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Berliner Großbaustellen: Abrissboom: Lieber sprengen als sanieren

Berlin will schöner werden und lässt dazu die Abrissbagger rollen. Nicht einmal der Denkmalschutz kann das verhindern.

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Zentimeter für Zentimeter arbeiten sich die Abrissbagger vor. Immer tiefer dringen ihre scharfkantigen Zangen in das Haus an der Bachstraße und reißen den Beton von seinem Stahlgerüst, als sei es Papier. So wie dem einstigen Verwaltungssitz der evangelischen Kirche im Hansaviertel ergeht es derzeit mehreren vermeintlichen Architektursünden der sechziger und siebziger Jahre. Anderen droht die Abrissbirne. Der Grund ist einfach: Sie sind marode, unfunktional, schlicht nicht mehr zu gebrauchen.

Doch nicht nur ausgedienten Bürohäusern geht es ans Fundament. Berlins Bezirksämtern sind mehr als 50 Stellen bekannt, an denen derzeit Alt für Neu weichen muss. Die Liste reicht von Wohnhäusern über Supermärkte bis hin zu Industrie- und Gewerbehallen. Allein in Steglitz-Zehlendorf werden 25 Gebäude – zumeist Einfamilienhäuser – abgerissen. Die genaue Anzahl kennen aber weder Bezirksämter noch Senatsverwaltung. Seit der Reform des Berliner Baurechts 2005 sind Abrisse erst ab zehn Metern Höhe anzeigepflichtig. Genehmigt werden muss nur noch, was gefährlich sein könnte oder in Sanierungs- und Milieuschutzgebieten stattfindet. Die ehemalige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) feierte die Neuregelungen einst als Bürokratievereinfachung. Mancher Baustadtrat beklagt hingegen: „Mittlerweile darf jeder abreißen, wie er lustig ist.“

Architektonische Altlasten haben vor allem in begehrten Lagen schlechte Zukunftschancen. „Freie Grundstücke in Citynähe sind begrenzt, also stürzen sich Investoren auch auf den Gebrauchtmarkt“, sagt Katja Giller, Wertermittlerin beim Berliner Immobilienverband IVD. Eine mögliche Umnutzung der vorhandenen Räume werde zwar fast immer geprüft, doch seien umfangreiche Modernisierungen nicht immer die billigste Variante. „Neue Architektur ist sowohl energetisch als auch funktional gesehen häufig attraktiver, was sich letztlich auf die Rendite eines Gebäudes auswirkt“, so die Expertin des IVD.

Platz schaffen für Investoren: Der schwierige Kampf der Dankmalschützer

Beleg dafür ist das ehemalige DDR-Bauministerium an der Breiten Straße in Mitte. Mit dem knapp 150 Meter langen Einheitsbau im Plattenlook der 60er Jahre hätte sich der Wunsch des Senats nur schwer realisieren lassen, den historischen Stadtkern am künftigen Humboldt-Forum im Schlossgewand mit einem Gemisch aus Wohn- und Geschäftshäusern wiederzubeleben. Daher soll nach der bereits abgerissenen Südostecke auch der Rest des Gebäudes fallen, sobald der Bundesnachrichtendienst in den Neubau an der Chausseestraße umgesiedelt ist. Das dann freiwerdende 12 470 Quadratmeter große Grundstück bietet Investoren neuen Raum für Visionen.

Senatsbaudirektorin Regula Lüscher will aber nicht jede der „Altlasten“ der Abrissbirne preisgeben. „Man muss sie erhalten, denn sie sind Zeitzeugen ihrer Epochen“, sagt sie. Bauherren müssten Kreativität auch bei der möglichen Umnutzung solcher Gebäude zeigen.

Doch nicht in jedem Fall ist eine Umnutzung möglich. Die ehemalige Berliner Verbraucherzentrale am Wittenbergplatz musste weichen, nachdem der frühere Besitzer fünf Jahre lang verschiedene Nutzungsvarianten hat prüfen lassen. Bis zum Frühjahr 2013 entsteht an dieser Stelle nun ein Hotel mit 355 Zimmern. Und auch die Tage des Ku’damm-Karrees am Kurfürstendamm sind gezählt, weil es den zeitgemäßen Ansprüchen an eine Einkaufspassage nicht mehr entspricht. Unklar ist allerdings, wann die Abrissbagger hier anrollen. Der irische Investor Ballymore sucht derzeit noch einen Partner für den 500-Millionen-Euro-Neubau.

Selbst vor denkmalgeschützten Gebäuden machen die Bagger keinen Halt. Wie die marode Deutschlandhalle, die am vergangenen Wochenende gesprengt wurde, um einem Kongressneubau Platz zu machen, musste auch der Mittelteil des Staatsoper-Magazins weg, da sich die Räume nicht für Proben eigneten. Willo Göpel vom Netzwerk für den Berliner Stadtkern „Nucleus“ sieht darin einen „traurigen Paradigmenwechsel bei der Denkmalpflege“. „Ich frage mich, wie das Denkmalamt künftig privaten Investoren erklären will, dass sie sich an den Denkmalschutz zu halten haben“, sagt er.

Ein Abebben der Abrisswelle ist angesichts der alten Gebäudestruktur und der hohen Nachfrage auf dem Berliner Immobilienmarkt nicht zu erwarten. So gab es laut Gutachterausschuss für Grundstückswerte von Januar bis Juni dieses Jahres 2559 Verkäufe von bebauten Grundstücken – fast ein Fünftel mehr als im Vorjahreszeitraum. Besonders hoch war der Anstieg bei den Verkäufen von Mietwohnhäusern (plus 48 Prozent) und von Büro- und Geschäftsgebäuden (plus 46 Prozent).

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