.“ Die Stimme klingt klar, etwas nasal, ein nüchterner Ton. „Die im Prozess gemachten Erfahrungen sowie die mediale Berichterstattung verunsichern mich bis heute“, sagt Zschäpe. Sie habe das Gefühl, „dass jedes Wort, und sei es von mir noch so ernst und ehrlich gemeint, falsch beziehungsweise mir nachteilig ausgelegt wird“. Zschäpe spricht von mangelnder körperlicher und seelischer Kraft, von „Konzentrationsstörungen“ angesichts der jahrelangen Untersuchungshaft und über ihr Selbstbewusstsein, das „viel zitiert und völlig falsch interpretiert“ werde und gerade jetzt nicht greife. Die Stimme bleibt allerdings fest, wie bei einer Nachrichtensprecherin.

Prozessbeteiligte und -beobachter hatten spekuliert und auch ein klein wenig gehofft, die als unberechenbar geltende Frau könnte doch noch Klartext reden. Noch unbekannte Details nennen aus den fast 14 Jahren in der Illegalität mit den brutalen Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die zehn Menschen erschossen, in Köln bei zwei Sprengstoffanschlägen mehr als 20 Menschen verletzten und bei 15 Raubüberfällen eiskalt agierten. Vor allem die Angehörigen der Ermordeten suchen nach Erklärungen. Die Hinterbliebenen quält, dass sie nicht wissen, warum ausgerechnet ihr Sohn, ihr Ehemann, ihr Vater sterben musste.

Die Eltern des im April 2006 in Kassel getöteten Halit Yozgat sind nun noch mal zum Prozess gekommen, um zu hören, was Zschäpe sagt. Die anderen Angehörigen der Ermordeten sowie die überlebenden Opfer des NSU-Terrors bleiben weg. Seine Mandantin, sagt der Berliner Anwalt Sebastian Scharmer, erwarte gar nichts mehr. Er vertritt Gamze Kubasik, die Tochter von Mehmet Kubasik, den Böhnhardt und Mundlos in seinem Kiosk in Dortmund erschossen hatten. Auch im April 2006. Nur zwei Tage später ermordeten die Neonazis Halit Yozgat.

„Keinerlei Kenntnis darüber, warum diese Menschen ausgewählt wurden“

„Ich kann den Hinterbliebenen ihre Angehörigen nicht mehr zurückgeben“, trägt Zschäpe vor. Sie wendet sich gegen den Vorwurf von Anklägern und Nebenklägern, „dass ich wider besseres Wissen nicht zur Aufklärung der näheren Umstände beitragen würde“. Zschäpe stoppt kurz. „Deshalb hier nochmals: Ich hatte und habe keinerlei Kenntnisse darüber, warum gerade diese Menschen an gerade diesen Orten von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ausgewählt wurden.“ Hätte sie „weitere Kenntnisse, würde ich sie spätestens jetzt hier preisgeben, da es für mich keinerlei Grund mehr gibt, irgendetwas zu verschweigen“. Es folgt die Feststellung, „Vermutungen und daraus resultierende Spekulationen helfen hier niemandem weiter“.

Aufrecht? Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe beteuert, sie sei gegen die Morde gewesen, aber von Uwe Böhnhardt „emotional abhängig“.
Aufrecht? Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe beteuert, sie sei gegen die Morde gewesen, aber von Uwe Böhnhardt „emotional abhängig“.

© Christof Stache/AFP

Ayse Yozgat, eine kleine Frau mit buntem Kopftuch, und ihr Mann Ismail, auch klein, aber kräftig, hören still zu. Als Zeugen haben sie im Prozess drastisch geschildert, wie sehr sie seit dem Tod ihres Sohnes leiden. Der Vater hat sich vor den Richtern auf den Boden geworfen, um ihnen zu zeigen, wie sein sterbender Sohn auf dem Boden gelegen hat, als er ihn fand. Ayse Yozgat sprach Zschäpe direkt an und bat sie um Aufklärung. „Denken Sie bitte immer an mich, wenn Sie sich ins Bett legen“, sagte die Mutter im Oktober 2013, „denken Sie daran, dass ich nicht schlafen kann.“ An diesem Dienstag erhält Ayse Yozgat von Zschäpe eine Antwort.

„Auf die Frage der Mutter des Halit Yozgat, ob ich überhaupt noch ruhig schlafen könne, möchte ich heute erwidern: Auch wenn die Bundesanwaltschaft, Nebenklägeranwälte und die Medien mir genau das absprechen: Ich bin ein mitfühlender Mensch und habe sehr wohl den Schmerz, die Verzweiflung und die Wut der Angehörigen sehen und spüren können“, liest Zschäpe vor. An der emotionsfreien Tonlage hat sich nichts geändert. Auf den Mord an Halit Yozgat geht Zschäpe auch nicht weiter ein.

Die Angeklagte erläutert noch, „eigene Gefühle zu unterdrücken, sie nicht nach außen zu tragen – so verfahre ich schon seit frühester Jugend“. Diese Verhaltensweise habe ihr Prozessverhalten „sicherlich negativ beeinflusst“. Es folgen eine Distanzierung von der rechten Szene, das Eingeständnis von Fehlern, vor allem die angebliche Schwäche, sich von Böhnhardt zu trennen. In ihrer Einlassung hatte Zschäpe behauptet, sie habe die Morde abgelehnt, aber wegen der emotionalen Abhängigkeit von den beiden Uwes nicht aussteigen können.

Ein Vater wird wütend: Er glaube ihr kein Wort

Am Dienstag schließt Zschäpe mit einem Appell an die Richter. Sie sollten ein Urteil fällen, „welches unbelastet von öffentlichem oder politischem Druck ist“. Und der Senat solle sie, sagt Zschäpe, nicht stellvertretend für etwas verurteilen, „was ich weder gewollt noch getan habe“. Zschäpe lehnt sich zurück. Sie scheint mit sich zufrieden zu sein.

In den Eltern Yozgat steigt Wut hoch. Sie entlädt sich nach dem Ende der Verhandlung vor dem Eingang zum Justizgebäude. „Ich glaube nichts von dem, was sie gesagt hat“, ruft der Vater. „Ich bin sehr enttäuscht“, sagt die Mutter. Zschäpes Worte an sie empfindet Ayse Yozgat als Zumutung. Ihre Frage, warum ausgerechnet ihr Sohn sterben musste, bleibt offen. „Ich habe mir das angehört, aber sie weiß genau, wie das abgelaufen ist“, sagt die Mutter.

Die letzten Worte der anderen Angeklagten haben hingegen kaum Wirkung. Der Einzige, der Emotionen zeigt, ist Carsten S. „Ich war damals nicht ich selbst“, sagt er mit brüchiger Stimme. „Ich habe einen Fehler gemacht, der mich wieder eingeholt hat.“ Carsten S. hatte Böhnhardt und Mundlos die Mordwaffe Ceska 83 überbracht. Mit der Pistole erschossen die Terroristen Halit Yozgat und die weiteren acht Migranten. Die Bundesanwaltschaft fordert für S. nur drei Jahre Haft, wegen der Reue und der Hilfe bei den Ermittlungen zur Ceska 83.

Trotzig gibt sich Ralf Wohlleben, ehemals Vizechef der NPD in Thüringen und mutmaßlich der Mann, der die Beschaffung der Ceska 83 dirigiert hat. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft muss Wohlleben zwölf Jahre büßen. Er schließt sich den Vorträgen seiner Verteidiger an. Die drei Szeneanwälte hatten brachiale Plädoyers vorgetragen. Wolfram Nahrath gefiel sich sogar darin, Adolf Hitler zu zitieren. Als Beleg für die angebliche Friedfertigkeit des NS-Regimes.

Am kommenden Mittwoch wird endlich das Urteil erwartet

Holger G., der dem NSU zu einem Reisepass, einem Führerschein und einer AOK-Karte verhalf und im Prozess ein Geständnis verlas, entschuldigt sich noch mal bei den Hinterbliebenen. Die Bundesanwaltschaft verlangt für ihn fünf Jahre Haft. André E., der als einziger Angeklagter permanent schwieg, sagt auch am Dienstag nichts. Die Bundesanwaltschaft hält ihn für den treuesten Weggefährten des NSU und will zwölf Jahre Haft. Schon dass er 2000 das Wohnmobil gemietet haben soll, mit dem Böhnhardt und Mundlos nach Köln zum ersten Sprengstoffanschlag fuhren, ist aus Sicht der Anklage Beihilfe zu versuchtem Mord.

Beispiellos. 437 Tage wurde verhandelt. Zschäpes Verteidiger sehen bei der Hauptangeklagten nur eine geringe Mitschuld.
Beispiellos. 437 Tage wurde verhandelt. Zschäpes Verteidiger sehen bei der Hauptangeklagten nur eine geringe Mitschuld.

© Cristof Stache/ AFP

Der schwer tätowierte André E., der seit September 2017 wieder in U-Haft sitzt, gibt sich am Dienstag wie üblich ungerührt. Er hält Händchen mit Ehefrau Susann, die als „Beistand“ neben ihm sitzen darf. Und die im NSU-Komplex eine der weiteren Beschuldigten ist. Womöglich die Einzige, gegen die die Bundesanwaltschaft auch eine Anklage wegen Unterstützung des NSU erhebt.

Als die letzten Worte verklungen sind, als keine Prozesspartei mehr etwas sagen will, schließt Richter Götzl die Verhandlung. Leicht nuschelig, es klingt fast schon beiläufig, stellt er für den 438. Verhandlungstag das Ende des epischen Justizdramas in Aussicht. „Dann ist der nächste Termin Mittwoch, der 11. Juli, 9 Uhr 30“, sagt Götzl. Und noch einen Tick leiser, „dann ist die Urteilsverkündung vorgesehen“. Der gedämpfte Ton klingt, als könne der sonst so wortgewaltige Richter selbst nicht glauben, dass der NSU-Prozess nächste Woche vorbei ist.

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