Jüdische Oberschule: Ablehnung mit Folgen
Schüler der Jüdischen Oberschule erzählen ihre Erlebnisse im Berliner Alltag.
Der 16-jährige David wohnt in Moabit, wo viele Einwandererfamilien leben. Als Jude hat er dort „an sich nicht so viele Probleme“. Allerdings komme es schon mal vor, dass er von Jugendlichen aus der Nachbarschaft angegriffen oder „Scheißjude“ genannt werde. David geht in die 10. Klasse der Jüdischen Oberschule in Mitte, die an diesem Dienstag Besuch von RTL-Moderator Peter Klöppel und der Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, bekommen hat. Die beiden wollen mit den 19 Schülern über deren Erfahrungen im Alltag reden, über Vorurteile und ihre Sicht auf das Thema Integration.
Peter Klöppel wirbt damit für den „Com.Mit Award“ seines Senders, ein derzeit laufendes Preisausschreiben, bei dem Schüler Konzepte für Filmbeiträge einreichen können. Die Storys der Gewinner werden verfilmt. Maria Böhmer ist Schirmherrin. Klöppel will nicht mit der Tür ins Haus fallen, also fragt er nach Vorlieben in den Medien („Vor allem Internet“) und ob die Schüler den Eindruck haben, dass ihr Leben darin widergespiegelt wird. Das finden die Schüler nicht. „Von außen könnte man meinen, in Berlin gibt es nur Politik, Ausländer und Arbeitslose“, sagt der 14-jährige Aaron. Überhaupt gehe es viel ums Negative.
„Habt ihr denn selbst negative Erfahrungen gemacht?“, fragt Klöppel. Ausnahmslos alle Jungen berichten von Angriffen, Überfällen, davon wie sie angepöbelt und beleidigt wurden. Doch nur manchmal haben sie den Eindruck, dass es mit ihrer Herkunft oder Religion zu tun hat. Die Aggressoren? „Türken und Araber“, aber auch „Nazis“ und „Asis“. Dennoch: „Ich würde nie rumlaufen und jedem sagen, dass ich Jude bin“, sagt ein Junge. „Man sollte damit nicht hausieren gehen“, bestätigt ein Mädchen. Alle Schüler haben schon offensichtliche Ablehnung erlebt, wenn sie sich als Juden zu erkennen geben – nicht nur von Muslimen. Auch in der Kriminalstatistik spiegelt sich das wider: 2008 zählte die Berliner Polizei 197 antisemitisch motivierte Straftaten, für 2009 stehen die Zahlen noch aus.
Klöppel und Böhmer vermeiden das Wort Antisemitismus: „Habt ihr negative Erfahrungen aufgrund eurer Religion gemacht?“ Ein Junge berichtet, er lebe in Mitte, dort habe er viele Einwanderer als Nachbarn, die wüssten, dass er auf diese Schule gehe. Er werde deshalb regelmäßig eingeschüchtert, ältere Jugendliche rufen ihm zu: „Ey, du bist doch Jude!“ Mehrere Schüler berichten, dass sie mit alten Vorurteilen konfrontiert werden. „Deine Nase ist gar nicht so groß“, musste eine Schülerin sich kürzlich anhören. Auch die stereotypen Zuschreibungen, Juden seien reich, geizig oder sehr klug, kennen die Jugendlichen.
Die Eltern der meisten Schüler hier stammen aus Polen, Lettland, Russland, dem Kaukasus und der Türkei. Doch nicht alle Schüler sind jüdisch. Die, die es nicht sind, müssen manchmal umständlich erklären, warum sie an die Jüdische Oberschule gehen. Nach eineinhalb Stunden Diskussion versucht David eine Erklärung, warum Vorurteile so fest sitzen: „Wenn jemand sagt, denkt jetzt nicht an einen rosa Elefanten, dann denkt man an rosa Elefanten.“ So sei das auch mit den Vorurteilen über angeblich stets reiche Juden oder kriminelle Ausländer. Obwohl beides oft nicht zutreffe. Ferda Ataman
Ferda Ataman